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Kultur: Christian und seine Brüder

Die Schwärskys sind ein Musiker-Clan. Einer wollte Opernsänger werden. Dann war das Maß voll

Als Erkennungszeichen hält Christian Schwärsky das Programmheft seines Arbeitgebers in der Hand: Das Logo des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) mit den charakteristischen Schallwellen, die sich radial ausbreiten, könnte auch das Signet seines eigenen Lebens sein – denn Musik durchzieht seine Biografie und die seiner Familie wie ein Thema den Kopfsatz einer Symphonie.

Christian Schwärsky ist Orchesterinspektor. Der normale Konzertgänger bekommt von ihm und dem, was er tut, nichts mit, nur das Ergebnis: „Ich bin dafür zuständig, die Spielfähigkeit am Abend herzustellen“, erklärt er. Wie viele Pulte und Stühle sind nötig? Wo kommen die Noten her? Sind sie im Archiv vorhanden, oder müssen sie beschafft werden?

Wenn das Orchester die Stadt verlässt, bedeutet das für Schwärsky logistische Schwerstarbeit. Allein der Transport der Instrumente ist eine echte Herausforderung, von den Musikern ganz zu schweigen. Vor der Gastspielreise des RSB nach Asien hatte er eine eigene Vorbesichtigung gemacht, um Bühnen und Hotelzimmer zu inspizieren und vor allem die Transportwege zu überprüfen. Denn wie viele tausend Kilometer auch zu überbrücken sind, manchmal sind es die letzten hundert Meter, auf denen ein Stau zur Falle wird. Man muss sich auskennen für diesen Job – und bescheiden sein. Sobald man im Vordergrund steht, ist etwas gründlich schiefgelaufen.

Dabei hatte Schwärsky einmal höhere Ziele. Und selbst das gehört zum Berufsbild. Denn die Inspektorenstelle hätte er nicht bekommen, wenn er nicht von Kindesbeinen an mit Orchestermusik vertraut gewesen wäre: Christian Schwärsky wurde in eine hochmusikalische Familie hineingeboren. Sein Großvater, Alfred Schwärsky, hatte mit Tönen noch nicht viel im Sinn. Er bediente die Signale am Bahnhof von Osterfeld in Sachsen-Anhalt, einem Ort, den man heute nur wegen der gleichnamigen Raststätte an der A9 kennt. Aber immerhin erkannte der Großvater auch die Signale, die auf das musikalische Talent seines Sohnes Klaus hinwiesen, und schickte ihn zum Studium an die Musikhochschule Leipzig. „Wie die meisten, lernte mein Vater erst einmal Geige“, erzählt Christian Schwärsky, „bevor er erkannte, dass er für die Bratsche geschaffen war.“ Bereut habe er diese Entscheidung nie. Der Sohn erklärt: „Geige ist ein fantastisches, hochvirtuoses Instrument, mit ihrem dunklen Klang und ihrem unkapriziösen Charakter wirkt die Bratsche dagegen bodenständig, freundlich und gewissenhaft.“ Mit 22 ist Klaus Schwärsky Mitglied des Gewandhausorchesters unter Franz Konwitschny, dem Vater des Regisseurs Peter Konwitschny.

Christian Schwärsky kommt 1966 zur Welt. Da zieht die Familie gerade nach Berlin um, weil der Vater eine neue Stelle als Solobratscher im Orchester der Komischen Oper bekommt. Er wird auch auf der Bühne zu erleben sein als singender jüdischer Geiger in Walter Felsensteins legendärer Inszenierung von „Der Fiedler auf dem Dach“ von 1971. Christian Schwärsky schmunzelt noch heute über die heimliche Entthronung: „Der Fiedler spielte in Wahrheit auf einer Bratsche, aber das erkannten nur die Profis.“

Die Schwärskys zogen in ein Haus in der Pankower Parkstraße, unweit vom Majakowskiring. Obwohl die SED-Parteiprominenz zu diesem Zeitpunkt in Wandlitz residierte, sah der kleine Christian immer wieder mal Lotte Ulbricht im Schlosspark spazieren. Felsenstein und seine Frau Maria fuhren häufig in schicken amerikanischen Autos an ihm vorbei, auf dem Weg von ihrer Pferderanch in Glienicke/Nordbahn zur Komischen Oper. Als Felsenstein starb, war Christian Schwärsky neun. „Mein Vater kam still und sehr betroffen zu uns. Es war ergreifend. Wir hatten schon sehr früh vermittelt bekommen, was für ein besonderer Mensch Felsenstein gewesen war.“

Sein Lebensweg ist vorgezeichnet: Christian Schwärsky spielt seit seinem 9. Lebensjahr Horn und studiert ab 1987 Gesang an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Dabei bleibt ihm das Abitur aufgrund der politischen Denkweise seiner Familie verwehrt. Er muss zunächst einmal eine Lehre als Zimmermann machen. „Die von der Familie her vertraute Musik war eine Nische für mich innerhalb des engen Systems“, sagt er – ein Fluchtpunkt. An der Hochschule wird Roman Trekel sein Lehrer, heute gefeiertes Ensemblemitglied der Staatsoper. Damals befindet sich Trekels Karriere noch im Aufbau. „Deshalb war er als Lehrer nicht engagiert genug. Einmal meinte er zu mir, in der Pause der ,Zauberflöte‘ hätte er eine halbe Stunde Zeit, da solle ich in seine Garderobe kommen.“

Mitten im Studium, 1989, flieht Christian Schwärsky über Ungarn in den Westen. Sein Denken ist geprägt vom Vater, der stets darunter gelitten hatte, nach dem Mauerbau ein Gastspiel nicht zur Flucht benutzt zu haben, sondern aus Liebe zu seiner Frau in die DDR zurückgekehrt zu sein. „Er hatte die Konsequenzen als junger Mensch nicht abgeschätzt und das immer als seinen größten Fehler bezeichnet.“

Auch Christian Schwärsky kehrt nach einem Intermezzo in Westdeutschland an die „Hanns Eisler“ zurück, aber die große Sängerkarriere bleibt ihm versagt. Statt in der Oper tritt er in Musicals im Theater des Westens sowie als Solist in Kirchen auf und ist mit zwei Freunden als „Die Kallmann Singers“ unterwegs. Als er eines Tages als Choraushilfe am Kleist-Theater in Frankfurt (Oder) aus dem Fenster blickt und draußen die Hollywoodschaukel und die Gartenzwerge sieht, ist für ihn das Maß voll. Er hängt seine Profession an den Nagel, studiert Kulturmanagement und wird, was er heute ist: Orchesterinspektor.

Inzwischen lebt er wieder im Pankower Elternhaus, gemeinsam mit Frau und zwei Kindern sowie seinen vier Brüdern. Johannes arbeitet als freischaffender Sänger, Georg ist Kontrabassist beim RSB, Helmut hat privat Gesang studiert, und der jüngste, Martin Schwärsky, singt bei den „Jungen Tenören“. Da auch sie Familie haben, leben sechzehn Personen in dem um 1900 errichteten Bau, der das musikalischste Wohnhaus Berlins sein dürfte. „Man kann ohne Hemmungen im Treppenhaus singen oder um Mitternacht Klavier spielen.“ Als „Die fünf Brüder“ sind die Schwärskys sogar aufgetreten, ihr größtes Publikum unterhielten sie mit einer Mischung aus „Land des Lächelns“, „Tosca“ und „Griechischer Wein“ im Sommer 2005 auf dem Leipziger Opernplatz.

„Musik ist unser Leben“, sagt Christian Schwärsky. Aber auch Quelle des Verdrusses. Kann er als Profi Konzerte überhaupt noch genießen? „Oft hört man leider nur auf die technischen Feinheiten“, gesteht er, „aber wenn eine Ebene erreicht wird, die an die Vollkommenheit heranreicht, geht mir das sehr nahe. Dann gibt es diese transzendenten Momente, und ich bin so glücklich, dass ich lachen muss.“ Noch nachdem er gegangen ist, hängt etwas von Heiterkeit in der Luft.

Das RSO spielt wieder am 13. Januar um 16 Uhr im Konzerthaus.

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