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Kultur: Cézanne auf dem Trödel

Deutsche Kunstgeschäfte im besetzten Frankreich sorgen bis heute für DiskussionsstoffVON JÖRG VON UTHMANNDas Thema "Beutekunst" läßt die französischen Zeitungen nicht ruhen.Jede Woche erscheint eine neue Geschichte, in der jemand ein Kunstwerk reklamiert, das einem Verwandten in der Besatzungszeit abhanden kam und das er in einem Museum oder einem Auktionskatalog plötzlich wiederentdeckte.

Deutsche Kunstgeschäfte im besetzten Frankreich sorgen bis heute für DiskussionsstoffVON JÖRG VON UTHMANNDas Thema "Beutekunst" läßt die französischen Zeitungen nicht ruhen.Jede Woche erscheint eine neue Geschichte, in der jemand ein Kunstwerk reklamiert, das einem Verwandten in der Besatzungszeit abhanden kam und das er in einem Museum oder einem Auktionskatalog plötzlich wiederentdeckte.Wie es nach einem halben Jahrhundert nicht anders sein kann, fällt die Begründung dieser Ansprüche nicht immer leicht.Es war ein amerikanischer Journalist, der vor zwei Jahren die Aufmerksamkeit auf den blühenden Kunsthandel im besetzten Frankreich lenkte.In seinem Buch "Le musée disparu" beschuldigte Hector Feliciano die französischen Museen, sich nur geringe Mühe zu geben, die Eigentümer von herrenlosen Gemälden ausfindig zu machen, die ihnen nach dem Krieg in Verwahrung gegeben worden waren.Die staatlichen Museen beeilten sich, gut 2000 mit dem Kürzel "MNR" (Musées nationaux récupération) markierte Werke in das Internet einzuspeisen. Zwischen Oktober 1940 und Juli 1944 hatte der sogenannte "Einsatzstab Rosenberg" in den besetzten Westgebieten 203 jüdische Sammlungen mit nahezu 22 000 Kunstgegenständen konfisziert.Ein Vielfaches davon erwarben deutsche Sodaten, Sammler und Museen auf dem damals außergewöhnlich preisgünstigen französischen Markt.Auch der Kunstfreund Hermann Göring kam mehr als zwanzigmal nach Paris, um seine Sammlung zu arrondieren.Diese Geschäfte wurden von den Alliierten im Januar 1943 pauschal für nichtig erklärt - keine unverständliche Reaktion angesichts der von der Besatzungsmacht verfügten Franc-Abwertung und der Wahrscheinlichkeit, daß so mancher Verkauf weniger einem freiwilligen Entschluß als Angst und Not entsprang.Nach dem Krieg bekam Frankreich 61 000 Kunstgegenstände zurück.45 000 wurden von ihren früheren Eigentümern identifiziert und zurückgefordert.Was aus den verbleibenden 16 000 Werken wurde, ist nicht ganz klar.Wurden sie versteigert? Verschwanden sie auf dem Kunstmarkt? Oder zieren sie heute die Diensträume französischer Bürokraten? Die Museen behaupten jedenfalls, außer den mit "MNR" ausgewiesenen 2000 Werken keine Kriegsbeute mehr zu besitzen.Eine im letzten Jahr von Premierminister Juppé eingesetzte Kommission unter dem Vorsitz von Jean Mattéoli soll nicht nur Licht in dieses Dunkel bringen, sondern auch in andere, von tiefen Nebelschleiern eingehüllte Fragen - wie die Enteignung jüdischen Grundbesitzes, die "Arisierung" jüdischer Betriebe oder den Verbleib des beschlagnahmten jüdischen Schmucks. Unterdessen treten Einzelkämpfer auf den Plan, die manchmal überraschende Ansprüche anmelden.Zu ihnen gehört der Sohn des Trödlers Lebovici vom Flohmarkt von St.Quen, der aus der "MNR"-Masse einen Cézanne und einen Renoir reklamiert.Sein verstorbener Vater, behauptet er, habe die beiden Bilder 1943 von einem anderen Trödler namens Abramovici erworben.Aber wie kam Abramovici an die Bilder? Da er in Auschwitz umkam, kann er die Frage nicht mehr beantworten.Auch Lebovici wurde nach Auschwitz deportiert.Doch er überlebte.Nach seiner Rückkehr, sagt der Sohn, sei der Vater so verstört gewesen, daß er sich um sein geraubtes Eigentum nicht habe kümmern wollen.Kann man ihm glauben? Nicht auf dem Flohmarkt, sondern im piano nobile des internationalen Kunsthandels wechselten Braques "Mann mit Gitarre" und die acht illuminierten Handschriften den Besitzer, die jetzt die Erben des jüdischen Sammlers Alphonse Kann - eines Mitschülers von Marcel Proust - zurückfordern.Der "Mann mit Gitarre" gehört heute dem Centre Pompidou; er ist ein Geschenk von Heinz Berggruen.Die raren Handschriften wurden nach dem Krieg von der Kunsthändler-Dynastie Wildenstein zurückgefordert.Doch entdeckte ein amerikanischer Forscher im vergangenen Jahr die Markierung "KA", mit der der "Einsatzstab Rosenberg" seine Beute aus der Kann-Sammlung kennzeichnete. Für den größten Coup sorgte jedoch eine deutsche Kunsthistorikerin.Sabine Fehlemann, Direktorin des Von-der-Heydt-Museums in Wuppertal, ortete im Louvre nicht weniger als acht Werke von Delacroix, Courbet, Renoir und anderen Meistern, die ihre Amtsvorgänger im besetzten Paris billig erworben hatten.Die möchte sie jetzt zurückhaben.Doch stieß sie mit ihrer Forderung bei den deutschen Behörden, die sie um Amtshilfe ersuchte, nur auf lauwarme Gegenliebe.In Frankreich wird ihr Handstreich als naiv und taktlos empfunden.Daß sie sich hier auf vermintem Gelände bewegt, dämmert inzwischen sogar der Mattéoli-Kommission.Als sie im Begriff war, ihre Aufmerksamkeit der "Arisierung" jüdischer Unternehmen zuzuwenden, verbrannten in einem Lagerhaus von Le Havre meterweise Bankakten, die eben hierüber hätten Aufschluß geben können.

JÖRG VON UTHMANN

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