zum Hauptinhalt
Chefstyler. Das Menjou-Bärtchen will Imler in Berlin eingeführt haben.

© Staatsakt

Chris Imlers Solodebüt "Nervös": Prinz der Subkultur

Jahrelang hat Chris Imler für andere getrommelt. Jetzt veröffentlicht er sein Solodebüt "Nervös". Ein äußerst treffender Titel, denn es ist hochenergetischer Pop.

Man kann beim Durchhören von Chris Imlers erster Soloplatte verstehen, warum sie „Nervös“ heißt. Zu durcheinanderpurzelnden Beats hört man hektische Synthieklänge und einen durchdringenden Gesang, mal auf Deutsch, mal auf Englisch, gerne verfremdet. Von den Texten versteht man die meiste Zeit ohnehin nichts. Wer es sich zu Musik gerne mal gemütlich macht, sollte etwas anderes hören. Aber wenn man Chris Imler dann im Büro seiner Plattenfirma im Prenzlauer Berg gegenübersitzt, erkennt man, dass der Plattentitel durchaus den permanenten Gefühlszustand des Berliner Musikers zu umschreiben scheint.

Imler ist wahnsinnig hibbelig, redet schnell, all seine Bewegungen wirken ruckartig. „Ich trinke auch Kaffee“, sagt er, „obwohl viele Leute mir das gerne verbieten würden.“ ADHS sei das nicht, aber wie seine Großmutter habe er „restless legs“. Das bedeutet, dass selbst beim Ruhen auf dem Bett seine Füße nicht aufhören zu zucken. „Das ist ein Tick, aber längst auch eine Grundeinstellung.“

Ein Hang zur Rastlosigkeit durchzieht auch Imlers musikalische Biografie. Da reiht sich Projekt an Projekt, wirklich dauerhaft scheint es ihn nirgendwo halten zu können, auch jetzt erscheint zwar diese Soloplatte von ihm mit ihrem Synthiepunkpop, mit Oum Shatt steckt er aber schon wieder in einem neuen Berliner Bandprojekt, bei dem er wieder konventionell Schlagzeug spielen wird.

Er beherrscht die Serge-Gainsbourg-Posen traumwandlerisch

Mitte der Neunziger war Imler Schlagzeuger der Garagenpunkband Golden Showers, die beweisen wollte, dass der Heroinchic und die demonstrative Kaputtheit des jungen Nick Cave definitiv zu toppen ist. „Wir waren wild, ungezügelt und laut“, erinnert sich der Drummer. Leute, die die Golden Showers live erlebt haben, behaupten noch heute, sie seien die wildeste Band der Neunziger gewesen. Anschließend heuert Imler als Schlagzeuger bei einer ganzen Reihe unterschiedlicher Popstars aus Berlin an, bei Peaches, Jens Friebe und Maximilian Hecker. „Ich bin technisch nicht der herausragende Schlagzeuger, aber ich erzeuge Energie. Was all diese Leute von mir haben wollten, ist meine Energie.“

Wer Imler einmal hinter dem Schlagzeug gesehen hat, versteht, wovon er da spricht. Allein schon die Aura des spindeldürren Mannes mit dem Menjou-Bart strahlt dekadenten Sex und völlig verwüsteten Rock-’n’-Roll-Glamour aus. Der Mann, der die besten Serge-Gainsbourg-Posen mit der Zigarette in der Hand traumwandlerisch beherrscht, bringt Spannung auch in den trostlosesten Raum, noch bevor er überhaupt das erste Mal auf das Fell seiner Trommel haut. Und dann, als ob er es mal wieder im Sitzen auf Dauer nicht aushalten würde, spielt Imler immer wieder mal gerne im Stehen. Stoisch und eher primitiv haut er auf das Schlagwerk, „mich interessiert dabei vor allem das Voodoohafte, die Reduktion, ähnlich wie im Techno und im Blues“, sagt er.

"Ich hatte schon eine Goldkette, bevor Gonzales mit einer rumspaziert ist"

Chris Imler weiß um seine Wirkung, das ist klar. Er trägt gerne gewagte Kombinationen aus klassischem Herren- und Jogginganzug und ist sich bewusst, dass damit fast jeder unmöglich aussehen würde – nur er nicht. Imler ist der Chefstyler der Berliner Subkultur. Egal wo sich die Szene trifft, zwischen Möbel Olfe, Monarch und Südblock am Kotti bei irgendeiner vermeintlich hippen Veranstaltung, Imler ist eigentlich auch immer da und verleiht dankenswerterweise selbst dem traurigsten Event etwas von seinem verrucht wirkenden Charme. Imler hat auch überhaupt nichts dagegen, wenn man ihn eine Berliner Stilikone nennt. „Ich hatte schon eine Goldkette, bevor Gonzales mit einer herumspaziert ist“, behauptet er. Die Freundin von Gonzales, der längst ein international bekannter Star ist, habe Imler irgendwann gefragt, wo er denn diese Goldkette herhabe, die er da trage. Kurz darauf präsentierte sich Gonzales auf Pressefotos selber mit dem auffallenden Schmuck. Und diesen Zierschnauzer, den Imler da spazieren trägt? „Man muss das ja beinahe so sehen, dass ich den sogar eingeführt habe in Berlin“, versichert er. „1991, als ich bereits einen Oberlippenbart trug, haben so etwas hier eigentlich nur Bullen und Türken getragen.“

Vom Schlagzeuger zum Performer.

Der Weg vom eher dienstleistenden Schlagzeuger hin zum Produzenten, Sänger, Performer eigenen Formats, als der er sich nun mit „Nervös“ präsentiert, ist für jemanden mit dem Selbstbewusstsein Imlers nur konsequent. Mit Patric Catani, einem anderen Tausendsassa der Berliner Subkultur, demonstrierte er im Projekt Driver&Driver seine Affinität zu elektronischer Musik. Was genau machten Driver&Driver überhaupt? Technopunk? So etwas in der Art jedenfalls.

Über all die Jahre hinweg hat Imler, neben all seinen Schlagzeug-Jobs, im eigenen Wohnzimmer an billiger Studiotechnik herumgetüftelt. „Eigentlich habe ich die ganze Platte zu Hause aufgenommen“, sagt er über die Produktionsbedingungen von „Nervös“. „Ich habe die Gitarre auf dem Boden gespielt, eine Flöte und eine Trompete genommen und geschaut, was dabei herauskommt. Ich kann diese Instrumente nicht im eigentlichen Sinne spielen, aber ich kriege etwas raus aus ihnen, das loope und pitche ich.“

Herausgekommen ist bei dieser Arbeitsweise der extrem windschiefe, aber immer packende „Nervös“-Sound. Das ganze Geklacker und Geknatter von Imler groovt auch, mit etwas Fantasie lässt sich zu ihm sogar tanzen. Als musikalische Referenzen lassen sich DAF und Suicide ausmachen, zwei Postpunk-Bands, denen Imler auch gesanglich durchaus nacheifert. „Wenn man wie ich dieses bereits erwähnte Voodoohafte erreichen will, landet man fast automatisch bei DAF. Deren Musik ist eben immer noch gültig“, sagt er.

Auch auf der Konzertbühne wird sich Imler nun ganz nach vorne bewegen. „Ich singe, spiele Trompete, Schlagzeug im Stehen, dazu schlecht Gitarre und schlecht Keyboard.“ Ein paar Mal habe er dieses Programm bereits durchgezogen. Es sei eigentlich immer ein Erfolg gewesen. Seine Erklärung dafür klingt absolut einleuchtend: „Bis jetzt war es immer so, dass ich so schlecht vorbereitet war, dass eigentlich immer etwas passiert ist.“

„Nervös“ von Chris Imler ist bei Staatsakt erschienen; Konzert am 16. Mai im Urban Spree

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false