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Christian Thielemann

© Jakob Tillmann

Christian Thielemann mit der Staatskapelle Berlin: Vorspiel und Liebestod

Eigentlich sollte Herbert Blomstedt die Staatskapelle dirigieren. Weil der 95-Jährige einen Unfall hatte, sprang Christian Thielemann ein.

Es sind Bilder von Freundlichkeit und Neugier, die Herbert Blomstedt bei seiner ersten Probe mit der Staatskapelle Berlin am vergangenen Freitag zeigen. Das letzte Konzert der Saison sollte ein Wiedersehen mit dem sanften Altmeister bringen, danach wollte er nach Dresden reisen, wo man dem ehemaligen Chef des Gewandhausorchesters zu seinem 95. Geburtstag ein Festival ausrichtet, Dankgottesdienst inklusive. Doch am Samstag stürzte Blomstedt, noch befindet er sich im Krankenhaus, zur Beobachtung, wie es heißt.

Normalerweise wäre wohl Daniel Barenboim am Pult des Orchesters eingesprungen, das ihn als Chef auf Lebenszeit gewählt hat, auch das Programm mit Mozart und Bruckner deutet in seine Richtung. Umso überraschender der Einspringer, dem nur eine Generalprobe Zeit blieb, um sich mit der Staatskapelle vertraut zu machen: Christian Thielemann (63) gibt sein Debüt vor den Musikerinnen und Musikern, Daniel Barenboim (79) hört am zweiten Konzertabend in der Philharmonie aus dem Publikum zu.

Ins Risiko gehen

Um sich auf einen lebendigen Mozart- Stil zu einigen, fehlt es an Vertrautheit, Thielemann ersetzt ihn pragmatisch durch so etwas wie seine musikalische Visitenkarte: Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“. Wagners Sachwalter auf dem Grünen Hügel kann hier ganz ins Risiko gehen, er atmet diese Musik und dirigiert besonders im Vorspiel nicht zwei aufeinander folgende Takte im gleichen Maß. Alles ist hypnotisch, beschwörend, herausfordernd. Die Staatskapelle gibt sich dem hin, klingt seidig durch alle Register hindurch, auch wenn sich schon im Liebestod erste Inseln von erstarrendem Bombast bilden.

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Auch Bruckners Siebte dirigiert Thielemann, der gerade einen Symphonien-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern einspielt, auswendig. Sein Streben nach Zartheit und Transparenz dringt weit vor in dieses gewaltige Werk, das auch Wagners Tod in Venedig betrauert. Doch wie schon im Liebestod büßt Thielemanns inständiges, wissendes Werben an Zauber ein, so als ließe sich ein Zustand gesteigerter Sensitivität nur für eine kurze Spanne aufrechterhalten. Am Ende orgelt die Staatskapelle vorzeitig an ihrer Intensitätsgrenze entlang und auch darüber hinweg. Thielemann, der ab Sommer 2024 ohne festen Job ist, erntet viel Beifall, auch von Seiten des Orchesters, das sich Gedanken um seine künstlerische Zukunft macht.

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