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Kultur: "Camps": Die neue Pest Pornografie

Kopulierwillig unterschrieben sie Verträge, dass sie "Blasen mit Schlucken" machen würden. Zwei Frauen, die eine blond, die andere rothaarig, proben mit fünf Männern Urlaub auf einer sonnigen Insel.

Kopulierwillig unterschrieben sie Verträge, dass sie "Blasen mit Schlucken" machen würden. Zwei Frauen, die eine blond, die andere rothaarig, proben mit fünf Männern Urlaub auf einer sonnigen Insel. Genauer: Sie tummeln sich in einem Camp, einem Trainingslager für den Cluburlaub, sie üben für den Ernst. Verklemmte Typen testen, wie sie Frauen so schnell wie möglich entkleiden, um anschließend zu erleben, wie ihr Traum vom Gruppensex Wirklichkeit wird.

In dieser Theater-Versuchsanordnung sind alle gängigen Daily Soaps und Voyeur-Formate des deutschen Fernsehens, von "Big Brother" über "Expedition Robinson" bis "Wa(h)re Liebe", vermischt. Und drastisch zugespitzt. Es ist der letzte Teil der "Trilogie der Trainingsprogramme". Seit einem Jahr experimentiert das Theater Mahagoni, das sich neuerdings "hirche/krumbein productions" nennt, in den Berliner Sophiensälen. Nach "Bad actors", dem Training für Schauspieler, und dem "Training für Eutschland" (sic!), das Staatsbürgerkunde betrieb, widmet sich das Regisseur- und Schauspielerduo Albrecht Hirche und Kathrin Krumbein nun dem Training der pornographischen Selbstentblößung. Und das nicht zu knapp.

Nur vorübergehend ist es erschreckend, dass sich männliche Unterleiber nackt über die Bühne bewegen und ein Penis an einer blauen Schnur in Form gehalten wird. Wenn die schlackernde Männlichkeit im nächsten Moment hörbar gegen die Schenkel schlägt, löst sich das Pornografische spielerisch heiter auf. Was für die Demonstration weiblicher Selbstbefriedigung nur in eingeschränkter Weise gilt.Schmerzhaft sind nicht die sexistischen Sprüche, nicht die so selbstverständlich präsentierten Geschlechtsteile und auch nicht die Wendung des Privaten ins Öffentliche auf der Bühne, sondern die Leichtigkeit, mit der das alles geschieht. Das perfekt subtile Spiel der Protagonisten lässt die Pein der Trainingskandidaten fast übersehen. Noch schärfer als die Aufführung zeigt das Programmheft die kritische Bestandsaufnahme der pornografisch verseuchten Gesellschaft, die Sex an Stelle von Idealen als Glücksverheißung anbietet. In einem Sexcomic sind Texte aus "Camps" weiblichen Pornostars während des Geschlechtsverkehrs in den Mund gelegt. Erst im Heft wird deutlich, dass die mit jedem Zeitgeist kompatiblen Wesen nach ein paar Wochen Trash-Camp austrainiert sind und kollektiven Selbstmord begehen.

Gyde Cold

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