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Die Musikerin Chrissie Hynde.

© Dan Chalkley

Chrissie Hynde neues Album: Dunkle Brille, helles Herz

Prima Power-Pop: Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde veröffentlicht mit 62 Jahren ihr erstes Soloalbum „Stockholm“.

In einer Band sein! Das war Chrissie Hyndes lang gehegter Traum, als sie Anfang der Siebziger von Akron, Ohio, nach London zog. Obwohl sie besser Gitarre spielen konnte als ein Großteil der Männer, die damals über die Bühnen tobten, wurde erst mal nichts daraus. Stattdessen nahm sie allerlei Jobs an – unter anderem als Rockkritikerin. 1978 klappte es dann: Sie gründete mit drei Mitstreitern die Pretenders, deren Singles „Kid“ und „Brass In Pocket“ schnell erste Erfolge brachten.

Zwei starke Rock-trifft-New-Wave-Alben später wäre Hyndes Band-Traum eigentlich schon wieder vorbei gewesen: Bassist Pete Farndon wurde 1982 wegen seiner Drogensucht gefeuert, zwei Tage später starb Gitarrist James Honeyman-Scott an den Folgen einer Überdosis. Doch statt die Pretenders aufzulösen, heuerte Hynde einfach immer wieder neue Mitglieder für die vakanten Posten an. Originalschlagzeuger Martin Chambers blieb meist an ihrer Seite. Ab 1986 war Hynde alleine auf den Albencovern abgebildet, weigerte sich aber, ihren Namen danebenzuschreiben. Einfach weil sie die Idee Band so liebt. Mehr als 35 Jahre hielt sie eisern daran fest. Da überrascht es schon ein wenig, dass nun diesen Freitag ihr erstes Soloalbum erscheint.

Wieso jetzt doch? Chrissie Hynde, mittlerweile 62 Jahre alt, erklärte dem britischen „Guardian“ kürzlich, dass irgendwann die Dinge, die man nie tun wollte, die einzigen sind, die noch zum Ausprobieren übrig sind. „Deshalb sehen sie auf einmal sehr interessant aus.“ Also hat Hynde den Schritt ins Sololand gewagt – ohne ansonsten viel zu verändern. „Stockholm“ klingt – nach den Americana-Exkursionen des Vorgängers „Break Up The Concrete“ (2008) – wie ein Pretenders-Album aus den späten achtziger oder frühen neunziger Jahren. Prima Gitarren-Pop, den man sich gut im Radioprogramm eines Mainstream-Senders vorstellen kann.

Die Musikerin Chrissie Hynde.
Die Musikerin Chrissie Hynde.

© Dan Chalkley

Chrissie Hyndes unverkennbare Altstimme ist noch so verführerisch und kraftvoll wie damals – man meint, sie schon beim Anblick der Schwarz-Weiß-Fotografie auf dem Cover zu hören, die sie in schwarzer Weste, Schlips und Jeans zeigt. Die Hände in die Hüften gestemmt und die kajalumrahmten Augen wie immer halb unterm Fransenpony verborgen. Es ist ein „Don’t-Mess-With-Me“-Blick, der gut zur ersten Single „Dark Sunglasses“ passt. Die Up-Tempo-Nummer kombiniert eine unaufgeregt-direktes E-Gitarren-Riff mit Cowbell-Gedengel und einer zweiten leicht schrägen Gesangsspur. Im Text geht es um einen Mann, der offenbar einmal viel Geld hatte, alles verlor und sich nun an der Seite einer Frau wieder berappelt. „You remember/How good it tasted/Inside the ruling classes/Wasted behind your dark sunglasses“. Vielleicht ist es ein ehemaliger Finanzjongleur aus der Londoner City oder von der Wall Street, der sich hier an seine glamourös-zugedröhnte Zeit hinter dunklen Sonnenbrillengläsern erinnert. In Chrissie Hyndes Stimme schimmert jedenfalls kaum Sympathie für diesen Typen durch.

Chrissie Hynde hat Neil Young als Gastgitarristen engagiert

Ganz anders, sanft, melancholisch, auch mal in sehnsüchtige Höhen schwebend, klingt sie im folgenden Stück „Like In The Movies“, das von einer unglücklich endenden Liebe erzählt. Bis auf das etwas aufdringlich herumplingende Glockenspiel ist es ein sehr schön arrangierter, geradliniger Popsong, der Hyndes erklärtes Ziel, ein tanzbares Power-Pop-Album zu machen, voll trifft. „Abba meets John Lennon“ war ihre Sound-Devise für die elf neuen Stücke. Das Ergebnis geht zwar mehr in Richtung „Roxette meets Tom Petty“, was man aber auch erst einmal schaffen muss. Eine Mischung aus leichten und geerdeten Elementen, die über weite Strecken der Platte gut funktioniert.

Einen großen Anteil daran hat ihr Produzent, Ko-Autor und Gitarrist Björn Yttling von der schwedischen Gruppe Peter, Bjorn and John („Young Folks“). Insgesamt zwei Jahre lang arbeiteten die beiden an „Stockholm“, das seinen Entstehungsort im Titel trägt. Auf dem Backcover wirbelt Chrissie Hynde zudem mit einer schwedischen Flagge herum. Sie reiste immer wieder nach Stockholm, um mit Yttling zu arbeiten, der meist nur zwei bis drei Tage am Stück Zeit hatte. Andere schwedische Musiker gesellten sich dazu, und so ist die Platte am Ende doch wieder in einer Band-ähnlichen Konstellation entstanden. Wobei Hynde wie immer fast ausschließlich auf männliche Mitstreiter setzt. Darunter auch zwei prominente Gastgitarristen.

Den ersten erkennt man schon nach wenigen Sekunden: Neil Young, ein Freund von Hynde, ist in „Down The Wrong Way“ mit zwei eruptiv-expressiven Parts zu hören, von denen man sich wünscht, sie mögen sich zu einem seiner epischen Song-Poeme ausdehnen. Daneben muss jeder weitere Gastkommentar natürlich verblassen. Und so ist es dann auch, obwohl Tennislegende John McEnroe dem solide vor sich hin rockenden „A Plan To Far“ mit seinem verhallten Gitarrenspiel eine hübsche Zusatz-Note gibt. Der Ex- Sportler ist ebenfalls ein Freund von Chrissie Hynde, die ihn einlud um Tennisfan Yttling zu beeindrucken – hat geklappt.

Etwas schwächer als die power-poppigen Stücke (hitverdächtig auch „Sweet Nuthin’“) sind die ruhigeren Songs geraten, was aber nicht weiter stört. „Stockholm“ ist eine prima Platte, auf der Chrissie Hynde aufbauen kann – ob mit oder ohne Pretenders. Nadine Lange

„Stockholm“ erscheint am 6. Juni bei Caroline International.

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