zum Hauptinhalt

Kultur: "Casa di Goethe": Ein klassischer Schnitzer

Wie ein Dieb war er damals aufgebrochen: "Den 3. September 3 Uhr stahl ich mich aus dem Carlsbad weg, man hätte mich sonst nicht fortgelassen", vertraute Goethe seinem Tagebuch an.

Wie ein Dieb war er damals aufgebrochen: "Den 3. September 3 Uhr stahl ich mich aus dem Carlsbad weg, man hätte mich sonst nicht fortgelassen", vertraute Goethe seinem Tagebuch an. Bis auf seinen persönlichen Diener hatte er niemandem von seinem Reiseziel erzählt: Italien. Zehn Jahre lang in die Amtsgeschäfte des Weimarer Herzogs verstrickt zu sein, das war selbst den kreativen Kräften eines Goethe zu viel. Und so trat der Dichter seine "Flucht nach Italien, um sich poetischer Produktivität wieder herzustellen" an. Denn: "Die Begierde, dieses Land zu sehen, war überreif."

Doch Goethe ging es nicht um das "Dolce far niente" und die Erholung. Um die "Übung des Auges" und die Entwicklung seines "Kunstsinnes" war es ihm zu tun. Eine Annäherung an die bildende Kunst, die ihn nach zwei Jahren als Veränderten aus Italien zurückkehren ließ. Aus dem "Stürmer und Dränger" war in der Auseinandersetzung mit der Skulptur der Griechen und der Renaissance-Malerei besonders Raffaels endgültig der "Klassizist" geworden. Und ein Kunstkenner.

Doch wie sollte er die lebendigen, farbigen Eindrücke der Originalmalereien der Renaissance und des Barock zurückbringen in jenes nordische, ferne Weimar? Goethe wurde zum Kunstsammler. Seine besondere Liebe galt den Handzeichnungen und - wie jetzt eine Ausstellung in der "Casa di Goethe" in Rom zeigt - dem "Chiaroscuro", den Farbholzschnitten. Über 200 Blätter meist aus der Renaissance und dem Barock lagern in den Kunstsammlungen zu Weimar - zusammengetragen von Goethe für die erzherzögliche Sammlung. Zum letzten Mal war eine Auswahl 1957 zu sehen. Jetzt präsentiert Dieter Graf von der "Bibliotheca Hertziana" in Rom eine repräsentative Schau von 70 Xylographien, die später auch in Weimar und München gezeigt werden.

Der Farbdruck war eine heiß begehrte Angelegenheit - aber schwer herzustellen. Ugo da Carpi bat 1516 die Republik Venedig, ihm ein Privileg für eine "neue Art, hell und dunkel zu drucken", zu erteilen. Als Albrecht Altdorfer 1519 / 20 einen Mehrfarbdruck aus 6 Druckstöcken herstellte, galt das als Meilenstein. Doch wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten setzte sich zunächst Carpis "Helldunkelschnitt" aus zwei oder maximal drei Druckplatten durch. Und so bestehen auch die meisten von Goethe gesammelten "Chiaroscuri" aus drei Farben: einer in Braun oder Rot gehaltenen Grundtönung, Schwarz und jenem Weiß, das den Holzdrucken ihre dramatische Überhöhung verleiht. Der Schnitzer, der Druckplatten von Originalzeichnungen oder Gemälden herstellte, wurde selber zum Künstler. Allen voran jener besagte Ugo da Carpi, in Goethes Sammlung mit einem Heiligen Hieronymus nach Tizian vertreten und vielen Drucken nach Malereien von Raffael, den Goethe für das Maß der Renaissance-Malerei hielt, an dem er alle anderen Künstler maß.

Zurück in Weimar widmete Goethe dem neunteiligen Zyklus von Andrea Mantegna "Der Triumph Cäsars" seine besondere Aufmerksamkeit. 1820 hatte er die Holzschnitte von Andrea Andreani, die dieser am Ende des 16. Jahrhunderts anfertigte, erworben. Daraufhin begann Goethe eine lebhafte Korrespondenz mit Georg Heinrich Noehden in London, um sich den Zustand der in Hampton Court befindlichen Originale beschreiben zu lassen. Eine Beschäftigung, die letztlich 1823 in die kunsttheoretische Abhandlung "Julius Cäsars Triumphzug, gemalt von Mantegna" mündete. Goethe stilisierte Mantegna zum Symbol des von ihm vertretenen klassischen Kunstbegriffs. So stellte er fest, Mantegna "sei in das Althertum eingeweiht, er habe sich darein völlig versenkt" durch sein "Studium der Antike". Trotzdem gelinge ihm "die unmittelbarste und individuellste Natürlichkeit bei Darstellung der mannigfaltigsten Gestalten und Charaktere". Ein Gegensatz von Stil und Natur, der bei Mantegna zu einer überzeugenden künstlerischen Einheit verschmelze. Das Ideelle und das Natürliche seien hier verflochten.

Es ist auch dem "Casa di Goethe" zu verdanken, dass die von Goethe gesammelten Farbholzschnitte jetzt wieder öffentlich zu sehen sind, ja dass nun mit einer wirklichen wissenschaftlichen Erschließung der Bestände begonnen wurde. Und so sind die 70 manchmal dramatischen, manchmal wunderbar melancholisch-stillen Drucke - wie etwa Antonio Maria Zanettis "Maria mit dem Jesusknaben" nach Parmigianino - eine gute Gelegenheit, das vierjährige Bestehen des einzigen deutschen Museums im Ausland zu feiern. Und Anlass für eine kleine Bilanz. Denn wer erwartet hätte, in der ehemaligen Wohnung des Dichters in der Via del Corso eine verstaubte Goethe-Gedächtnis-Stätte vorzufinden, wird überrascht: Schon das Goethe-Bild im Eingang von Andy Warhol verrät, dass man hier einem erweiterten Goethebegriff huldigt. Denn nur ein kleiner Teil der 600 Quadratmeter Fläche sind Goethe-Artefakten wie Zeichnungen und Büchern vorbehalten. Viel Raum steht für Wechselausstellungen zur Verfügung, der manchmal klassisch bespielt wird, wie mit den Chiaroscuri, manchmal auch zum Experimentierfeld mutiert. Wie etwa mit der Installation von Konstantin Grcic, der Alltagsgegenstände Goethes in coolen Schaukästen präsentierte, im Moment zu sehen im Goethe-Museum in Weimar.

Goethe wird zum Vorwand oder Gegenstand einer künstlerischen Auseinandersetzung, wie etwa bei den von Paul Cassirer in den 20er Jahren angeregten Illustrationen von Goethe-Gedichten von Max Liebermann, Ernst Barlach, Hans Meid und Karl Walser, die im vergangenen Jahr gezeigt wurden.

Goethe als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt, das ist ein offenes Konzept, das den Klassiker behutsam in die Moderne überführt. Und so ist die Leiterin des Museums, Ursula Bongaerts, auch stolz darauf, dass inzwischen 40 Prozent der Besucher Italiener sind, neben dem großen Anteil deutscher Touristen. So war die am besten besuchte Ausstellung die über die "Düsseldorfer Kompagnie", eine Gruppe von Landschaftsmalern, die Italien im 19. Jahrhundert auf den Spuren Goethes bereiste. "Italiener lieben Ausstellungen, wo über die eigene Umgebung mit fremdem Blick reflektiert wird", sagt Bongaerts. Natürlich hat es die "Casa di Goethe" schwer, neben dem riesigen Kulturangebot der heiligen Stadt zu bestehen. Und auch deswegen war es richtig, hier auf eine Anknüpfung an die Moderne zu setzen, die in Rom fast vollständig fehlt - so etwa mit der Ausstellung Barlach und Goethe, die den norddeutschen Künstler zum ersten Mal in Italien präsentierte.

Vier Jahre ist eine kurze Zeit im Kulturgeschäft. Und doch hat die "Casa" inzwischen ihren Platz in der italienischen Hauptstadt gefunden. Die italienischen Tageszeitungen besprechen die Ausstellungen, und mit den deutschen Instituten, wie etwa dem Goethe-Institut, aber auch dem Germanistik-Fachbereich der Universität hat sich eine enge Zusammenarbeit entwickelt.

Von den Eindrücken seines zweijährigen Italienaufenthaltes hat Goethe ein ganzes Künstlerleben gezehrt. Die durch die Amtsgeschäfte in Mitleidenschaft gezogene "poetische Produktivität" hat er wiederbelebt und über die Jahrzehnte erhalten können. Doch auch Goethe-Themen sind endlich. Wie die "Casa di Goethe" mit kreativen Goethe-Ableitungen Haus hält, werden die nächsten Jahre zeigen. Der Anfang war viel versprechend.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false