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Christos Projekt für den Arc de Triomphe wurde wegen Corona verschoben.

© Christo

Christo im Palais Populaire: Groß denken, Wunder schenken

Sie (ver)packen das: Im Palais Populaire Unter den Linden sind die Projekte von Christo und Jeanne-Claude zu bestaunen.

Vor zwei Tagen kam die Nachricht, dass die Verhüllung des Pariser Arc de Triomphe auf den nächsten Herbst verschoben ist. Für Christo war das eine bittere Pille, verfolgt er doch seit 1962 zusammen mit Jeanne-Claude die Verwirklichung dieses Projekts. Nun muss er sich länger gedulden, was dem für seine Hartnäckigkeit bekannten Künstler jedoch nicht schwerfallen dürfte.

Ein Trost könnte sein, dass wenigstens seine Berliner Ausstellung im Palais Populaire zum 25. Jahrestag des „Wrapped Reichstag“ doch noch eröffnet – mit fast siebenwöchiger Verspätung. Drei Tage nach dem Lockdown hätte die Vernissage sein sollen mit einem Empfang für den Künstler beim Sammlerehepaar Ingrid und Thomas Jochheim, deren Kollektion Unter den Linden ausgestellt wird. Corona durchkreuzte gründlich die Pläne, der 85-jährige Künstler musste in New York bleiben, hinter der bereits gehängten Ausstellung schlossen sich die Türen.

Seit dem gestrigen Dienstag aber hat das im Prinzessinnenpalais residierende Ausstellungshaus der Deutschen Bank wieder geöffnet (bis 17. August; Mi bis Mo 11 – 18 Uhr, Do bis 21 Uhr). Es gehört damit zu den ersten Berliner Kunstinstitutionen, die wieder zugänglich sind.

Die Freude der Kuratoren, der ersten Besucher ist greifbar. Um möglichst viele Menschen teilhaben zu lassen, gibt es nicht nur montags freien Eintritt, wie seit über 20 Jahren, sondern jeden Tag. Dafür muss der Besucher Wartezeiten in Kauf nehmen – maximal 35 Besucher dürfen hinein. Am Besten, man sichert sich eine Zeitfensterkarte unter www.ticketspopulaire.de.

Gezeigt wird die Sammlung des Ehepaars Jochheim

Am meisten aber freut sich das Sammlerpaar, das bei der Vorbesichtigung im ersten Palaisgeschoss die rund 70 Werke abschreitet, die ansonsten in seinen beiden Wohnsitzen in Charlottenburg und Recklinghausen hängen. Die beiden Aficionados lernten das Künstlerpaar durch ihren belgischen Galeristen kurz nach der Verhüllung des Reichstags kennen und freundeten sich schnell an.

Seitdem gehören sie zum Unterstützerkreis, denn die spektakulären Projekte des Duos finanzieren sich stets durch Kunstverkäufe, nie durch Sponsoring oder Fördergelder. Von jeder Aktion erwarben die Jochmanns Originale, Editionen, Multiples und trugen damit eine Kollektion zusammen, die wie kaum eine andere weltweit sämtliche Phasen abdeckt.

„Christo and Jeanne-Claude: Projects 1963-2020“ vermittelt noch einmal die sprudelnde Energie dieses ungewöhnlichen Künstlerpaares, das mit seinen legendären Installationen auf der ganzen Welt Spuren hinterließ: in Australien mit der eingehüllten Küste, in Colorado mit dem durch ein Tal gehängten Vorhang, vor Miami mit den rosa umschlungenen Inseln, in Paris mit dem eingepackten Pont Neuf, in Japan mit den 1000 aufgespannten Schirmen, im New Yorker Central Park mit den gelb flatternden Toren bis hin zum schwimmenden Steg im italienischen Lago Iseo 2014, den Christo fünf Jahre nach Jeanne-Claudes Tod alleine realisierte. Stets wurden wenige Tage später die Requisiten entfernt, so dass sich die Wirkung der Präsentation umso mehr in der Erinnerung und den ikonischen Aufnahmen entfaltet.

Radikal demokratisch sollte diese Kunst stets sein

Zu den wohl zauberischsten Projekten gehörte im Jahr 1995 die Verhüllung des Berliner Reichstags mit 100 000 Quadratmetern silbrig schimmerndem Polypropylengewebe: die Verwandlung eines für Jahrzehnte stillgelegten Parlamentsgebäudes in ein Kunstobjekt, bevor die Abgeordneten wieder ihre Arbeit aufnehmen konnten.

Der „Wrapped Reichstag“ verwandelte alle gleich mit, die das Werk damals staunend in der Sonne glitzern sahen: das erste Sommermärchen nach der Wende. Wie viel Arbeit und Abenteuer dahinter steckten, verrät ein hinreißender Dokumentationsfilm im zweiten Stock, der Christo und Jeanne-Claude dabei begleitet, wie sie mit umwerfendem bulgarischen beziehungsweise französischen Akzent den Helfern Kommandos erteilen oder sich miteinander über die Waghalsigkeit einzelner Etappen streiten.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog]

Mit ihrem radikal demokratischen Anspruch einer Zugänglichkeit für alle sind Christo & Jeanne-Claude singulär in der Kunstwelt – aber auch mit ihrem hypertrophen Ansatz. Das nächste von Christo angepeilte Projekt „Die Mastaba für Abu Dhabi“ lässt eher schaudern. Es soll die größte Skulptur der Welt werden, bestehend aus 410 000 Ölfässern, die 150 Meter hoch, 225 Meter tief und 300 Meter breit nahe der Liwa-Oase aufeinandergetürmt werden sollen. Und trotzdem möchte man Christo auch hierbei Erfolg wünschen. Auf dass er sein Lebenswerk weiter vollenden kann, das so viele Menschen beglückt hat und das in seiner Bandbreite nun eindrucksvoll im Palais Populaire zu studieren ist.

Darin blieb sich der Künstler stets treu: Von jedem Projekt schuf er im Vorfeld höchst attraktive Zeichnungen, meist aus der Vogelperspektive mit flatternden Vorhängen, aufgespannten Schirmen, blauen, rosa, gelben Stoffbahnen mitten in der Landschaft. Als Unterlage dienen ihm häufig Schwarzweiß-Fotografien, die die Grenze zwischen Wunsch und Wahrheit verfließen lassen. In einer flachen Box aus Acrylglas geborgen, sind sie wie ein Versprechen. Das Bild des „L’ Arc de Triomphe“ umgibt angesichts der jüngsten Verschiebung nun noch länger die Aura des zugleich Greifbaren und doch Unwirklichen.

Die Ausstellung im Palais Populaire gibt eine Ahnung von künstlerischer Suggestionskraft. Vor Corona wird auch sie machtlos. Zumindest temporär.

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