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Christian Gerhaher

© picture alliance / dpa

Christian Gerhaher singt Schumann: Hinab in die Seelengründe

Er erreicht mit seiner Stimme Ungeheuerliches: Der Bariton Christian Gerhaher singt Dvobák und Schumann im Kammermusiksaal der Philharmonie.

Bei Lichte betrachtet, ist das ein unmögliches Programm für einen Liederabend, eines, an dem man nur scheitern kann. Wie weit öffnet sich hier der Abgrund: zwischen Antonín Dvobáks „Biblischen Liedern“, die nach dem Willen des Komponisten nicht nur gesungen, sondern auch gebetet werden müssen auf der Bühne – und jener elementaren Resignation, wie sie den Liedern Robert Schumanns entströmt. Ein Spagat, der dazu verleiten könnte, hier oder da nicht ganz ehrlich zu sein, das Heil in der Pose zu suchen oder gar im Selbstbetrug. Christian Gerhaher aber scheint gegen derlei allzu Menschliches immun, da der Zweifel ihm ein ständiger Begleiter ist. Der gerade erneut zum Sänger des Jahres gewählte Bariton artikuliert nicht nur detailversessen Poesie, ebenso genau beobachtet er auch jene Person, die da vom Podium des Kammermusiksaals ins Scheinwerferlicht blinzelt.

Dvobáks Psalmvertonungen, obwohl durchaus effektbewusst in Töne gesetzt, ändern nichts an Gerhahers Skeptizismus. Vielmehr leuchten sie ihn in jedem der zehn Lieder neu aus, werfen das Licht einer Kerze auf das Antlitz eines Menschen, der, auch wenn er seinen Gott preist, vor allem mit sich selber ringt. Doch wie diskret gestaltet Gerhaher diesen Vorgang, wie durch und durch musikalisch, fließend, ohne pathetisches Verschleppen. Auch Gerold Huber, verschworener Klavierbegleiter seit Studententagen, sorgt immer wieder dafür, dass sich nicht der Eindruck eines routinierten, ja schlimmer noch, altmeisterlichen Auftritts einstellt.

Als letzten Gruß Schumanns "Mein schöner Stern"

Spätestens, wenn Gerhaher dann mit Schumann deutsch singt, wird es im hustengeschüttelten Saal ganz still. Man kann sicher auf anderen Wegen in die unwirtlichen Seelengründe des Komponisten vorzudringen trachten. Extremer, ausgestellter, theatralischer. Doch Gerhaher erreicht auf seine Weise Ungeheuerliches. Man kann, was er gesungen, einfach nicht abtun, nicht mehr abschütteln. Lenaus das Leben fliehende Schwermut, Rückerts aufreizende Schicksalsergebenheit, Kerners menschenwehe Wanderung – in 21 Gesängen umkreist Gerhaher den Schmerz des Bewusstseins. Sie enden ohne eine Hoffnung in dieser Welt, ohne Nachspiel, nur mit dem Nachhall seiner Stimme. Und rufen nach einer Zugabe, einfach, weil man so unmöglich scheiden kann. Gerhaher sendet hintersinnig als letzten Gruß Schumanns „Mein schöner Stern!“ hinterher: „Ich bitte dich, O lasse du dein heitres Licht / Nicht trüben durch den Dampf in mir, / Vielmehr den Dampf in mir zu Licht, / Mein schöner Stern, verklären hilf!“

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