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Mit 17 stand sie das erste Mal auf der Bühne. Die Mezzosopranistin Christa Ludwig.

© Guillaume Horcajuelo/dpa

Christa Ludwig zum 90: Karriere mit dem Kopf

Ihre Stimme ist unverwechselbar, ihr markerschütternder Schrei legendär: Die Mezzosopranistin Christa Ludwig wird 90 alt. Eine Begegnung.

Fast 50 Jahre währte Christa Ludwigs Karriere. Sie reüssierte in allen Genres und wagte Ausflüge ins Sopranfach. Unzählige Rollen verkörperte sie auf der Opernbühne, ihr modulationsfähiges Timbre machte sie zur idealen Liedinterpretin, von deren Format exemplarische Schubert- und Mahler-Einspielungen zeugen.

Seit die 1928 in Berlin geborene Sängerin in den 1960er Jahren Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper wurde, lebt Christa Ludwig in einem Haus in Klosterneuburg bei Wien. „Können Sie mal in den Briefkasten gucken?“, ruft sie der Besucherin von der Tür aus zu. Er ist tatsächlich voller Post. Die Welt hat sie nicht vergessen. Christa Ludwig spricht unverblümt, mit heller Stimme und einer Ahnung des rheinischen Idioms Aachener Ausprägung: „Jetzt habe ich fast jeden Tag ein Interview und freue mich, dass man an mich denkt, und trotzdem ist es mir lästig, Entschuldigung!“

Kometenartige Karriere

Schon mit 17 stand sie auf der Bühne. Das Singen wurde ihr von der Mutter, die Altistin und zeit ihres Lebens ihre wichtigste Beraterin war, in die Wiege gelegt. „Man muss eine gesunde Distanz zum Beruf haben. Meine Mutter hat immer gesagt: Denk immer dran, es ist nur Theater! Man kann auch leben ohne Oper.“ Der Unterricht lief in der Familie zwischen Tür und Angel, solange die Mutter lebte: „Sie wohnte ja immer bei mir – zum Unglück meiner Ehemänner.“

Ihre Karriere liest sich kometenartig, aber da winkt sie ab: „Das hat schon gedauert: mit 18 das erste Engagement, aber erst mit 27 Jahren nach Wien. Ich sage immer: Man klettert zehn Jahre, man bleibt zehn Jahre gut oben und dann muss man mit Anstand zehn Jahre runtergehen.“ Was ihre größte Herausforderung war? „,Fidelio‘! Davor haben ja sogar die Soprane Angst. Aber ich liebe es, Hindernisse zu überwinden. Ich liebe das Risiko.“

Mezzo mit burgunderroter Färbung

Wer Christa Ludwig bis 1994 live erlebt hat, erinnert sich an ihre natürliche, unpathetische Musikalität und die Selbstverständlichkeit ihres Auftretens. Schwer zu glauben, dass sie Lampenfieber hatte. „Die Angst war zu Hause, da wollte ich immer lieber Putzfrau sein. Und ich war praktisch täglich beim Halsarzt und wollte wissen, was los ist.“

Christa Ludwigs Mezzo klang rund mit burgunderroter Färbung, aber leuchtenden Höhen in Sopranlage. Wie hat sie Wagner-Partien gemeistert, etwa die Kundry, von der ihr markerschütternder Schrei legendär ist. „Erinnern Sie mich nicht daran! Ich habe drei Stunden für den Herrn Solti die Schreie schreien müssen, danach hatte ich zehn geplatzte Kapillare.“ In der Mitte der Karriere hatte sie eine Stimmkrise, die sie meisterte, indem sie ihr Repertoire vorübergehend herunterfuhr. „Man macht die Karriere mit dem Kopf und nicht mit der Stimme!“

Warum gibt es heute weniger charakteristische Stimmen als zu ihrer großen Zeit? „Heute haben alle eine gleichmäßige Technik. Uns hat man erkannt auch an den Fehlern. Die Schwarzkopf hat immer manieriert gesungen, die Callas hatte den Wobbel in der Stimme, Fischer-Dieskau sang immer die ersten Töne ganz steif und Prey war immer a bissel zu tief. Aber man hat sie trotzdem geliebt.“

Regine Müller

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