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Das von Schlingensief erträumte Projekt nimmt Formen an. Hier zu sehen ist jedoch eine Simulation.

© picture alliance / dpa

Christioph Schlingensief: Hügel der Hoffnung

Ein Jahr nach seinem Tod nimmt Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso Gestalt an. Ein Ortstermin.

Der Weg führt durch die Savanne, vorbei an Lehmhütten und Betonquadern, die als Wohnhäuser dienen, an Mais- und Hirsefeldern, Gras und Bäumen, braunweißen Rinder- und Schafherden. Das satte Grün der Regenzeit wechselt mit rotbrauner Erde. Noch ein paar Schlaglöcher, dann kommt der Hügel. Zwischen Gestrüpp und den für die Gegend typischen Granitsteinen taucht die Baustelle des Operndorfs auf, das sich Christoph Schlingensief vor seinem Tod vor einem Jahr erträumt hat. Arbeiter mauern, spachteln, schweißen. Im Operndorf von Laongo in Burkina Faso stehen die ersten Gebäude.

Unten im Tal arbeiten Frauen auf den Feldern. Eine kunstvoll errichtete Steintreppe führt hinunter. Auf dem Hügel stehen bunte Container aus Deutschland, in denen eine komplette Theaterausstattung darauf wartet, aufgebaut zu werden: die für Stefan Bachmanns Ruhrtriennale-Inszenierung gestaltete Amphitheaterbühne für Paul Claudels Stück „Der seidene Schuh“. Eine plattgewalzte Fläche im Zentrum des Geländes deutet an, wo das schneckenförmige Festspielhaus einmal stehen soll.

Laongo liegt rund 30 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Ouagadougou. Bislang verschlug es Fremde höchstens wegen eines Parks mit Granitskulpturen hierher. Auf dem riesigen, sauber gepflasterten Parkplatz davor steht kein einziges Auto. In diese Gegend sollen einmal Theaterbesucher kommen.

Salif Sanfo, ein junger Künstler aus Ouagadougou, kann sich das gut vorstellen. „Das könnte ein neues Freizeitgebiet werden, die Leute aus Ouaga könnten hier ihr Wochenende verbringen“, und ebenso die Bewohner der nahe gelegenen Bezirkshauptstadt Ziniaré. Gegen Dezentralisierung hat auch Kulturmanager Ousmane Boundaoné nichts, aber die Konkurrenz auf kleinem Raum hält er mit Blick auf den Skulpturenpark von Laongo für ein Problem. Die Gelegenheit, ein Projekt aus Deutschland zu ergattern, hätten die Behörden ohne kritische Prüfung der Gegebenheiten beim Schopf ergriffen.

Für einen Ortswechsel ist es zu spät. „Es muss nur noch das Dach drauf“, sagt Architekt Dieudonné Wango beim Rundgang durch die Grundschule, die als erstes Gebäude des Dorfs fertig wird. Im Oktober sollen 50 Erstklässler die Räume beziehen. Wango zeigt die Lehmziegelhäuser, in denen ein kühles Raumklima herrscht, spricht von der Wertschätzung der heimischen Baustoffe. Er leitet die Baustelle, wenn der Berliner Architekt Diébédo Francis Kéré nicht vor Ort sein kann.

Der verstorbene Regisseur Christoph Schlingensief.
Der verstorbene Regisseur Christoph Schlingensief.

© dpa

Kéré, der aus Burkina Faso stammt und das Operndorf entworfen hat, wendet seine ganze Energie darauf, das Projekt im Sinne Schlingensiefs zu realisieren – und den Erwartungen der Burkiner gerecht zu werden. „Das Projekt“, sagt er, „hat ohne Christoph seine Seele verloren. Aber ich hoffe, dass wir trotzdem eine Infrastruktur schaffen, die die Menschen nutzen können.“ Dass zuerst die Grundschule gebaut wird, war Schlingensiefs ausdrücklicher Wunsch. Die Kinder aus den umliegenden Dörfern sollen hier nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, sondern auch einen Zugang zur Kunst finden. In den Lehmgebäuden werden ein Tonstudio und Ateliers eingerichtet.

In der zweiten Bauphase soll eine Krankenstation entstehen, ein Gästehaus, ein Restaurant und der Sportplatz für die Schule. Erst zum Schluss wird als eigentliches Herz der Anlage das Festspielhaus errichtet. Vielleicht in zwei Jahren, vielleicht später, heißt es im Berliner Büro der Festspielhaus Afrika GmbH, die unter Federführung von Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz das Projekt weiterführt. Entscheidend ist die Finanzlage. Die Förderungen von Auswärtigem Amt, Goethe-Institut und der Bundeskulturstiftung sind erst einmal ausgelaufen, neue Sponsoren werden dringend gesucht.

Dass es weitergeht, hoffen nicht zuletzt die Anwohner. Dutzende Männer fanden auf der Baustelle Arbeit, während die Frauen den Arbeitern Essen verkaufen – eine Entschädigung dafür, dass mancher Dorfbewohner im wahrsten Sinne des Wortes das Feld räumen musste. „Wir waren bereit, auf Land zu verzichten, um das Dorf voranzubringen,“ sagt Prosper Tapsoba, der einen Job als Wachmann übernommen hat. Die Anwohner gaben sogar einen spirituellen Ort am Fuße des Hügels auf. Wo bisher Opferzeremonien abgehalten wurden soll der Sportplatz entstehen.

Dass die Bauarbeiten nicht auf halber Strecke stecken bleiben, hoffen auch viele in Ouagadougou, wenngleich nicht alle sofort in Begeisterungsstürme ausbrachen, als die Deutschen kamen. „Am Anfang habe ich das Projekt nicht verstanden, ich war skeptisch“, sagt Etienne Minoungou, Schauspieler, Autor, Regisseur und Leiter des Theaterfestivals Recréatrales. Minoungou, Jahrgang 1968, sitzt mit dem Tänzer und Choreografen Seydou Boro zum Feierabendbier in einem Maquis, einer der typischen Bars der Hauptstadt. Die Freunde leben und arbeiten einen großen Teil des Jahres in Europa, kehren aber regelmäßig für Projekte in ihre Heimat zurück.

„In Burkina Faso hole ich meine Inspiration, hier habe ich Ideen“: Boro gastierte im Juni im Berliner HAU und arbeitet in seinem Tanzzentrum La Termitière an einer neuen Choreografie. Hier treffen sich Künstler aus aller Welt zu Workshops, alle zwei Jahre wird ein Festival veranstaltet. Es gibt ein Gästehaus, ein Restaurant und ein Theater für 300 Zuschauer. Ausgelastet ist der Saal oft nicht.

Und jetzt auch noch ein Festspielhaus. Boro kommentiert das mit Schweigen, Minoungou findet, die einheimischen Künstler seien zu spät in die Planungen einbezogen worden. Als die Schauspielerin Odile Sankara, jüngste Schwester des 1987 ermordeten Staatschefs Thomas Sankara, vorbeischaut, erklärt er gerade, dass es in der internationalen Zusammenarbeit eine bestimmte Art gebe, sich Afrikas Realitäten anzunähern. „Man entwickelt nicht die Menschen, sondern die Menschen wollen sich selbst entwickeln.“ Sankara war der Che Guevara von Afrika, auch er wollte, dass sich das bitterarme Land aus eigener Kraft entwickelt, ohne Hilfe des Westens. Bis heute wird er von den Burkinern verehrt.

Jetzt, da das Operndorf im Bau ist, will Minoungou immerhin die Richtung mitbestimmen. Er ist Mitglied des kürzlich geschaffenen Lenkungs-Komitees, das den burkinischen Kulturschaffenden eine Plattform zum Mitgestalten bietet. Im Gremium sitzt auch Gaston Kaboré. Wenn der 60-jährige Regisseur vom Operndorf spricht, strahlt sein freundliches Gesicht noch mehr als sonst. Gemeinsam mit Schlingensief gehörte er 2009 der Berlinale-Jury an, er fühlt sich nicht ganz unschuldig daran, dass das Festspielhaus in seinem Heimatland entsteht. „Christoph hat mir viel davon erzählt“, erinnert sich Kaboré in seiner Filmschule Imagine in Ouagadougou, die er in Eigeninitiative aufgebaut hat. „Auf den ersten Blick erscheint es total verrückt. Aber wenn man immer alles zu Ende denken und sämtliche Kosten kalkulieren würde, würde man nie etwas wagen.“

Für Kaboré hat das Projekt sein Ziel erreicht, wenn es andere zu ungewöhnlichen Wegen inspiriert, etwa in der Bildung. „Es wird der Anfang einer Revolution in der Wahrnehmung des Grundschulunterrichts in Burkina Faso sein“, hofft er. Das Theater, fernab vom städtischen Publikum, könne der ländlichen Bevölkerung neue Horizonte eröffnen.

Schlingensiefs Kunst, gegen den Strom zu schwimmen, gefällt Kaboré. Vielleicht ist das Operndorf ja ein steinernes Manifest dieser Kunst. Auch wenn die Organisatoren das Projekt nicht als Denkmal für den viel zu früh gestorbenen Künstler verstanden wissen wollen, so ist es doch der Versuch, Christoph Schlingensiefs schöpferische Kraft am Leben zu halten – zumindest in Afrika. Solche Aktionskunst braucht einen langen Atem.

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