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In dem Beziehungsdrama "Post Tenebras Lux" lösen sich die Zeit- und Wirklichkeitsebenen langsam auf.

© Arsenal

Carlos Reygadas: Werk des Teufels, Gottes Wille

Die Filme des mexikanischen Auteurs Carlos Reygadas sind unberechenbar und poetisch. Das Arsenal zeigt eine Werkschau.

Die Kamera dreht sich unter den Sternen. Sie sucht den Nachthimmel ab, bevor sie den ersten Glanz am Horizont entdeckt. So verharrt sie minutenlang, umgeben vom Lärm der Tiere, um zu betrachten, wie sich der Himmel feuerrot verfärbt und der Tag die karge Ebene mit seinem Licht flutet. Mit dieser Einstellung beginnt „Stellet Licht“, der dritte Film von Carlos Reygadas. Er ist Teil der Werkschau, die das Arsenal dem mexikanischen Regisseur widmet und an der er am Wochenende auch teilnehmen wird.

Fünf Filme aus 16 Jahren umfasst das Werk von Reygadas. Mehr hat er nicht gebraucht, um sich als Regisseur und Drehbuchautor mit sehr eigener Handschrift zu etablieren. Eigentlich war schon 2007 mit „Stellet Licht“ klar, dass der damals 36-Jährige im Stande ist, seine wenig bescheidenen Ambitionen in angemessene Bilder zu gießen.

Ausgefeilte Tableaus und herausfordernde Ruhe

„Stellet Licht“ erzählt er von einem Familienvater in einer mennonitischen Gemeinde im Norden Mexikos, der sich in eine andere Frau verliebt. Die Figuren sprechen Plautdietsch, eine Art des Niederdeutschen, und sehen in ihren Latzhosen und schlichten Kleidern aus wie aus der Zeit gefallen. Sie weinen viel und überlegen ganz offen, ob ihre Gefühle nun das Werk des Teufels oder doch Gottes Wille sind.

Reygadas, der sich gern mit religiösen Ritualen beschäftigt, inszeniert die Geschichte in ausgefeilten Tableaus und mit einer Ruhe, die herausfordert. Der Regisseur arbeitet stets mit Laiendarstellern, ihre Reaktionen wirken gedämpft, der Wirklichkeit seltsam entrückt. In seinem aktuellen Film „Nuestro Tiempo“ (am 27. Juni im Kino) spielt Reygadas einen Stierzüchter, dem man über drei Stunden beim Bröckeln seiner Männlichkeit zuschaut, als seine Partnerin (Reygadas' Frau Natalia López) die versprochene Offenheit in ihrer Ehe einfordert.

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Doch auch wenn das Kino des Regisseurs von persönlichen Bezügen und intuitiven Bildern lebt, ist es nicht autobiografisch zu verstehen. Vielmehr rückt es in die Nähe der Dichtkunst. In „Post Tenebras Lux“ von 2012 reiht er Szenen aneinander, die keinem unmittelbar schlüssigen Zusammenhang mehr folgen. So fügen sich die Ausschnitte aus dem Leben einer Familie in der Provinz erst im Rückblick zu einem bedrückenden Spiel der Zeit- und Wirklichkeitsebenen. Nach der Uraufführung in Cannes wurde das Werk gnadenlos ausgebuht, um am Ende den Regiepreis zu bekommen.

Reygadas verbrachte 15 Jahre in Europa. In England entdeckte er sein Talent fürs Rugby, er brachte es sogar auf Spiele im mexikanischen Nationalteam. Brüssel war eine weitere Station für den studierten Juristen, allerdings ödeten ihn die diplomatische Kreisen dermaßen an, dass er seinen ersten Film in Angriff nahm.

Sexszene sorgt in Cannes für einen Skandal

Der heißt „Japón“, und wie es sich für einen Meister des Widersprüchlichen gehört, hat das Werk nichts mit Japan zu tun. Er handelt von einem Maler, der sich aus Mexiko-Stadt in ein Bergdorf zurückzieht, um sich umzubringen. Er findet Unterkunft bei einer indigenen Frau, deren gütiges Wesen und unerschütterlicher Glaube seinen Lebenswillen zurückbringen. Mehr noch: Er verliebt sich in die Greisin und bringt sie dazu, mit ihm zu schlafen – was Reygadas auch zeigt.

Mit seinen freizügigen sexuellen Darstellungen sorgte Reygadas mit „Battle in Heaven“ 2005 in Cannes sogar für einen Skandal. Im Film schläft der Protagonist, ein Chauffeur, dessen Körperumfang nicht unbedingt den allgemeinen Schönheitsnormen entspricht, erst mit seiner Frau und dann mit der Tochter seines Chefs, erst mit seiner Frau und dann mit der Tochter seines Chefs. Während die Kamera dem Akt beiwohnt, driftet sie aus dem Fenster und dreht eine Runde über den Dächern der Stadt, bevor sie ins Zimmer zurückgleitet, wo die Körper inzwischen zur Ruhe gekommen sind.

In den Filmen Reygadas’ führt die intuitive Kamera (Alexis Zabé und Diego García waren hier auch international stilbildend) ein Eigenleben. Nie kann man sich sicher sein, welchem Gedanken der Figuren sie als nächstes folgen wird. Auch diese Unberechenbarkeit macht seine Filme einzigartig – ob man sein Kino nun prätentiös findet oder schlichtweg genial.

- Vom 21. bis 30. Juni im Kino Arsenal

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