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Zurück dank Hightech. Caravaggios „Geburt Christi“ in Palermo.

© pa/obs/Sky Deutschland

Caravaggio und die Mafia: So künstlich, so fein

Zum Weihnachtsfest bekommt Palermo ein von der Mafia gestohlenes Gemälde Caravaggios zurück – es sieht jedenfalls ganz danach aus. Doch die Reaktionen sind nicht nur euphorisch.

Ist er’s – oder sollte man auf ihn noch warten? Die alte Messiasfrage hat jetzt in Palermo eine denkwürdige Antwort gefunden: 46 Jahre nachdem aus dem Oratorium von San Lorenzo ein monumentales Weihnachtsgemälde von Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, gestohlen worden ist, hängt die „Geburt Christi“ pünktlich zum Fest 2015 wieder dort. Die Lichter spielen, die Farben leuchten – „in alter Frische“, so staunen alle Betrachter. Doch das Bild ist gar nicht alt. Es handelt sich um einen nagelneuen, digitalen Klon des noch immer verschollenen Originals.

Hergestellt bis hin zum plastischen Nachbau auch noch des letzten Pinselstrichs, hat ihn die Madrider Spezialfirma Factum Arte: aus 65 Jahre alten Schwarzweißfotos, aus einem unscharfen, aber farbigen Diapositiv und – damit der 3-D-Drucker die spezielle Maltechnik Caravaggios erlernen konnte – auf Basis der dreidimensionalen Scans, die von anderen Bildern des frühbarocken Meisters gewonnen wurden. Gestiftet hat das alles der italienische Ableger des Fernsehimperiums Sky. Kunstsponsoring 2.0 sozusagen.

Eine noble Caravaggio-Fälschung von hoher technischer Qualität

Der Präsident der Republik war bei der festlichen Enthüllung dabei, der neue Erzbischof von Palermo, der Bürgermeister, Honoratioren sonder Zahl. Aber Italiens Kunstkritiker diskutieren hin und her, was für eine Art von Echtheit dieser Caravaggio beanspruchen dürfe und ob man vor diesem Werk – ersatzweise vor der technischen Qualität einer solch noblen Fälschung – genauso auf die Knie sinken solle. Klar, das drei auf zwei Meter große Foto, das bisher in dem verwaisten Rahmen hing, das stand jenseits der Frage echt oder falsch. Es war ein Abbild, ein blasses noch dazu. Wie aber steht es um den neuen Klon, den kein Menschenauge vom Original unterscheiden kann?

Honoratioren sonder Zahl: Die Firma Sky übergibt den reproduzierten Caravaggio an den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella (Mitte).
Honoratioren sonder Zahl: Die Firma Sky übergibt den reproduzierten Caravaggio an den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella (Mitte).

© obs/Sky Deutschland

Während einige behaupten, einem Original dürfe man gar nicht so täuschend nahekommen, weisen andere darauf hin, dass Italiens Kunstwelt schon immer voll von handwerklich mehr oder minder perfekten Klonen war: Der David des Michelangelo Buonarroti, der auf dem historischen Originalplatz vor dem Florentiner Palazzo Vecchio steht, ist eine Kopie – damit der ins Museum verfrachtete echte Marmorjüngling nicht pausenlos unter Wind und Wetter leiden muss. Aber wie historisch korrekt ist es, Jugend fleckenlos auf ewig konservieren zu wollen? Bei einem Künstler zudem, der sogar von seinen Werken in der Sixtinischen Kapelle davon ausging, dass sie von irgendeinem kommenden Papst genauso übermalt würden wie alle früheren.

Der neue, alte Caravaggio hat Diskussionen ausgelöst

Tomaso Montanari, einer der bedeutendsten Kunsthistoriker Italiens, weist darauf hin, dass nicht wenige antike Statuen in den Museen des Landes das Schild trügen: „römische Kopie nach griechischem Original“. Und da die griechischen Originale in der Regel verschollen sind (bei Bronzestatuen: eingeschmolzen wurden), heißt das, dass sie ohne die Kopie heute überhaupt nicht mehr zu sehen wären. Der Kunsthistoriker Philippe Daverio wiederum erinnert daran, dass es in der Musik so etwas wie ein Original gar nicht gibt: Die Noten sind allein die Grundlage für musikalische Umsetzungen, die im Augenblick ihrer Aufführung ebenso alt wie brandneu sind.

Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist Daverio über den neuen alten Caravaggio froh. Er begrüßt ihn als eine „mutige, ethische Entscheidung gegen die Bosheit der Welt.“ Das ist die Saite, die auch Staatspräsident Sergio Mattarella in Palermo angeschlagen hat: „Wir haben ein Zeichen gesetzt gegen die Mafia.“ Dazu muss man wissen: Das nicht gesicherte, nicht bewachte Original, soweit man das überhaupt rekonstruieren kann, ist im Oktober 1969 von einer Gruppe der sizilianischen Mafia gestohlen worden.

Was wurde aus dem Original? Mafia-Aussteiger berichten

Was dann geschah, ist offen; Überläufer tischen verschiedene Versionen auf: Einer behauptet, die Bosse hätten das in der Weltkunstszene hochberühmte, auf 20 oder 30 Millionen Euro taxierte Werk verkaufen wollen, aber keinen Interessenten gefunden. Ein anderer Aussteiger sagt aus, die drei mal zwei Meter große, schwere Leinwand sei beim Aufrollen „unheilbar beschädigt“. Dadurch sei die „Geburt Christi“ unverkäuflich geworden und der Schlächter-Boss von Corleone, Totò Riina, hätte sie nur mehr als Bettvorleger gebrauchen können. Anderen Aussagen zufolge landete das selbst für Supermafiosi allzu unbequem-sperrige Werk irgendwann in einem Stall, wo es verfault und von Mäusen zerfressen worden sein soll, bis man in den achtziger Jahren die letzten Reste verbrannt habe.

Wie auch immer: Die Hoffnungen, Caravaggios 1609 gemaltes Original wiederzufinden, sind in Italien nicht allzu hoch. Das gilt auch für ein etwa gleich altes, gleich großes Madonnen-Altarbild von Guercino, das 2014 in Modena auf gleiche Weise aus seinem Rahmen geschnitten und entführt worden ist. Genauso wie die siebzehn teils weltberühmten Gemälde, die erst vor vier Wochen aus dem Museum Castelvecchio in Verona verschwunden sind. Andere Werke hängen, von Eroberer Napoleon entwendet, seit zweihundert Jahren im Pariser Louvre und kommen nicht zurück. Aber vielleicht ließe sich nun – nach dem Vorbild von Palermo – auch da demnächst der eine oder andere Klon anfertigen. Die Frage nach der Authentizität könnte man dann ruhig in dem Kirchenlied aufgehen lassen, das Christen aller Konfessionen nicht nur zur Weihnachtszeit so gerne singen: „Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet ...“

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