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Ein Mann von Welt. Charles Gounod im Jahr 1890, porträtiert von seinem berühmten Zeitgenossen, dem Fotografen und Karikaturisten Nadar.

© Nadar

Charles Gounod 200: Melodien der Seele

Immer effektvoll: Zum 200. Geburtstag des französischen Komponisten Charles Gounod.

Wer im 19. Jahrhundert in Frankreich als Komponist Erfolg haben wollte, für den gab es nur ein Ziel: die Oper. Sinfonik und Kammermusik interessierten nur Liebhaber, mit sakralen Werken ließ sich zwar Ansehen erwerben, aber kein Vermögen. Charles Gounod, geboren am 17. Juni 1818 im 6. Pariser Arrondissement, wollte Erfolg haben, unbedingt. Auch um seiner Mutter zu beweisen, dass ihre Mühen nicht umsonst gewesen waren.

Charles ist noch keine fünf Jahre alt, sein Bruder Urbain 15, als der Vater, ein Maler, stirbt. Die Mutter, die außer einer bürgerlichen Erziehung keinerlei Ausbildung genossen hat, funktioniert das Atelier in eine Malschule für Kinder um, gibt außerdem Klavierunterricht, um ihren Söhnen Gymnasium und Studium zu ermöglichen. Der Erstgeborene wird Architekt, Charles besteht die Aufnahmeprüfung am Conservatoire. Er bewirbt sich um den „Rom-Preis“, der dem Gewinner nicht nur einen Italienaufenthalt und Reisen durch den deutschsprachigen Raum verspricht, sondern auch ein üppiges, fünfjähriges Stipendium.

Im dritten Anlauf wird Gounod 1839 zum Sieger gekürt, organisiert sich in Rom gleich erste Aufträge und schreibt zwei Messen: eine im Stil des Barockmeisters Palestrina, eine nach dem Vorbild seines Pariser Hochschuldirektors Cherubini. Durch Fanny und Felix Mendelssohn lernt er außerdem Bach kennen und lieben. Zurück in Paris, nimmt er zunächst eine Stellung als Kirchenmusiker bei den Missions Etrangères an, später wird er Chorleiter des Orphéon de Paris. Parallel versucht er, die Aufmerksamkeit des Intendanten der Opéra zu erregen. Ein guter Weg führt dabei durch die Salons des (Geld-)Adels. Gounod schreibt romantische Kunstlieder – und findet in der Sängerin Pauline Viardot eine mütterliche Freundin, die sich bereit erklärt, die Hauptrolle in seinem Musiktheater-Erstling über die griechische Dichterin Sappho zu übernehmen. Tatsächlich öffnet sie ihm die die Pforten der Opéra.

Geniestreich oder Dreck?

„Sapho“ wird zwar nur ein Achtungserfolg, bringt ihm aber einen Folgeauftrag ein. Das Libretto zu „La nonne sanglante“ (Die blutige Nonne) stammt aus der Textbuchfabrik von Eugène Scribe und ist ein wüstes Schauerdrama, das Gounod mit effektvoller Musik ummantelt. Dem Publikum gefällt das Ergebnis, doch kurz nach der Premiere gibt es einen Wechsel an der Spitze der Opéra. Der neue Direktor nennt das Stück einen „Dreck“ und setzt es sofort ab.

Als Gounod mit der Molière-Vertonung „Le médecin malgré lui“ 1858 der Durchbruch gelingt, kann er seine Freude nicht mehr mit der Mutter teilen: Erblindet und bettlägerig, stirbt sie am Tag nach der Uraufführung. Und wird dennoch zur Patin seines größten Hits, hatte Victoire Gounod ihm doch einst bei seiner Abreise nach Rom eine Übersetzung von Goethes „Faust“ geschenkt. 1859 gelingt es ihm gemeinsam mit den Librettisten Jules Barbier und Michel Carré, den überbordenden Text fürs Musiktheater zu bändigen, indem sie die Handlung auf die Beziehung von Faust und Gretchen fokussieren. Auch wenn man sich östlich des Rheins darüber mokiert, wird die Oper ein globaler Dauerbrenner.

Die Liebe in sanft geschwungenen, ganz aus dem Klang des Französischen entwickelten Melodien zu besingen, das ist Gounods große Stärke – auch in seinen Versionen von Shakespeares „Romeo und Julia“ sowie Frédéric Mistrals „Mireille“. Mit den drei Rührstücken etabliert er sich im Repertoire. Kein anhaltender Erfolg will ihm dagegen im Bereich der Grand Opéra gelingen. Immer wieder bemüht er sich, repräsentative Fünfakter à la Giacomo Meyerbeer zu erschaffen. Doch seine Massenszenen tönen hohl, seine Heroen bleiben Pappkameraden.

Daneben schreibt der tiefgläubige Katholik Sakralmusik, von bescheiden dimensionierten Messen bis hin zu monumentalen Oratorien. Auch drei Sinfonien, ganz im Geiste Mozarts, finden sich in seinem Werkverzeichnis, sowie fünf charmante, handwerklich tadellose Streichquartette. Und dann ist da natürlich das „Ave Maria“, jenes von sentimentalen Seelen zu Tode geliebte, von den Puristen verachtete kleine Opus, das prototypisch den Esprit Gounods illustriert. Weil Musik für ihn immer Melodie war, sprach der Komponist selber von einer „Méditation sur le premier prélude de Bach“: In seinen Ohren hatte er der abstrakten Klavieretüde lediglich jene Singstimme hinzugefügt, die der Thomaskantor einst vergessen hatte.

Eine Hausorgel mit 14 Registern

Wohlhabend und hoch geachtet genießt Gounod seine späten Jahre. Im Treppenhaus seines Neorenaissance-Stadthauses grüßen die Heldinnen seiner Opern von den Wänden, das Arbeitszimmer erstreckt sich über zwei Etagen und bietet Platz für eine Orgel mit 14 Registern. Doch Inspiration findet er eher in der freien Natur. Regelmäßig lauscht er in den Bergen oder am Strand seiner inneren Stimme.

1893 schenkt er der Société des Concerts du Conservatoire das Manuskript eines Requiems – und wünscht sich, es möge „im kommenden Jahr aufgeführt werden, ob ich noch auf dieser Welt bin oder nicht“. Er erlebt das Konzert noch, erst am 15. Oktober 1894 hört sein Herz auf zu schlagen, während einer Partie Domino. Für viele vom Wagnerismus infizierte Intellektuelle ist Gounods Musik da längst démodé. Claude Debussy aber, der sonst in seinem Urteil so gnadenlose Kollege, ruft ihm liebevoll nach: „Die Gründe, im Gedächtnis der Menschen fortzuleben, sind vielfältig und durchaus nicht immer bedeutend; einen großen Teil seiner Zeitgenossen angerührt und bewegt zu haben, ist eine der besten Voraussetzungen dafür. Niemand wird bestreiten, dass Gounod sie in großmütiger Weise erfüllte.“

Die Deutsche Oper Berlin zeigt Philipp Stölzls „Faust“-Inszenierung am 23., 26. und 29. Juni sowie 3. und 6. Juli.

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