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Der Choreograf Hermann Heisig

© Doris Spiekermann-Klaas

Choreograf Hermann Heisig mit "Strch": Der lachende Lulatsch

Hermann Heisig ist der bunteste Vogel der Berliner Tanzszene. In den Sophiensälen erforscht er mit seinem Tanztrio "Strch" die Komik des Unvorhersehbaren.

Von Sandra Luzina

In seinem Solo „Slap/Stick“ blickt Hermann Heisig unverwandt auf ein schiefes Türmchen, während er auf einem Bein balanciert. Die perfekte Auf- und Ausrichtung gelingt ihm nie. Stets liegt er daneben, ständig läuft etwas aus dem Ruder. Und dann gibt es diesen ekstatischen Heisig-Hopser: Ein Hüpfen und Schlenkern und Hochrecken, bis die Schwerkraft den langen Lulatsch runterzieht. Verlängern und Vergrößern versus Schrumpfen und Stauchen – das sieht bei dem Tänzer mit dem Gardemaß von 1,95 Meter sehr komisch aus. Wie auch jedes Deplatzieren von Bewegungen bei dem Schlaks mit den dünnen Armen und Beinen einen großen Effekt hat.

Hermann Heisig ist derzeit der bunteste Vogel der Berliner Tanzszene. Ein Performer, der sich zwischen dem Absurden und dem reinen Nonsense bewegt. Und der auch theoretisch zu ergründen versucht, wann eine Bewegung lustig aussieht.

Die Lektüre von Henri Bergsons 1901 veröffentlichtem Essay „Das Lachen“ über die Bedeutung des Komischen war für den Choreografen und Tänzer eine wichtige Anregung. Seitdem untersucht er, wie sich Komik körperlich manifestiert. In dem Solo „Slap/Stick“ verwendete er gestisches Material von Komikern wie Helge Schneider und Jacques Tati. Seine Recherchen führt er nun fort in „Strch“, einem Trio mit Elpida Orfanidou und Tian Rotteveel. Wenn die Performer die Bewegungen der anderen übernehmen und fortführen, entsteht eine Kettenreaktion, die in Konfusion mündet.

„Es geht um ein gegenseitiges Interpretieren – als wäre man eine Art Lautsprecher“, sagt Heisig beim Gespräch nach der Probe. Er experimentiert diesmal mit Effekten aus der Akustik und Musik: Widerhall, Verstärkung, Looping und Scratching. Jeder der Performer ist zugleich Sender und Empfänger, allerdings ist die Kommunikation zwischen den Tänzern überaus störungsanfällig. Darin ähnelt „Strch“ einem Kinderspiel. „Wie bei ,Stille Post‘ geht es um die Weitergabe und Verformung von Impulsen“, erläutert Heisig. „Umwege und Missverständnisse werden unmittelbar in das Weiterzugebende integriert. Mich interessiert der Moment, in dem etwas, das ich selbst in Gang gebracht habe, mir fremd wird, ich es aber nicht stoppen kann.“

Für "Strch" ließ sich Heisig von Loriot inspirieren

„Strch“ ist sein Stück, auch wenn er das Bewegungsmaterial gemeinsam mit den beiden Kollegen erarbeitet hat. „Für die Komik gibt es diesmal kein Vorbild, sie entsteht aus der Relation zwischen uns“, betont Heisig. Doch sein eigenwilliger Bewegungsduktus kommt auch in dem Trio bestens zur Geltung, nicht nur, weil er die anderen überragt. „Wenn es darum geht, den anderen zu interpretieren, reagiert man mit den eigenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.“ Er versteht es, auch die eigenen Begrenzungen produktiv zu nutzen.

Eine Referenz an einen großen Komiker enthält aber auch „Strch“. Das Objekt, das Orfanidou in den Händen hält und auf die anderen reagiert (Design: Jaka Plesec), erinnert an einen wedelnden Hundeschwanz. Das sei von Loriots Film „Papa ante portas“ inspiriert, erzählt Heisig. „Da sieht man in einer Szene hinter einer Säule einen Hundeschwanz, der sich bewegt, aber nie den Hund.“ Der auf Bergson zurückgehende Gegensatz von Fluidem und Maschinellem wurde schon in „Slap/Stick“ thematisiert und wird nun wieder verhandelt. Für Heisig handelt es sich nicht nur um einen physischen Zustand. „Das hat mit unserer Beziehung zur Welt zu tun: inwieweit wir bereit sind, flexibel zu sein, uns anzupassen oder ständig das Gleiche wiederholen.“

Hermann Heisig mischte die Leipziger Subkultur auf

Hermann Heisig, Jahrgang 1981, ist ein Spross der Leipziger Malerdynastie. Sein Großvater Bernhard Heisig war einer der Mitbegründer der Leipziger Schule, sein Vater Johannes ist ebenfalls ein bekannter Maler. Er macht kein Aufhebens um seine Herkunft, doch er erzählt bereitwillig von frühen Einflüssen: „Mein Vater hat mich in die Kunstwelt eingeführt und mir gezeigt, dass Kunst etwas Normales ist. Nichts Heiliges, sondern ein Arbeitsprozess, bei dem Fehler passieren. Das hat mir später sehr geholfen.“ Der Großvater war zwar eine faszinierende Figur für ihn, aber ihn hat der kleine Hermann nur bei Geburtstagen und Ausstellungseröffnungen gesehen. „Als es losging mit dem Tanzen, war er überrascht“, amüsiert er sich.

Als Kind wäre er selbst nie auf die Idee gekommen, Tänzer zu werden. „Ich war eher verkopft und habe viel gelesen.“ Auch in Sport war er keine Leuchte. Seinen ersten Auftritt absolvierte er dann als Gymnasiast beim Festival Euro-Scene in seiner Heimatstadt Leipzig. 1997 fand dort zum ersten Mal der Wettbewerb „Das beste deutsche Tanzsolo“ statt. Die Idee stammt von dem flämischen Choreografen Alain Platel: Jeder, egal welchen Alters, ob Amateur oder Profi, ist eingeladen, teilzunehmen. Diese Offenheit faszinierte Heisig. „Ich ahnte instinktiv, dass die Bühne ein interessanter Ort für mich ist.“ Der 15-Jährige tanzte in goldenem Fummel ein Solo mit dem Titel „Agent U8 – Nizza 1964“, das von Helge Schneider und James Bond inspiriert war – und gewann den Publikumspreis.

Heisig mischte dann in der Leipziger Subkultur mit, er trat in Galerien und Clubs auf. Mit der Band Brockdorff Klang Labor hat er gemeinsam Partys organisiert. 2000 kam der Quereinsteiger nach Berlin. Eine spannende Zeit, erinnert er sich, denn damals schon strömten Künstler aus ganz Europa in die Hauptstadt. Hier existierte eine große ästhetische Vielfalt, hier konnte man sich ausprobieren. Zwei Jahre später absolvierte er dann doch noch eine Ausbildung zum Bühnentänzer an der „Etage“. 2007 nahm er an einem siebenmonatigen Kursprogramm für Choreografie in Montpellier teil.

Philosophischer Spaßvogel

In Berlin hat er sich stets in einer sehr internationalen Szene bewegt. „Ich war oft der einzige Deutsche, das fand ich super!“ Zumal dann Zuschreibungen wie Ossi oder Wessi keine Rolle spielten. Wenn man ihn fragt, was ihn am zeitgenössischen Tanz interessiert, entgegnet er: „Ein Körperbild, das divers ist – und dass es keine einheitlichen Vorgaben gibt, wie etwas zu sein hat.“ Und er fügt hinzu: „Insgesamt ist es ein Problem, dass in Ostdeutschland Diversität nicht positiv besetzt ist.“

Auf die Rolle des Spaßvogels will er sich nicht festlegen lassen. Doch er versteht es, aus der Unterschiedlichkeit der Körper auf der Bühne komödiantische Funken zu schlagen. Dabei gründet seine Komik in Philosophie: Es geht ihm um „die Art und Weise, wie man sich in dieser Welt platziert, und um die Frage von Fremdheit“. Trotzdem zeichnen sich seine Performances durch eine Lust am Spielerischen und Anarchischen aus – und muten oft geradezu dadaistisch an. Heisig ist überzeugt: „Dada ist ein Feld, das nie ganz abgeschlossen sein kann.“

Sophiensäle: Premiere 14.11., 19.30 Uhr, auch am 15., 17. und 18.11.

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