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Kultur: Castor-Transporte: Gefahrgut

Jürgen Trittin ist wütend. Nein, sauer, stinksauer sogar, als er sich in der aktuellen Stunde des Bundestages rechtfertigen muss.

Jürgen Trittin ist wütend. Nein, sauer, stinksauer sogar, als er sich in der aktuellen Stunde des Bundestages rechtfertigen muss. Unablässig geht sein rechter Arm auf und nieder, jeder Schlag aufs Pult des Bundestags würde einem Donnerhall gleichkommen.

Aber er schlägt nur in die Luft. Die ist geladen, denn die Abgeordneten von der CDU/CSU und FDP versuchen dem Umweltminister nachzuweisen, dass er Atomtransporte "verschwiegen und verheimlicht" hat, wie Gunnar Uldall für die CDU sagt. "Was ist daran ein Geheimnis?", brüllt Trittin zurück. Die Transporte von 3927 Kilogramm Uran und 154 Kilo Plutonium aus der stillgelegten Brennelementefabrik Hanau in die französische Wiederaufarbeitunganlage La Hague seien "Gegenstand von öffentlichen Anhörungen" gewesen. Jeder, der von den Transporten habe wissen wollen, hätte es seit Jahren wissen können und folglich darüber schreiben können. Ein an sich unscheinbarer Artikel auf den hinteren Seiten der Berliner Zeitung hatte die Gemüter der Abgeordneten erregt. Darin wird von einer "unbemerkten Fuhre" von Atommüll berichtet.

Punktsieg gesucht

Für die Opposition kommt der Artikel gerade recht, hatte doch die CDU eine aktuelle Stunde zum Verhalten der Bundesregierung zu den Castor-Transporten ab Ende März beantragt. Das ist an sich schon ungewöhnlich, da die Bundesregierung dazu nur eine rechtsstaatliche Haltung einnehmen kann: Die Transporte müssen aufgrund internationaler Verträge und der Einigung im Atomkonsens sein, gewalttätige Demonstrationen werden abgelehnt.

Die angeblich verheimlichten Transporte kamen da genau richtig, sollten sie doch nachweisen, dass Trittin heimlich eine unrechtmäßige Atompolitik betreibt. Die Opposition hat für sich einen Punkt entdeckt, den sie in einen Sieg verwandeln möchte. Richtig ist, dass die frühere CDU-Umweltministerin Angela Merkel 1998 die Castor-Transporte verbieten musste. Allerdings war sie dazu gezwungen, nachdem herausgekommen war, dass die Atomindustrie ihr jahrzehntelang falsche Messergebnisse der Strahlenbelastung durch die Castoren mitgeteilt hatte. Die tatsächlichen Strahlenwerte waren bis zu 3000fach höher als zulässig. Von dem Verbot nicht betroffen sind jedoch die Uran- und Plutonium-Transporte, die nun öffentlich wurden. Die strahlenden Ladungen werden nicht in Castor-Behältern transportiert.

"Es gibt problematischere Transporte, aber es ist schon nicht gut, dass man davon aus der Presse erfährt", sagte Michael Müller, Umweltexperte der SPD, dazu. "Es wäre gut gewesen, man hätte mit offenen Karten gespielt", fand Atomgegner Müller gestern. Der Meinung schloss sich auch die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Michaele Hustedt, an. "Das Umweltministerium hätte schneller und zügiger reagieren müssen und genauer erklären müssen, worum es da eigentlich geht", sagte sie. Trittin müsste "ganz haargenau" darlegen, worum es sich handele. Das tat der Umweltminister am Nachmittag. Und erregte sich furchtbar. Denn wie sagte der Umweltexperte der SPD, Horst Kubatschka: "Es wird kein Skandal daraus".

Ganz anders die Lage in Frankreich. Jenseits des Rheins finden die umstrittenen Transporte unbenutzten deutschen Nuklearbrennstoffs kaum Beachtung. Es handele sich um einen ganz normalen kommerziellen Auftrag, erklärte ein Sprecher der Cogema, die die französische Wiederaufbereitungsanlage in La Hague betreibt. Weder die grüne französische Umweltministerin Dominique Voynet noch Premierminister Lionel Jospin wollten sich zu der Affäre äußern. Den Pariser Zeitungen war der umstrittene Transport keine einzige Zeile wert - mit Ausnahme von "Le Monde", die den "heimlichen Import deutschen Nuklearmülls" aufgedeckt hatte.

Die Cogema bestätigte den Eingang von bisher vier Atomtransporten seit dem Sommer vergangenen Jahres. Zehn weitere Lastwagenfuhren mit jeweils zwei Behältern warteten in Hanau noch auf ihren Abtransport. Nach Angaben der Cogema liegen die erforderlichen Genehmigungen für die Transporte und die Aufarbeitung des Hanauer Materials von französischer wie von deutscher Seite vor. "Wir sind vollkommen im Rahmen der Vorschriften", sagte der Cogema-Sprecher. "Für uns ist dieser ganze Vorgang eine rein industrielle Angelegenheit."

Alles nach Vertrag?

Nach Angaben von Branchenbeobachtern in Frankreich handelt es sich bei den Materialien um Brennelemente und Produktionsreste, die durch sich die lange Lagerzeit in Hanau zersetzt haben. In ihnen seien insgesamt rund 840 Kilogramm Plutonium enthalten, dazu kämen 60 Kilogramm Plutonium in flüssiger Form aus dem Versuchsreaktor in Karlsruhe. Das Plutonium zerfällt in einigen Jahren in strahlungsintensive instabile Elemente, die nicht als Brennstoffe taugen. Cogema spricht von ingesamt vier Tonnen Material, in dem 545 Kilogramm Plutonium enthalten sei.

Transport und Aufarbeitung der Hanauer Materialien erfolgen auf Basis eines Vertrages, den die deutschen Stromerzeuger und die Cogema im Jahre 1997 geschlossen haben. Cogema zufolge wurde die Vereinbarung von den deutschen und französischen Behörden gebilligt. Demgegenüber erklärte der Pariser Atomexperte Mycle Schneider (siehe Interview) gegenüber dem Tagesspiegel, dass die Aufarbeitung nicht durch den deutsch-französischen Vertrag abgedeckt sei. Die Genehmigung habe sich nur auf "Empfang, Entladung und Zwischenlagerung" der Hanauer Reste bezogen, die "in Lagerstäbe umgearbeitet und zu Elementen assembliert" worden seien.

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