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Je später der Abend, desto länger die Kleider. Martin Wuttke feiert den Untergang eines Gewaltherrschers.

© Georg Soulek/Burgtheater

Castorf-Premiere am Wiener Burgtheater: Endspiel mit Wurst

Frank Castorf stemmt in Wien „Die Krönung Richards III.“ von Hans Henny Jahnn – während das Burgtheater im Skandal versinkt.

Diese Burg gleicht einer strengen Kammer. Schwarze Zinnen ragen in einen mit rotem Latex verhängten Himmel. Düstere, nur durch Fackelschein erhellte königliche Schlafzimmer aus schwarzen Sperrholzwänden entpuppen sich als Folterräume auf einer Drehbühne, die beständig um eine leere Mitte kreist, bewacht von einem schwarzen Plüschpferd: Menetekel triebgesteuerter Herrschaft. Der Hofstaat Richards III. trägt Sturmhauben, eine metaphernreiche Mischung aus Terrorkommando-, Pussy-Riot- und Sadomasomasken. Rot, schwarz, bunt gemustert türmen sich die maskierten Köpfe in einem Haufen übereinanderliegender Leiber, ehe sich diese sonderbare Versammlung der Lords am britischen Königshof zu einer Polonaise formiert: „Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei. Jawohl mein Schatz, es ist vorbei!“

Nach dem Finanzskandal ist die Premierenstimmung gedämpft

Der Gesang des Ensembles klingt wie ein Echo auf das unwürdige Schauspiel, das Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann in den letzten Wochen veranstaltet hat und das am Tag vor dieser Premiere einen überraschenden Abschluss fand. Erstmals in der 240-jährigen Geschichte des ehrwürdigen Hauses wurde ein Direktor wegen einer Finanzaffäre fristlos entlassen – weil er seine Pflichten als Geschäftsführer verletzt habe, so der Vorwurf des Kulturministers Ostermayer, gestützt auf ein Rechtsgutachten. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, beklagte sich Hartmann nach dem Rauswurf, für diesen „Todesstoß“ hauptverantwortlich sei das Ensemble, das im Februar ein Misstrauensvotum gegen seinen Direktor beschlossen hatte.

Aufstieg und Fall des Intendanten Matthias Hartmann, über den nun vor dem Ende seines fünften Jahres an der Burg Hausverbot verhängt wurde, waren begleitet von einem Klima der Angst, wie man hinter den Kulissen vernehmen konnte. Und so erscheint die österreichische Erstaufführung von Hans Henny Jahnns „Die Krönung Richards III.“ wie ein Fanal und gleichermaßen melancholischer Abgesang auf das Ende eines Königs, dessen Sturz sich einsam vollzog. Denn kaum eine Stimme regte sich öffentlich, die noch Partei ergriffen hätte für Hartmann, der bis zuletzt alle Verantwortung für das Finanzdebakel von sich wies.

Ungewohnt gedämpft wirkte die Atmosphäre bei der Premiere von Jahnns „Richard III.“ in der Regie von Frank Castorf, der nach 15 Jahren erstmals wieder an der Burg inszenierte. Es hatte den Anschein, als sei das Publikum erschöpft wie nach einem Sturm der Verwüstung, der nach der ersten Pause auch mit allerhand Unrat über die Bühne fegte. Obgleich der Intendant der Berliner Volksbühne mit seiner eindringlich-konzentrierten Deutung von Jahnns expressionistisch aufgeladener „historischen Tragödie“ der Burg nun nach einer langen Phase künstlerischer Flaute paradoxerweise einen Theaterzauber bescherte.

Angelegt als grotesker Grand Guignol aus Tragödie und Slapstick, begleitet von bedrohlichen Geisterbahnsounds und Orgelspiel, zeigt Castorf das Ungeheuer Mensch in seiner glanzlosen Banalität. Trägt Martin Wuttkes Richard III. anfänglich noch die Maske Mephistos wie einst Gustaf Gründgens, in der Hand einen Pferdeschweif, so verwandelt er sich alsbald in eine Art langhaarigen Voodoo-Priester in buntem Zaubermantel. Wie im Drogenrausch hängen geblieben, singt er zu den düsteren Klängen der Doors und rutscht in den Fäkalien aus, die sich aus dem mittelalterlichen Plumpsklo ergießen.

Martin Wuttke und Sophie Rois sind ein teuflisches Paar

Mit Sophie Rois als Königin Elisabeth entsteht ein kongenial teuflisches Paar: Zärtlich flüsternd nähert sie sich mit weißer Federperücke dem jungen Pagen Furyalus, den sie am liebsten kannibalisch verspeisen möchte, lässt kurzerhand einen anderen Knaben kastrieren (Markus Meyers nackter Paris dreht noch in der Folterkammer glanzvolle Pirouetten) und erliegt schließlich dem Werben von Wuttkes Mephisto. Zärtlich küssen sie einander – Turteltauben der Vernichtung.

Jahnn bezeichnete den Menschen aufgrund seiner Destruktivität einst als „Schöpfungsfehler“. So zeichnete er mit seiner zwischen 1916 und 1920 im norwegischen Exil vor dem Hintergrund der Katastrophe des Ersten Weltkriegs entstandenen „Krönung Richards III.“ das fiebrige Porträt eines von Todessehnsucht gezeichneten und mit Gott hadernden Bösewichts, der am Ende, anders als bei Shakespeare, keine Erlösung findet im Tod. Inzest, Sodomie und Gewalt prägen Jahnns Gesellschaftsporträt in drei Akten, das Castorf mit Fragmenten aus Texten des französischen Theaterrebellen Antonin Artaud, des Erotomanen Georges Bataille und aus Heiner Müllers Revolutionsstück „Der Auftrag“ ergänzt.

So gelingt Castorf ein anspielungsreiches, manchmal etwas langatmiges Textgeflecht, indem die eingeschobenen Passagen Jahnns Tragödienszenen durch geschickte Brechung eine Gegenwärtigkeit verleihen, die nicht nur die Revolution als Widerstand gegen menschliche Unterdrückung fokussiert, sondern auch das Theater selbst, im Verweis auf das Hier und Jetzt des Spiels. Sei es in der Persiflage des hohen Tragödien-Tons und großer Gesten, wenn Rois ihre Stimme vom zarten Flüstern über die manierierte Betonung bis zum tiefen Krächzen moduliert; sei es in Oliver Masuccis Ausruf als Buckingham: „Martin, du musst wissen, wer deine Freunde sind!“; sei es in Hermann Scheidleders Geschrei unter der Fäkaldusche; sei es in Jasna Fritzi Bauers tierischem Meckern oder in Ignaz Kirchners eindringlichem Auftritt als des Königs Narr, der seine Offenheit mit einem Fenstersturz bezahlt.

Es ist unsere Zeitgenossenschaft an der Tragödie, die Castorfs spielfreudiges Ensemble in Bert Neumanns Ausstattung überzeugend spürbar macht an einem Abend, der erstaunlich textkonzentriert zunehmend in Nebel und Dunkelheit versinkt. Bis Martin Wuttkes Richard nackt über die Bühne läuft, Asche verstreut, um schließlich mit zwei schwarzafrikanischen Paaren ins Suaheli und in tranceartige Voodoo-Tänze zu verfallen.

Am Ende steht der König im Dunkel, vor einem Haufen weißer Baumarktplastikstühle: „Weh mir, ein neuer Tag ist da, und ich bin einsam in dem Licht“, verhallt es im Finale einer Inszenierung, die als sechsstündige Meditation das scheinbar unumstößliche Herrschaftsbewusstsein der Menschen umkreist.

Christina Kaindl-Hönig

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