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Chipperfield-Interview: In Stülers Fußstapfen

Architekt David Chipperfield spricht mit dem Tagesspiegel über die Restaurierung des Neuen Museums und Berlins Bauhistorie.

Herr Chipperfield, die ersten Reaktionen auf das fertiggestellte Neue Museum sind rundweg positiv. Haben Sie das erwartet?


Ich war recht zuversichtlich, dass das Publikum fasziniert sein würde von dieser Art der „behutsamen“ Restaurierung. Aber wir haben das nicht erfunden, in Italien findet man es allerorten. Man konnte die Zustimmung bereits im vergangenen September erleben, als das Museum erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Ich war unsicher, ob die Besucher zwischen dem, was bereits fertiggestellt war, und dem Übrigen unterscheiden würden. Am Ende fragt man sich, ob andere die Arbeit verstehen. Berlin ist eine Stadt mit so vielen historischen Schichten. Unser Umgang mit der Geschichte ist da vielleicht nicht ganz falsch.

Was ist Ihr spezifischer Zugang zum Gebäude des Neuen Museums?

Als Architekten gilt unsere Verantwortung zuallererst dem Baumeister Stüler. Wir konnten den Bau nicht wie ein neutrales Fundstück behandeln, sondern wollten bedenken, wie er tatsächlich einmal gewesen ist. Unsere zweite Verantwortung gilt den Fragmenten, der Evidenz dessen, was materiell übrig geblieben war. An diesem Punkt widerstanden wir der Idee, das ursprüngliche Bauwerk zu imitieren. Wir versuchten zu schützen, was wir vorfanden.

Immer wieder kam der Vorwurf, Sie betrieben einen Kult um die Kriegsschäden.

Durchaus nicht. Wir wollten nicht die Schäden vorführen; vielmehr ist die Sichtbarkeit der Schäden die Konsequenz der Erhaltung der originalen Bauteile. Geschichte besteht immer aus mehreren Schichten. So auch in diesem Gebäude. Die ursprünglichen Dekorationen wurden in den 1920er Jahren zugunsten weißer Räume zerstört, und der Krieg zerstörte wiederum diese weißen Räume. Zu welchem Zustand kehrt man zurück?

Ist das Gebäude jetzt mehr Stüler als je zuvor, weil das ursprüngliche Dekor fehlt und die bauliche Struktur erstmals für jedermann sichtbar hervortritt?

Wir haben zum einen versucht, das Konzept des Gebäudes zu verstehen, auch die Rolle des Dekors. Auf der anderen Seite antworteten wir unmittelbar auf die physische und architektonische Qualität des Neuen Museums. Als Architekt glaubt man daran, dass ein Raum und das Licht darin eine starke physische Kraft besitzen. Die Welt ist voll von enttäuschenden, synthetischen Gebäuden, in denen man von derlei nicht berührt wird.

Was ist anders beim Neuen Museum?

Als wir erstmals in die Ruine kamen, spürten wir: Das ist Architektur! Und wenn man die Dekoration wegnimmt, kann man sie bisweilen noch stärker spüren. Wir haben das Bauwerk nicht von einem akademischen Standpunkt aus betrachtet, sondern ganz emotional als Architekten.

Sie haben einmal gesagt, Sie fühlten sich mit dem Neuen Museum beinahe für die deutsche Geschichte verantwortlich ...

Ich denke, wir können dankbar sein, dass alle Bedenken unseren Dialog und unseren Entscheidungsprozess nicht vorzeitig beendet haben. Das hätte leicht passieren können. Man denke nur an das Schloss. Ich war ja Mitglied der Jury, ich bin nicht sehr optimistisch, dass die Schlossentscheidungen unbeeinflusst bleiben von den enormen Konflikten, die auf ihnen lasten. Beim Neuen Museum hatten wir genügend Schutz; in einem Klima der Konfrontation wäre das Projekt unmöglich gewesen. Es war gut, ein Außenseiter zu sein, ein Angelsachse, der allen zuhören kann, den Museumsvertretern genauso wie dem Landesdenkmalamt. Das allein garantiert zwar nicht die richtigen Entscheidungen, aber wir hatten fantastische Diskussionen, über elf Jahre hinweg!

Die Museumsinsel ist keine Einheit, sondern ein heterogenes Ensemble aus Bauten verschiedener Epochen und mittlerweile auch verschiedener Konzepte von Restaurierung. Wie ordnet sich das Neue Museum in diesen Zusammenhang ein?

Wir fanden ein Gebäude vor, in dem deutlich mehr an Originalsubstanz erhalten ist als in anderen Häusern der Museumsinsel. Wir hatten ein Gebäude, das niemals modernisiert worden war. Seit dem Krieg war es nicht genutzt worden. Die anderen Museen, die zwischen 1950 und 1990 in Gebrauch waren, wurden modifiziert und verändert. Es gibt die große Geschichte und daneben die kleine der alltäglichen Veränderungen aufgrund funktionaler Erfordernisse. Beim Bode-Museum zum Beispiel war kaum noch Originalsubstanz übrig – wie hätten wir uns da verhalten? Für die Besucher ist es sehr interessant zu sehen, dass wir beim Neuen Museum einen anderen Ansatz verfolgt haben.

Eine Kritik an Ihrer Arbeit richtet sich gegen das geplante Eingangsgebäude unmittelbar vor dem Neuen Museum, die James-Simon-Galerie. Sie haben den ersten Entwurf vollständig umgearbeitet. Wird dieser neue Entwurf nun gebaut?

Der erste Entwurf war eine Machbarkeitsstudie. Was kann man an diesem Ort bauen? Allerdings hatten wir nicht die volle Unterstützung aller Museen, es war ein sehr hypothetisches Projekt: Was kann man da unterbringen, wie viel kostet das. Erst die längere Auseinandersetzung mit dem Vorhaben gab uns die Möglichkeit zur Entwicklung.

Was empfinden Sie bei dem Gedanken, auf demselben Areal zu bauen wie die berühmten Vorgänger Schinkel und Stüler?

Verunsicherung. Es bedeutet eine enorme Verantwortung. Ich denke, der jetzige Entwurf hat die Zustimmung aller Beteiligten gefunden – obwohl es anfangs die Befürchtung gab, niemand könnte angemessen mit der baulichen Situation umgehen.

Ihre Arbeit reiht sich nunmehr ein in eine große Tradition der Baukunst …

Ich halte mich nicht für ein Entwurfsgenie. Ich bin eher der Interpret einer Situation, die von anderen geschaffen wurde. Ich muss mich nicht in der Weise präsentieren, wie es Schinkel getan hat und nach ihm Stüler. Ich kann also in ihre Fußstapfen treten, denn ich möchte gute Arbeit leisten, indem ich respektiere, vervollständige, ergänze. Ich bin nicht der Schinkel des 21. Jahrhunderts.

Angesichts der deutschen Schwierigkeiten im Umgang mit Geschichte: Glauben Sie, dass Sie es als Engländer leichter hatten, mit einem so geschichtsträchtigen Bau wie dem Neuen Museum umzugehen?

Das macht es mir leichter, in der Diskussion als Vermittler zu wirken. Als ich meinen Entwurf für das Literaturmuseum in Marbach vorstellte, waren die ersten Besprechungen sehr angespannt. Sagen Sie uns etwas zur Fassade, zu den Säulen, wir haben Bedenken wegen der Fassade! Warum, fragte ich, erinnert Sie das an die Architektur der dreißiger Jahre? Ja, kam die Antwort, danke, dass Sie es gesagt haben, wir hätten es nicht gekonnt. Wir mögen diese Fassade, aber dürfen wir sie mögen? Ich sagte, ja, das dürfen Sie, es ist einfach eine klassizistische Formensprache.

Sind wir Deutschen zu sehr auf unsere jüngere Vergangenheit fixiert?

Deutsche haben ein stärkeres Bewusstsein für diese Dinge. Sie sind mehr als andere mit Fragen der Geschichte beschäftigt, zumal der eigenen. Ja, es ist einfacher für mich, diese Dinge zur Sprache zu bringen. Dass es Antworten gibt, zählt zu den Dingen, die wir – so hoffe ich – erreicht haben.

Das Gespräch führte Bernhard Schulz.

ZUR PERSON: David Chipperfield, geboren 1953 in London, studierte dort Architektur und gründete 1984 sein Büro. Er wurde vielfach ausgezeichnet und ist Mitglied u.a. im BDA und der Royal Academy.

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