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Keine Bilder mehr. Christian Kracht mag nicht fotografiert werden. Foto: dpa

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Christian Kracht: Und er traut sich doch auf die Buchmesse

Sieh her, Branche, der Mann entzieht sich nicht: Nach dem Streit um sein Buch "Imperium" zeigt der Autor Christian Kracht demonstrativ Präsenz auf der Leipziger Buchmesse.

Schriftsteller haben es nicht leicht auf einer Buchmesse. Sie sind zwar diejenigen, die das Ganze erst möglich machen, um deren geistigen Produkte sich alles dreht. Aber im Messetreiben, beim Aufeinandertreffen von Buchbranche und Publikum, geraten sie gern in Vergessenheit. Da stehen sie oft unbeachtet und allein am Rande herum. Ausnahmen gibt es natürlich. Das sind die happy few, die Spitzentitel geschrieben haben, deren Bücher für Preise nominiert sind, auf der Bestsellerliste stehen oder Politik- und Fernsehberühmtheiten. Dieses Autorenspezies bekommt nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern deshalb auch von ihren jeweiligen Verlagen Betreuerinnen zur Seite gestellt, die sie zu jeder Lesung und jedem Gespräch begleiten.

Im Fall von Christian Kracht fiel die Betreuung bei dieser Messe noch spezieller aus. Ihm stand nicht nur eine Dame aus der KiWi-Marketingabteilung zur Seite, sondern auch Verleger Helge Malchow, der Kracht nach den Vorwürfen im „Spiegel“, er sei ein „Türsteher rechten Gedankenguts“, in seine besondere Obhut nahm. Schon am Mittwoch bei der Eröffnung waren Malchow und Kracht anwesend, was irgendwie demonstrativen Charakter hatte. Sieh her, Branche, der Mann entzieht sich nicht! Aber warum auch? Kracht ließ sich von Malchow Kritiker und andere Literaturbetriebsmenschen vorstellen, ein „Aha“ oder ein zerquält- stummes Lächeln entlocken und führte später auch unabhängig von Malchow Gespräche über alles, nichts und den „Spiegel“. Einen Tag später kam dann über die Nachrichtenagenturen zwar die aufgeregte Meldung „Kracht sagt Lesung ab“ sowie alle Gespräche. Doch war die Lesung schon drei Wochen zuvor gecancelt, und Gespräche hatte er sowieso keine zugesagt.

Nein, Christian Kracht läuft an diesem Messedonnerstag einen richtiggehenden Messeparcours. Er führt ein müdes Gespräch mit seiner polnischen Übersetzerin Dorota Stroinska über deren Übertragung seines 2008er-Romans „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, signiert Bücher, verfolgt an der Seite von Helge Malchow die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse und ist abends ebenfalls präsent, gewissermaßen zur nachgeholten „Imperium“-Buchpremiere in Deutschland.

Dreihundert überwiegend jüngere Menschen sind in den Vortragssaal der Bibliotheca Albertina gekommen. Bevor es losgeht, läuft klassische Musik vom Band. Und mehrmals wird darauf hingewiesen, dass weder fotografiert noch Lesungsaufnahmen gemacht werden dürfen: Soviel Dylan-Attitüde muss sein. Kracht hat in seiner verstörten Krumpeligkeit inzwischen tatsächlich mehr von einem Dylan als einem jungen Pop-Dandy. Verleger Malchow stellt seinen Autor kurz vor, sagt, dass die Rezeption von dessen Werk in der Wissenschaft schon weiter vorangeschritten sei als im Feuilleton. Und er übergibt an den Literaturwissenschaftler und Kracht-Woodard- Briefwechsel-Herausgeber Johannes Birgfeld zu einer weiteren Vorstellung, die genau so kurz und eher unterkomplex ist: Dass Krachts Werk ein vielfältiges ist und „Imperium“ als „Abenteuerroman“, als „Südseeballade“ gelesen werden kann, weiß ja sogar das Feuilleton.

Ein bisschen seltsam ist das schon: die Atmosphäre, die kurzen Anmoderationen, in der die Debatte richtigerweise mit keinem Wort erwähnt wird, das Fotoverbot. Kracht ist nervös, das spürt man, er holt seine große Lesebrille hervor, sagt „Guten Abend“, dass er den Schluss des Romans lese und: „Ich fange jetzt an.“ Er liest gut eine Stunde, mit leiser Stimme, räuspert sich wiederholt. Alle hören gespannt zu, wiewohl der Schriftsteller nicht besonders gut vorträgt und keinen Rhythmus für seine oft langen Sätze findet. Aber der inzwischen irre Engelhardt, der groteske Tod des Pianisten Lützow, überhaupt das komische Personal, die Endzeitstimmung im Bismarck-Archipel sorgen für Aufmerksamkeit und auch für Erheiterung. Danach wollen viele ihre „Imperium“-Ausgabe signiert haben. Dem ZDF-Team jedenfalls, das am Ausgang das Publikum befragt, wird wohl keiner gesagt haben, dass es schlecht, blöd oder skandalös war. Es muss nun schließlich auch mal gut sein.

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