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Knallige Zeilen wie Tattoos. Der Rapper Casper.

© imago/STAR-MEDIA

Casper in der Max-Schmeling-Halle: Party im Ersatzteillager

Dauerfeuer der Zitate: Der Rapper Casper spielt in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle.

„Alles was ich will, ist kein Teil von euch sein“: Casper schleudert diese Zeilen aus „Wo die wilden Maden graben“ ins Publikum wie ein verschwitztes T-Shirt in den Wäschekorb. Das Publikum fängt sie dankbar auf. Ein schöner Moment, weil er den Widerspruch dieses Heimspiels zusammenfasst: Die Musik des Rappers besitzt tatsächlich gehöriges Identifikationspotenzial. Dennoch steht sie für sich. Die Bandshirts und Turnbeutel in der Crowd verraten, dass Casper-Anhänger auch die Musik von Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet und K.I.Z. schätzen. Aber musikalisch verbindet die vier Acts nicht viel, inhaltlich noch weniger: Casper ist der Mann für den süßen Zweifel, verpackt in Zeilen voller großer Gesten, die auch Tätowierungen sein könnten. „Wir scheitern immer schöner, sind Versager mit Stil“, rappt er in „Der Druck steigt“. An anderer Stelle heißt es: „Mal bist du der Jäger, mal der Bär“. Das Publikum, laut Casper „stabil“, beherrscht all diese Worte aus dem Effeff.

Vor Kurzem erschien Caspers viertes Album „Lang lebe der Tod“, er ließ sich Zeit dafür. Ein für Ende 2016 angesetzter Veröffentlichungstermin wurde wie eine Tour gestrichen, Casper ging noch einmal ins Studio. Ein im Musikbusiness seltener Schritt, Fans vergessen bekanntlich schnell. Doch das Innehalten und die zusätzliche Arbeit lohnten sich.

„Lang lebe der Tod“ stieg wie schon die letzten beiden Platten sofort nach Erscheinen auf Platz eins der deutschen Albumcharts ein. Es ist textlich deutlich variantenreicher als die Vorgänger, vor allem aber gilt: Es erweitert Caspers Mix aus fragilen, betont emotional rausgehusteten Raps und im weitesten Sinne im amerikanischen Postcore der Frühnuller grundierten Gitarren – die Bezeichnung Crossover hört Casper nicht gerne – um Einflüsse aus der zeitgenössischen Bassmusik und wartet mit einer interessanten Gästeliste auf: Neben Einstürzende-Neubauten-Veteran Blixa Bargeld hört man den Schweizer Sänger Dagobert, die amerikanischen Indierocker Portugal. The Man, den Rapper Ahzumjot und den juvenilen Berlin-Düsterboy Drangsal hört man den Schweizer Sänger Dagobert, die amerikanischen Indierocker Portugal.

Marteria als Bühnengast

Drangsal und Ahzumjot sind Bühnengäste in der Max-Schmeling-Halle. Wie Drangsal bei „Keine Angst“ die Bühne abschreitet, wie sein Wave-Gesang mit der Stimme Caspers eine Einheit bildet, ist beglückend. Noch frenetischer gefeiert wird nur ein anderer Besucher: Bei „So Perfekt“, einem Song, der zwischen den neuen, deutlich abgekühlten Tracks wirkt wie ein Gruß aus einer fernen Epoche, kommt Marteria dazu. Der Rostocker war schon auf der Studioversion des 2011 auf Caspers Durchbruch-Album „XOXO“ veröffentlichten Tracks dabei. Ein Casper-Konzert hat so ein Wundertütending zu sein. Ein Bam-Bam-Bam, ein Dauerfeuer. Eine Aneinanderreihung von Höhepunkten, vor allem aber ein einziger Zitatereigen, musikalisch wie verbal. Spielt die Band da gerade wirklich den alten Metallica-Klopper „Enter Sandman“ an? „Das bisschen Totschlag“, kennen wir das nicht von den Goldenen Zitronen? Und die Sache mit dem „ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin“ von Kettcar bzw. Slime?

Casper gemeindet all das ein in seine Musik, aber nicht im Rahmen einer feindlichen Übernahme. Eher ist es eine respektvolle Verinnerlichung, die man ihm in jeder Sekunde abnimmt und die ganz gut erklärt, wo Unterhaltungsmusik heute steht: Rock als Impulsgeber hat ausgedient, entsprechende Konzerte sind mittlerweile oft deprimierende Ü-35-Angelegenheiten. Das Genre ist zu einer Art Ersatzteillager geworden, dessen Inhalt nach Belieben neu kontextualisiert werden kann, dessen Stilistik aber live nach wie vor prägend ist.

So wird Casper von einer klassischen Rockband unterstützt, was dem Abend jene Dynamik verleiht, die Hip-Hop-Konzerten sonst oft fehlt. Die Bühnensituation ist klug ausgedacht, für zwei Songs schwebt Casper hoch über dem Publikum – gegen Ende sucht er aber dessen Nähe, agiert von einem kleinen Bereich im hinteren Hallenrund aus. Ohne das ganze Tschingderassabum, beleuchtet nur von einem Scheinwerferkegel, wirkt er auf einmal fast verletzlich.

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