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Schicklicher Spaß. Damen beim Mah-Jongg-Spiel, chinesischer Holzschnitt um 1770/90.

© Museum für Asiatische Kunst/Maja Bolle

China und Europa: Kabinett der Spiegel

Im 18. Jahrhundert begeisterte sich Europa mit Teehäusern und Porzellanfiguren für China. Und China kopierte Barockpaläste. Eine Ausstellung in der Berliner Kunstbibliothek.

Zwei bauchige Teekännchen wenden sich einander zu. Tülle an Tülle gesellen sich die Porzellangefäße zum Gespräch. Verhandelt wird: Kulturaustausch, ein Wechselspiel. Das Kännchen aus Meissener Produktion ziert eine chinesische Figurenszene. Auf dem in China gefertigten Konterpart hingegen spazieren Herrschaften im Barockgewand durch eine europäische Landschaft. Kulturaustausch war schon im 18. Jahrhundert keine Einbahnstraße, sondern ein Wechsel von gegenseitigen Aneignungen und überraschenden Reflexen.

Dass europäische Rokokofürsten ihre Privatsphäre gern mit eleganten Chinoiserien ausstaffierten, ist hinlänglich bekannt. Die Ausstellung „Wechselblicke“ in der Kunstbibliothek rückt, in Kooperation mit einem Max-Planck-Forschungsprojekt, auch die andere Seite der Medaille in den Blick. „Europerien“ nennen die Wissenschaftler Objekte, die die Faszination ostasiatischer Herrscher und Künstler für unsere Kultur belegen. Mit deren Augen gesehen, sind wir die Fremden, unsere Kultur ist die Exotische.

Kurator Matthias Weiß stieß vor zwanzig Jahren, damals noch Student, in Peking auf barocke Palastruinen im europäischen Stil. Er war irritiert. Das Schlüsselerlebnis ließ ihm keine Ruhe. Jetzt hat er rund 90 Objekte ausgewählt und elegant arrangiert, um das Pingpongspiel der Kulturkontakte aufzuzeigen. Die seinerzeit von ihm als Ruinen bestaunten „europäischen Paläste“ sind in einer fulminanten Serie großformatiger Kupferstiche des Künstlers Yi Lantai aus den 1780er Jahren zu sehen. Der chinesische Kaiser hatte auf einem Stich barocke Wasserkunst aus Versailles gesehen und zwei Jesuiten an seinem Hof beauftragt, gleich ein Dutzend europäischer Palastbauten für ihn zu errichten. Mit ihren schulbuchmäßigen Barockfassaden und ornamental gedrechselten Parkbüschen wirken sie ein wenig surreal.

Victor Hugo protestierte gegen die Barbarei der Franzosen

Gut ein Jahrhundert später legten britisch-französische Truppen die ganze Pracht in Schutt und Asche, ein brutaler Vergeltungsakt im kolonialen Ringen um Vorherrschaft im fernen Osten. Victor Hugo protestierte empört gegen die Kulturbarbarei seiner Landsleute. Der Fotograf Ernst Ohlmer konnte 1873 nur noch Ruinen ablichten. Wie die Innenräume der „europäischen Paläste“ aussahen, bezeugt ein wunderschönes großformatiges Gemälde auf Seide. Drei vornehme Chinesinnen in Seidenkleidern europäischen Zuschnitts haben darauf an einem Tisch Platz genommen. Sie spielen Dame, buchstäblich und im doppelten Sinne.

Wie in einem Spiegelkabinett lässt sich das Hin und Her der Einflüsse verfolgen. Als der französische Rokokomaler Francois Boucher für eine Wandteppichserie einen „Danse Chinoise“ und andere exotische Szenen imaginierte, sandte man einen Satz der kostbaren Textilien auch an den chinesischen Kaiser. Der hängte sie prompt in seine europäischen Paläste. Nicht nur Stile und Darstellungsformen wurden importiert. Auch die Neugier auf künstlerische Techniken und neue Medien war groß. Während man im Westen um jeden Preis das Geheimnis der Porzellanherstellung zu lüften trachtete, griffen Grafiker in Fernost begeistert die europäische Kupferstichtechnik auf. Die ausgestellten Drucke belegen warum: Solche überaus fein gestrichelten Schraffuren ließen sich in der zuvor üblichen asiatischen Holzschnitttechnik nicht erzielen.

Selbst die Porzellankunst profitierte vom Austausch mit dem Westen. Am Kaiserhof entwickelten Kunsthandwerker, in Kontakt mit europäischen Missionaren vor Ort, eine neue Farbpalette mit Rot- und Rosatönen. Diese „famille rose“ genannten Porzellane waren nicht nur in China begehrt, sondern reüssierten bald auch als Exportware nach Europa. Sogar ganze Paläste in China seien aus Porzellan errichtet, schwärmte der Autor eines 1669 erschienenen Reiseberichts. Jacob van Meurs war mit einer Handelsdelegation nach Fernost gereist. Ökonomisch wurde die Tour kein Erfolg.

Dafür konnte der Autor genug Material für seinen Reisebericht sammeln. Generationen von Künstlern in Europa nutzten die reich bebilderte Publikation als Informationsquelle. Sogar Sonnenkönig Ludwig XIV. glaubte die Mär von den Pagoden aus Porzellan. Sein „Trianon de Porcelaine“ im Park von Versailles gilt als erstes chinoises Gebäude in Europa. Wirklich aus Porzellan war das Lustschlösschen allerdings nicht, es täuschte, mit Fayencen verkleidet, diesen Eindruck nur vor.

„Wechselblicke“, Kunstbibliothek, bis 7. Januar. Di bis Fr 10–18, Sa/So 11–18 Uhr, Katalog (Michael Imhof Verlag) 39,95 €.

Von Linda Buchholz

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