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Miguel Nunes in einer Filmszene von "Cartas da guerra"

© Berlinale

"Cartas da guerra" im Berlinale Wettbewerb: Bis ans Ende der Welt

Angolanische Meditationen: „Cartas da guerra“ erzählt im Wettbewerb der Berlinale eine Geschichte von Sehnsucht in der Ödnis der Stationierungsalltags.

Jetzt doch lieber eine Synchro. So schön es ist, die Wettbewerbsfilme neuerdings englisch und deutsch untertitelt zu sehen: Die betörende portugiesische Frauenstimme spricht aus dem Off unablässig Text, der zudem so gar nicht zu den bedrückenden Bildern passen will. Was denn nun: die ekstatischen Liebesbekundungen lesen oder die Bilder von Militärs betrachten, die per Schiff nach Angola gebracht werden – und dann spielt auch noch ein Bordorchester melancholische Musik dazu?

Eine Elegie in Schwarz-Weiß ist dieser dritte Spielfilm des Portugiesen Ivo M. Ferreira, eine Meditation und ein kaum von gesprochener Leinwand-Interaktion unterbrochener Monolog. Ein Zweistundentraum auch: Die afrikanische Bilderlandschaft fungiert als die Außenseite jener verlesenen Seelenlandschaft von Briefen, die der in Angola stationierte junge Militärarzt und spätere weltberühmte Romancier António Lobo Antunes an seine schwangere Frau in die Heimat schrieb. Ein Hin und Her zwischen Welten, mehr Nacht als Tag, mehr Schwarz als Weiß, mehr Melancholie als militärische Aktion.

Die ersten Versuche der literarischen Tätigkeit

Es gibt die – in Portugal nur mäßig aufgearbeitete – große Geschichte: Noch ein Jahrzehnt nachdem die meisten afrikanischen Kolonien die Unabhängigkeit erkämpft hatten, führte die Diktatur des Estado Novo gegen die Aufständischen in den von ihnen unterjochten Gebieten Krieg. Erst die Nelkenrevolution 1974 beendete dieses Kapitel. Und es gibt die private Geschichte des von 1971 bis 1973 in Angola stationierten Arztes Lobo Antunes und die Hunderte von Briefen an seine Frau. Nach deren Tod wurden sie 2005 von den beiden Töchtern veröffentlicht (deutscher Titel: „Leben, auf Papier beschrieben“).

Diese „Cartas da guerra“ sind ein sinnlicher, poetischer, langgedehnter Sehnsuchtsschrei. Zugleich zeugen sie von einem behutsamen politischen Erwachen, bilden eine Chronik der Vereinsamung und des Verstummens angesichts der Brutalität des Kriegs und der Ödnis des Stationierungsalltags und berichten von ersten Versuchen zur literarischen Tätigkeit. Die Filmbilder wiederum zeigen, als betont unsortierte Collage, in Holzverschlägen eingerichtete Schreibstuben, Schützengräben, Truppenbetreuungstingeltangel mit portugiesischen Sängerinnen, Folter, afrikanische Stammestänze, Erschießungen, Schachspiele des Arztes mit einem Hauptmann, der den Krieg selber sinnlos findet und seine Leute weitgehend schont, den Besuch eines Majors, der per Krankschreibung dringend nach Hause will, Tropenkoller, Guerillakoller, Landminenkoller, totale Abstumpfung und so fort. Möglichst weit fort.

Nichts geht voran - nur die Zeit

Der Schauspieler Miguel Nunes, mit seinen 28 Jahren so alt wie António Lobo Antunes damals, leiht dem Protagonisten seinen melancholisch-distanzierten Blick, die Kamera (João Ribeiro) tastet in langsamen Schwenks behutsam den Körper des Raumes ab, und gelegentlich geistert Margarida Vila-Nova als ersehnte Ehefrau, die die Briefe ihres Mannes laut liest, in ihrer Lissabonner Wohnung durchs Bild, eine pure Projektionsfigur. Nichts geht hier voran, nur die Zeit. Und die Wörter, mit denen der einstweilen romantische Briefeschreiber Lobo Antunes sich in der Tropenhitze delirierend voranfabuliert von Tag zu Tag. Erst später, in den Romanen ab 1979, verwandelt sich das in harte Wortwucht, in Zynismus und Misanthropie.

Nein, doch keine Synchro. Auch keine Untertitel. Lieber Portugiesisch lernen über Nacht und dem trägen Strom dieser sinnlichen Sprache folgen – um es mit Antunes’ Briefschlussformel zu sagen – „bis ans Ende der Welt“.

15.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 15 Uhr (HdBF) und 22 Uhr (International); 16.2., 18.30 Uhr (Neue Kammerspiele); 21.2., 17 Uhr (Berlinale-Palast)

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