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Thomas Strobl, Landesvorsitzender der CDU Baden-Württemberg

© Bernd von Jutrczenka/dpa

CDU-Vize Thomas Strobl im Interview zu Flüchtlingen: "Wir müssen dafür arbeiten, dass gar nicht erst so viele zu uns kommen"

Angesichts steigender Flüchtlingszahlen fürchtet der CDU-Vize Thomas Strobl, Deutschland könne an seine Grenzen kommen. "Parteitaktische Spielchen" mit Flüchtlingen findet er unverantwortlich und "sogar schäbig".

Von Robert Birnbaum

Wie viele Flüchtlinge verträgt das Deutschland des Jahres 2015?

Natürlich gibt es da formal keine Obergrenze. Aber ich habe den Eindruck, dass wir an faktische Grenzen gelangen könnten. Ich war vor einigen Tagen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe. Bis vor einiger Zeit kamen dort 300 Menschen im Monat an, heute sind es 300 am Tag. Wir kommen in Bereiche, wo das System aus den Fugen geraten kann.

Was kann, muss, soll man tun?

Es gibt keine einzelne Maßnahme, die die Probleme löst. Wir müssen an viele Stellschrauben ran. Wir dürfen nicht nur an den Symptomen herumdoktern und darüber debattieren, wer wem noch mehr Geld geben muss oder wie wir Flüchtlinge verteilen. Wir müssen dafür arbeiten, dass gar nicht erst so viele Personen zu uns kommen.

Politisch Verfolgte genießen Asyl ...

Das ist völlig klar: Für die Menschen, die zum Beispiel aus Syrien oder dem Nordirak fliehen, vor einem furchtbaren Bürgerkrieg oder vor Folter, Vergewaltigung und Mord, ist unser Asylrecht da. Aber für Flüchtlinge vom Westbalkan ist, bei allem Verständnis für ihre großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, das Asylrecht der falsche Weg. Deswegen müssen wir dorthin ein klares Signal senden: Verkauft nicht euer Haus, um den Schleuser zu bezahlen, denn wir werden Euch zurückschicken, und dann steht Ihr mit noch weniger, mit ganz leeren Händen da!

Praktiker sagen: Solche Abschreckung funktioniert nicht, weil sich für diese Menschen selbst ein erfolgloses Asylverfahren finanziell lohnt.

Diese Praktiker haben recht. Ein Flüchtling bekommt hier pro Monat 140 Euro Taschengeld. Das mag für spezielle Gutverdiener hierzulande ein Nasenwasser sein. In Albanien verdient jemand wie ein Polizist aber vielleicht 250 Euro. Die Aussicht auf Bargeld ist für viele Menschen dort schon Fluchtgrund genug. Deshalb müssen wir zwingend diese finanziellen Anreize minimieren und jedenfalls während des Anerkennungsverfahrens wieder komplett auf Sachleistungen zurückgehen.

Der Landkreis Lörrach behilft sich anders: Er zahlt freiwilligen Rückkehrern eine ansehnliche Prämie. Locken die Lörracher also Flüchtlinge geradezu an?

Ich kenne eine ganze Reihe sehr pragmatischer Landräte, die ihre Probleme vor Ort auf unkonventionelle Weise lösen. Ich habe dafür Verständnis. Aber ein Modell für ganz Deutschland ist eine Rückkehrprämie natürlich nicht.

Ist das bayerische Modell richtig, absehbar chancenlose Bewerber zu konzentrieren und für eine rasche Entscheidung und Rückführung zu sorgen?

Wir sprechen über dieses Modell mit allen Bundesländern, und viele streben diese Lösung richtigerweise an. Wir müssen schnell unterscheiden zwischen Flüchtlingen mit Bleibeperspektive – die wir dann rasch in die Kommunen bringen und entschlossen bei der Integration unterstützen können – und solchen Menschen, bei denen die Anerkennungsquote nahe Null liegt. Etwa die Hälfte der Asylbewerber fällt unter diese zweite Gruppe. So zu unterscheiden, brächte eine riesengroße Entlastung für die Landkreise und Kommunen.

Aber liegt das Problem nicht darin, dass es an Sachbearbeitern mangelt, die obendrein jeden Einzelfall prüfen?

Selbstverständlich muss es eine Einzelfallprüfung geben. Die rechtstaatlichen Grundsätze sind einzuhalten – ohne Wenn und Aber. Dafür braucht man aber nicht Monate und Jahre. Eine Verwaltungsentscheidung kann in Wochen, ja in Tagen getroffen werden. Bei Menschen aus sicheren Herkunftsländern gibt es dann nur noch eine gerichtliche Instanz zur Überprüfung und verkürzte Rechtsmittelfristen. Das ist ein rechtstaatlich einwandfreies Verfahren, das in wenigen Monaten abgeschlossen sein kann. Der Bund schafft bei einer einzigen Behörde, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, insgesamt 2000 neue Stellen. Die zu besetzen braucht seine Zeit, aber die Verfahren verkürzen sich schon zusehends. Man muss aber gleichzeitig sagen: Ein rechtsgültig abgelehnter Asylbewerber, der dann nicht abgeschoben wird, entlastet die Kreise und Gemeinden nicht.

Die Länder sind zu nachlässig?

Wenn ich mir Bundesländer wie NRW, Niedersachsen oder mein Heimatland Baden-Württemberg ansehe, muss ich sagen: Da ist noch Luft nach oben. Es spricht sich in Kosovo, Albanien oder Montenegro schnell herum, ob man aus Deutschland rasch wieder abgeschoben wird oder damit rechnen kann, Monate und Jahre zu bleiben.

Ministerpräsident Kretschmann will Flüchtlingen vom Balkan als Alternative zum Asylverfahren einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt anbieten. Kann das die Situation entspannen?

Bei uns ist heute schon jeder herzlich willkommen, der hier arbeiten kann und will. Aber zur Wahrheit gehört, dass unter den Flüchtlingen vom Westbalkan so gut wie keine Akademiker und kaum ausgebildete Kranken- und Altenpfleger sind. Man sollte nicht von Lösungen reden, die in Wahrheit keine sind.

Kretschmann will das grüne Gewissen beruhigen?

Es werden jetzt Nebenschauplätze eröffnet: Mehr Flüchtlinge in die neuen Bundesländer schicken, von qualifizierter Zuwanderung reden – das hat alles nichts mit der Lösung der wirklichen Probleme zu tun. Das Asylrecht und die qualifizierte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt sind zwei völlig verschiedene Dinge, die man nicht vermischen darf.

Die SPD vermischt gerade politisch: Sie will weiteren sicheren Herkunftsländern zustimmen, wenn die Union ein Einwanderungsgesetz mitträgt.

Diejenigen in der SPD, die etwas von der Sache verstehen, sprechen sich ohne Einschränkung dafür aus, weitere Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Daneben gibt es Äußerungen, die von weniger Sachkenntnis geprägt sind. Ich finde solche parteitaktischen Spielchen unverantwortlich und angesichts der Herausforderungen sogar schäbig.

Eine der drei Zukunftskommissionen der CDU plädiert für ein Einwanderungsgesetz. Werden Sie dafür im Parteivorstand Ihre Hand heben?

Was dort geschrieben steht – nämlich die bestehenden Gesetze zusammenzufassen –, kann man gerne machen. Gegen Vereinfachung und die Klarheit von Gesetzen ist nichts einzuwenden.

Horst Seehofer und andere behaupten, ein Einwanderungsgesetz jetzt wäre das falsche Signal an die Deutschen.

Wäre mit einem Einwanderungsgesetz eine Zunahme der Einwanderung gering qualifizierter Menschen verbunden, kann das in der Tat nicht in unserem Interesse sein. Die Rechtslage kann übrigens gar nicht ganz so katastrophal sein, wenn wir nach den USA derzeit das Industrieland mit der meisten Zuwanderung auf der ganzen Welt sind. Es gibt bei uns sehr viele offene Arme und Gott sei Dank auch offene Herzen.

Tun wir eigentlich genug für diejenigen, die aus Krieg und Bürgerkrieg flüchten?

Es muss jedenfalls mehr werden, in unserem eigenen wohlverstandenen Interesse. Die Menschen, die bei uns politisches Asyl erhalten, werden nicht in wenigen Monaten oder Jahren wieder gehen, weil sie in ihre Heimat nicht zurückkönnen. Wir müssen alles, wirklich alles tun, um sie hier bestens zu integrieren. Das beginnt mit dem Erlernen der Sprache. Wir müssen die Schulpflicht für die Kinder durchsetzen. Und selbstverständlich können wir diese Menschen nicht dauerhaft in Zelten unterbringen! Wir hätten besser gestern schon damit begonnen, für öffentlich geförderten Wohnraum zu sorgen. Das braucht jetzt Jahre – umso wichtiger ist es, sofort anzufangen. Das wird eine große Gemeinschaftsaufgabe für Länder, Kommunen und Bund.

Sozialwohnungsbau klingt immer so nach Betonghetto …

Das wäre ganz falsch. Ich komme aus Heilbronn, einer kleinen Großstadt. Fast die Hälfte der Menschen hat dort einen Migrationshintergrund. Nicht zuletzt durch eine kluge Städtebaupolitik ist es gelungen, dass es zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen keinerlei Probleme gibt.

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