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Ferner Spiegel einer Zeit. Jupp Darchinger (li.) und Helmut Schmidt 2008 bei einer Darchinger-Ausstellung in Berlin. Foto: dpa-bildunk

© dpa

Chronist der Bonner Republik: Fotograf Jupp Darchinger ist tot

Jupp Darchinger hatte über Jahrzehnte hinweg alle Politgrößen der Bonner Republik vor der Linse, und seine Aufnahmen bestimmten das Bild dieser Republik in unserem kollektiven Bewusstsein. Jetzt ist der bedeutende Fotochronist im Alter von 87 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Die Chance eines Pressefotografen besteht darin, dass wir, die Betrachter, die Welt in seinen Bildern sehen. Josef Heinrich Darchinger, kurz, in der von allen gebrauchten rheinischen Form, Jupp Darchinger ist das gelungen. Das Bonn der Jahrzehnte zwischen der Gründung der Republik und dem Umzug nach Berlin existierte im kollektiven Bewusstsein zum nicht geringen Teil – und wird so weiter existieren – in seinen Aufnahmen.

Sie bilden das Panorama der Personen und Situationen ab, die für ein knappes halbes Jahrhundert Zeitgeschichte schrieben: von dem legendären Foto des Wegweisers zum Parlamentarischen Rat, hinter dem man die Kühe auf der Weide grasen sieht, über das Foto der sommerlichen Kabinettssitzung der Großen Koalition unter den Bäumen im Garten des Kanzleramts bis hin zu der grotesken Szene auf dem Güstrower Bahnhof, bei der Helmut Schmidt nach dem Treffen am Werbellinsee von Erich Honecker ein Hustenbonbon entgegennimmt.

Sein nüchtern-zugreifender Stil passte zu der Epoche, die er fotgrafierte

Darchinger war der Platzhirsch auf dem Bonner Schauplatz, ohne dass der untersetzte Mann viel von sich her gemacht hätte. Der in der Wolle gefärbte Bonner war von Anfang an dabei, mit dem generationsspezifischen Erbteil von Krieg, schwerer Verwundung und improvisierten Anfängen. Weil er als Fotograf Autodidakt war und ihm die Innung die berufliche Anerkennung verweigerte, deklarierte er sich als Fotojournalist und traf damit genau das, was er wurde. Denn es ist der Zeitgenosse, nicht der Künstler oder Sucher nach einer neuen Bildersprache, der aus seinen Bildern spricht: sachlich, genau, allerdings mit deutlicher Distanz von der Routine des „Shakehands-Bild“. Er hat damit Schule gemacht, und dieser nüchtern-zugreifende Stil passte zu der Epoche der Republik, die er fotografierte.

Jupp Darchinger mit seiner ersten Spiegelreflexkamera vor einem von ihm geschossenen Porträt von Willy Brandt und Leonid Breschnew.
Jupp Darchinger mit seiner ersten Spiegelreflexkamera vor einem von ihm geschossenen Porträt von Willy Brandt und Leonid Breschnew.

© dpa

Nach dem Schritt in die Selbständigkeit 1952 fotografierte Darchinger zunächst vor allem für die SPD, der er politisch verbunden war, und für den wachsenden Markt des politischen Bonns. Von den sechziger Jahren an arbeitete er in der obersten Klasse der Pressefotografen, vor allem für den „Spiegel“ und die „Zeit“, war überall dabei im publizistischen Tross der politischen Größen, immer jedoch als freier Fotograf. Seitdem gehören er und seine Bilder zur Geschichte der „Bonner Republik“ – den Begriff ganz ohne Ideologie verstanden, vielmehr als Legierung von Politik und einem unverwechselbaren Stil des Sich-Gebens. Der ferne Spiegel einer Zeit, die trotz allen Wandels noch zu den Fundamenten unserer Gegenwart gehört.

Übrigens reichte sein Interesse über den Dunstkreis des Politischen hinaus. Bei der Prägnanz des Bonner Darchingers blieb diese Seite fast verborgen. 2008 brachte sie sein Sohn Frank, ebenfalls Fotograf, an den Tag. Unter dem Titel „Wirtschaftswunder. Deutschland nach dem Krieg 1952 - 1967“ stellte er einen Band aus dem Werk seines Vaters zusammen: ein großes Bilderbuch einer, Darchingers, Epoche voll von Alltag, nachgerade historischen Andachtsbildern und einer inzwischen fast unvorstellbaren Vergangenheit. Jetzt ist Jupp Darchinger kurz vor seinem 88.Geburtstag in Bonn gestorben.

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