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Marco Comin

© Christian Pogo Zach, Bregenzer Festspiele/Hauser

Chefdirigentensuche der Komischen Oper: Mozart macht den Maestro

Wer wird Nachfolger von Henrik Nanasi? Das scheint die Komische Oper jetzt auszutesten, und zwar anhand ihres Hausheiligen: Mozart.

Die Verantwortlichen wollen sich verständlicherweise zu Details nicht äußern, doch man muss nur eins und eins zusammenzählen, um zu erkennen, was derzeit an der Komischen Oper gespielt wird. In der Saison-Vorschau war für eine Serie von vier „Don Giovanni“-Vorstellungen im Mai und Juni Generalmusikdirektor Henrik Nanasi angekündigt. Im aktuellen Monatsplan aber taucht statt seiner nun gleich ein ganzes Quartett von Dirigenten auf. Anstelle des Musikchefs treten also jeden Abend unterschiedliche Maestri vor die Musiker. Und zwar zum Probedirigat. Denn in der Behrenstraße sind zwei musikalische Schlüsselpositionen neu zu besetzen: Henrik Nanasi wird mit dem Ende der Saison 2016/17 das Haus verlassen, die 1. Kapellmeisterin Kristiina Poska geht bereits in diesem Sommer. Auch die 37-jährige Estin bekommt so viele verlockende Gastspiel-Angebote, dass sie das Freiberuflertum der Kärrnerarbeit an einem Repertoire-Haus vorzieht. Offenbar will das Orchester bei Mozart, dem Hausheiligen der Komischen Oper, nun testen, mit welchen der Nachfolgekandidaten sie sich besonders wohlfühlen.

Drei Namen durfte sich Intendant Barrie Kosky für die Vorauswahl des neuen Chefdirigenten wünschen, drei weitere kamen aus den Kreisen der Instrumentalisten hinzu. Im Interview mit dem Tagesspiegel hatte Kosky bereits im Januar skizziert, wie er sich seinen künftigen musikalischen Partner vorstellt: „Ich will unbedingt jemanden, der das deutsche Repertoiretheatersystem aus der Praxis kennt. Und der wirklich Musiktheater dirigieren kann. Meine Traumbesetzung ist jemand, der sich für die Zusammenarbeit von Szene und Graben interessiert, der über die gesamte Probenphase an meiner Seite ist.“

Diesmal muss es ein 100-Prozent-Treffer sein

Im ersten Schritt aber müssen die Kandidaten das Orchester überzeugen. Womöglich gelingt das am 14. Mai dem 1976 geborenen Ivo Hentschel, der aktuell als 1. Kapellmeister in Cottbus engagiert ist, oder am 4. Juni dem Italiener Vito Cristofaro, der in derselben Position am Oldenburgischen Staatstheater arbeitet. Vielleicht auch dem Japaner Motonori Kobayashi vom Opernhaus in Dortmund, der am 21. Mai antritt.

Und auch in weiteren Mozart-Produktionen tauchen in den kommenden Wochen diverse neue Namen auf. Der Bonner Generalmusikdirektor Hendrik Vestmann dirigiert die „Zauberflöte“ am heutigen Mittwoch, sein Kollege vom Münchner Gärtnerplatztheater Marco Comin „Figaros Hochzeit“ am 28. Mai. Gleich vier „Figaro“-Termine hat Johannes Debus bekommen, der seit 2009 als music director an der Canadian Opera Company wirkt, aber ebenfalls Koskys Anforderungsprofil erfüllt, weil er seine „Galeerenjahre“ in Frankfurt am Main absolviert hat, wo er sich vom Korrepetitor zum Kapellmeister hocharbeitete. Ein weiterer potenzieller Kandidat ist der am Haus hoch geschätzte, stilistisch äußerst vielseitige Stefan Soltesz, der zuletzt 16 Jahre lang erfolgreich das Essener Aaalto Theater geleitet hat, sogar in Personalunion als Musikchef und Intendant.

Johannes Debus
Macht vielleicht doch Johannes Debus das Rennen?

© Bregenzer Festspiele/Hauser

Unter Zeitdruck setzen lassen will sich die Komische Oper bei der Neubesetzung des musikalischen Leiters aber nicht. Notfalls werde man eben ein, zwei Spielzeiten ohne Orchesterchef in Kauf nehmen, hat der Intendant bereits erklärt. Nach dem Flop mit Carl St. Clair, der nur zwei Jahre durchhielt, und der suboptimal gelaufenen Mini-Ära von Henrik Nanasi muss es diesmal ein 100-Prozent-Treffer sein. So wie 2002 mit Kirill Petrenko. Der blieb zwar auch nicht länger in der Behrenstraße als Nanasi, nämlich fünf Jahre, prägte das Haus aber so nachhaltig, dass noch heute alle von dieser Zeit schwärmen.

Pflege des Repertoires? Fehlanzeige

Während man damals jeder neuen Produktion von Petrenko entgegenfieberte, kommt beim Gedanken an Nanasis Interpretationen im Vorfeld selten Spannung auf. Als souveräner Koordinator war er dem Haus zweifellos zweckdienlich – stilprägend aber vermochte er nicht zu wirken. Bezeichnend auch, dass Henrik Nanasi erst gar nicht an der Präsentation der kommenden Saison teilnahm, um für seine Projekte zu werben und sich den Fragen der Journalisten zu stellen.

Schaut man ins Programm für 2016/17, trifft man erstaunlich selten auf den Namen des ungarischen Dirigenten. Eine einzige der zehn Premieren wird Nanasi betreuen, Modest Mussorgskis „Jahrmarkt von Sorotschinzi“, dazu drei Konzertprogramme. Auch für die Pflege des Repertoires scheint er sich nicht mehr richtig verantwortlich zu fühlen: Gerade mal drei seiner Stücke dirigiert er noch, Tschaikowskys „Jewgeni Onegin“, Dvoraks „Rusalka“ und – im Wechsel mit Henrik Vestmann – Mozarts „Zauberflöte“.

Der neue muss kein Alleskönner sein

Generalmusikdirektor an einem deutschen Stadttheater zu sein, ist ein verantwortungsvoller Job. Neben Auftritten im Rampenlicht bringt er auch jede Menge Arbeit hinter den Kulissen mit sich. Als pater familias soll sich der Chef zum einen um die Alltagssorgen seines Orchesters kümmern, einer Ansammlung empfindsamer Individuen, die stets von allen Seiten Unheil und Überforderung wittern. Gleichzeitig gilt es, im hauseigenen Solistenensemble die Entwicklungsmöglichkeiten jeder einzelnen Stimme im Blick zu haben und durch die richtige Rollenauswahl konsequent weiterzuentwickeln.

Zudem darf sich der Musikchef nicht nur auf die eigenen Produktionen fokussieren, sondern muss Spaß daran haben, langfristige Visionen zu entwickeln, im streitlustigen Dialog mit seinem Intendanten – was gerade bei einer dominanten, vor Ideen nur so sprühenden Persönlichkeit wie Barrie Kosky gar nicht so leicht ist.

Immerhin braucht die neue Chefdirigentin oder der neue Chefdirigent der Komischen Oper kein Alleskönner zu sein. Kosky hat in den letzten Jahren nachhaltige Beziehungen mit diversen Spezialisten aufgebaut, mit Adam Benzwi, Koen Schoots und Kai Tietje für die Leichte Muse, mit Konrad Junghänel und Christian Curnyn für barocke Werke. Es reicht also schon, wenn der oder die Neue Aufregendes zum Kernrepertoire des 19. und 20. Jahrhunderts zu sagen hat. Und zu Mozart natürlich.

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