zum Hauptinhalt
Die Central European University in Budapest.

© Bernadett Szabo/ REUTERS

CEU-Rektor Michael Ignatieff im Interview: „Wir werden diese Politik weiter bekämpfen“

Nachdem die Central European University aus Budapest verdrängt worden ist, startet sie neu in Wien. Ein Gespräch mit dem Rektor Michael Ignatieff.

Von Anna Sauerbrey

Herr Ignatieff, eineinhalb Jahre haben sie die Versuche der ungarischen Regierung bekämpft, Ihre Universität, die Central European University (CEU), zu schließen. Ende Oktober haben Sie angekündigt, dass die CEU von Budapest nach Wien umziehen wird. Ist das das Ende?

Wir haben angekündigt nach Wien zu ziehen, weil wir laut Gesetz nach dem 1. Januar 2019 keine neuen Studenten mehr aufnehmen dürften. Das ist allerdings keineswegs das Ende. Wir bieten unsere US- Programme ab September 2019 in Wien an. Wir haben Räumlichkeiten gemietet. Wir haben die Genehmigung unserer Akkreditierungsagentur. Und trotzdem: All das ist ein Skandal mitten in Europa!

Die „Lex CEU“, das Gesetz mit dem die Schließung Ihrer Universität erreicht werden sollte, legt fest, dass ausländische Universitäten, die in Ungarn forschen und unterrichten, auch einen Campus außerhalb des Landes haben müssen, was bei der CEU zunächst nicht der Fall war. Ihre Universität hat daraufhin einen Kooperationsvertrag mit dem amerikanischen Bard-College abgeschlossen. Warum reichte das nicht?

Wir haben alles versucht, um dem Gesetz Genüge zu tun. Aber die Regierung hat das nicht anerkannt. Sie haben uns ununterbrochen der Täuschungsabsicht beschuldigt, wovon wir einfach die Nase voll haben. Sie wollen keinen Kompromiss.

Welche politische Unterstützung haben sie erhalten und hätten Sie sich größeren Druck erhofft?

Der US-Kongress und das US-Außenministerium haben uns unterstützt, ebenso die Botschaft in Budapest. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerin Angela Merkel, der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber und andere Mitglieder des Europäischen Parlaments haben öffentlich Kritik geäußert. Ich will das nicht werten, außer zu sagen: Es hat nicht gereicht. Das ist ein Problem für Europa. Da gibt es einen Premierminister, der einfach nicht auf seine Kollegen hört.

Glauben Sie, dass das Thema für europäische Politiker jetzt erledigt ist?

Es gibt eine Klage gegen die „Lex CEU“ vor dem Europäischen Gerichtshof. Aber die Mühlen der europäischen Justiz mahlen langsam. Wir können nicht warten. Ich muss im September Studenten in unseren Seminaren unterbringen.

Der kanadische Schriftsteller und frühere Politiker Michael Ignatieff, 71, ist seit 2016 Preäident und Rektor der Central European University (CEU) in Budapest.
Der kanadische Schriftsteller und frühere Politiker Michael Ignatieff, 71, ist seit 2016 Preäident und Rektor der Central European University (CEU) in Budapest.

© ATTILA KISBENEDEK/AFP

In Ungarn gab es eine Kampagne gegen die Stiftungen des Milliardärs und Philanthropen George Soros, also die CEU und die Open Society Foundations, die zivilgesellschaftliche Gruppen unterstützen. Die Foundations sind gerade nach Berlin gezogen. Mitarbeiter sagen, dass sie in Budapest zunehmend Angst vor Drohungen oder gesellschaftlichem Druck hatten...

Ich habe mich in Ungarn nicht bedroht gefühlt. Dennoch ist es unangenehm, in einem Land zu arbeiten, in dem man 24 Stunden am Tag dem propagandistischen Sperrfeuer eines Ein-Parteien-Staates ausgesetzt ist. Wir haben ein ganzes Jahr mit „Don’t let Soros have the last laugh – Lasst nicht zu, dass Soros zuletzt lacht“ verbracht (eine Plakatkampagne der ungarischen Regierung, Anm. der Redaktion).

Die Dämonisierung von Soros ist vielerorts eine Strategie der Rechten. Bedient werden damit auch antisemitische Ressentiments. Die erwähnte Kampagne greift auf den Topos vom „lachenden Juden“ zurück. Denken Sie, dass sie davon in Wien frei sein werden?

Ich glaube, wir werden nirgendwo davon frei sein. Wir müssen das bekämpfen. Wir haben es in Budapest bekämpft, und wir werden es in Wien bekämpfen.

Wie wird sich die Arbeit der Universität in Wien verändern?

Auf gewisse Weise wird sich unsere Arbeit gar nicht verändern. Ich glaube allerdings, dass sich die Aufgaben der Universitäten insgesamt in den vergangenen zehn Jahren verändert haben. Ihre zentrale Aufgabe ist es heute, junge Leute in der Disziplin der Wahrheit auszubilden. Wir leben heute alle in Demokratien, in denen wir fragen, was wahr ist. Das war unser Geschäftsmodell in Budapest – und es ist dasselbe in Wien.

Gegründet hat George Soros die CEU 1991, um die Eliten eines demokratischen Mittel- und Osteuropas auszubilden. Kann diese Mission in Wien erfüllt werden?

Wir haben mittlerweile Studenten aus 120 verschiedenen Ländern. Die Aufgabe hat sich ausgeweitet auf Südsudan, Ghana, Nigeria. Wir streben außerdem an, in Berlin und Europa mit anderen Universitäten zusammenzuarbeiten. Aber ich wollte, dass die Universität in Mittel- und Osteuropa bleibt, in Wien und Budapest, weil ich denke, dass wir in dieser Region der Welt einen besonderen Auftrag haben. Wien liegt ja in Pendel-Distanz zu Budapest, das erlaubt uns, dort eine Identität zu erhalten.

Was heißt das?

Wir sind noch nicht sicher, was das Gesetz ermöglicht. Wir haben dort Forschungszentren und würden gern weiter unterrichten und unsere Angebote für die breitere Öffentlichkeit aufrechterhalten. Es wird nicht so leicht, uns loszuwerden, wie Herr Orbán sich das wohl wünscht.

Viktor Orbán ist im Sommer wiedergewählt worden. Wie stabil ist sein Regime?

Ich gehe davon aus, dass das ein sehr langlebiges Regime ist. Er hat viel Unterstützung. Es gibt eine ganze neue Klasse in Ungarn, die enorm von der Herrschaft der Fidesz profitiert hat, der Partei Orbáns. Ich glaube nicht, dass der nächste wirtschaftliche Sturm das Regime zum Kippen bringen wird oder die nächste strenge Predigt aus Brüssel. Aber es ist auch wichtig, daran zu erinnern, dass Regierungen kommen und gehen und Universitäten bleiben. Ungarn hat eine große intellektuelle Tradition, sie wird überdauern.

Derzeit läuft eine heftige Debatte darüber, ob das „Orbán-Virus“ sich andernorts ausbreitet. Es geht um die Frage, ob die liberale Demokratie stirbt. Wie sehen Sie das?

Die Erzählung ist gerade: Die Demokratie stirbt, der Populismus ist im Kommen. Der Kapitalismus ist in der Krise, die Eliten haben versagt. Ich könnte das fortsetzen. Diese Narrative helfen, das Leben zu sortieren. Aber mal ehrlich: Wer weiß, ob sie wahr sind? Das führt uns zurück zum Thema Universitäten: Universitäten sind dazu da, Narrative zu testen, nicht Narrative zu reproduzieren. Glaube ich, dass die Demokratie in einer tödlichen Krise steckt? Nein, glaube ich nicht. Sie ist herausgefordert, aber kluge Politik und gute Politiker können das reparieren. Wir brauchen gerade dringend etwas mehr historische Wendepunkt-Distanz. Wir sind gefangen in unserer Sehnsucht nach Geschichten und wir bevorzugen böse Geschichte. Etwas mehr Demut, bitte. Weniger Narrative, mehr Forschung!

Michael Ignatieff war in der vergangenen Woche auf Einladung der Alfred Herrhausen Gesellschaft und der Freien Universität in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false