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Der Kapitän. Chuck Berry (1926–2017).

© imago/ZUMA Pres/Ken Babolocsay

Chuck Berrys letztes Album: Leg deinen Kopf auf meine Schulter

Anrührender Abschiedsgruß des Rock-’n’-Roll-Königs: Chuck Berrys beweist in seinem letzten Album „Chuck“ noch einmal, was für ein toller Erzähler er war.

Letzte Wünsche sollte man achten und nach Möglichkeit erfüllen. Und wenn ein Titan noch ein allerletztes Mal die Titanentaten seiner Vergangenheit feiern möchte, muss man ihm zur Seite stehen. Die Familie des im März gestorbenen Chuck Berry hat das getan und seine letzte Platte – die erste mit neuen Songs seit 38 Jahren – für ihn fertiggestellt.

Er hatte sie an seinem 90. Geburtstag im vergangenen Oktober angekündigt – als Hommage an seine Ehefrau Themetta, mit der er 68 Jahre verheiratet war und vier Kinder hat. Zwei von ihnen sind auf dem gerade erschienenen Album „Chuck“ zu hören, das auch sonst eine sehr familiäre Angelegenheit geworden ist – ohne viel Tamtam oder bekannte Produzenten eingespielt. Dafür waren alte Berry-Weggefährten wie Bassist Jimmy Marsala, Pianist Robert Lohr und Schlagzeuger Keith Robertson dabei. Sie haben den Rock-’n’- Roll-Meister jahrzehntelang bei seinen monatlichen Auftritten im Blueberry Hill Club seiner Heimatstadt St. Louis begleitet. Wobei diese Gigs in der späten Phase zur traurigen Veranstaltung wurden, weil die Performancefähigkeiten des greisen Musikers schwanden. Auch deshalb ist es schön, dass „Chuck“ veröffentlicht wurde – ein letzter Eindruck, der würdevoll und seinem Vermächtnis angemessen ist. Das gilt sicher nicht für alle zehn Stücke, doch für die Mehrzahl, und ganz sicher für den enthusiastisch rockenden Eröffnungssong „Wonderful Woman“, in dem Berry mit klarer, fester Stimme eine braunhaarige Schönheit besingt. Drei Gitarren begleiten ihn – eine spielt Sohn Charles Berry Jr. – doch er selbst hat natürlich stets die Führung.

Ein Song wie ein Kurzfilm

Die auf der 35 Minuten kurzen Platte versammelten Songs (zwei Coverversionen sind dabei) entstanden teilweise schon in den achtziger Jahren und beschwören die Erinnerung an die große Zeit des Mannes herauf, von dem Keith Richards sagt, er habe alles nur von ihm geklaut. Die legendären Auftakt-Licks von „Johnny B. Goode“ und „Roll Over Beethoven“ werden zitiert und zelebriert. „Jamaica Moon“ ist eine etwas muskulösere Variation auf „Havanna Moon“, bedauerlicherweise in Fake-Patois gesungen. Besser funktioniert „Lady B. Goode“, bei dem Berry mit Sohn und Enkel die Johnny-Geschichte aus weiblicher Sicht fortspinnt. Der Musiker ist inzwischen ein Star, seine Frau sieht ihn nur noch im Fernsehen: „She wondered if he’s ever coming back someday / The brighter lights and glory may just keep him away / But then he wrote and told her ,Do not be dismayed‘/ The love you have for me will never be betrayed“, singt er. Und tatsächlich gib es ein Happy End: Als ein Film über den Star gedreht wird, bittet er sie, mitzuspielen und schlussendlich wissen alle, dass sie Lady B. Goode ist.

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Was für ein toller Erzähler Chuck Berry war, lässt sich auch im fulminanten Talking Blues „Dutchman“ hören. In nicht einmal vier Minuten packt er die Geschichte eines Musikers, der in einer Bar von seinem Leben berichtet und vor allem von der Liebe seines Lebens („eyes like Cleopatra and a head of luxurious hair“), die er trotz aller Bemühungen nie haben konnte. Wie ein Kurzfilm wirkt dieser ungemein fesselnde Song.

Leicht wehmütige Bilder stellen sich bei der Country-Ballade „Darlin’“ ein, die Chuck Berry zusammen mit seiner Tochter Ingrid singt. Gleich zu Beginn spricht er sein fortgeschrittenes Alter an und fordert sie auf, ihren Kopf auf seine Schulter zu legen. Sie doppelt dann immer wieder einzelne seiner Zeilen, in denen er sich an die vielen Jahre erinnert, die seit ihrem 16. Geburtstag vergangen sind. „Yes, there’s been fame and there’s been fortune / But there’s been heartache“, bilanzieren Vater und Tochter. Ein anrührender Moment und vielleicht auch ein kleiner Trost für die Familie. Sie hat ihm die letzte Ehre erwiesen, Chuck Berry und seine geliebte Gitarre können nun in Frieden ruhen.

„Chuck“ erscheint bei Dualtone Music.

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