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CITY Lights: Eins und eins ist drei

Es gibt eine Art Triebstau-These, der zufolge nach dem Sturz einer Diktatur Energien frei werden und Künstler, die jahrelang zum Schweigen verurteilt waren, ein Meisterwerk nach dem anderen aus dem Ärmel schütteln. In Sachen Film sollen der italienische Neorealismus und das spanische Kino nach Franco diese These belegen.

Es gibt eine Art Triebstau-These, der zufolge nach dem Sturz einer Diktatur Energien frei werden und Künstler, die jahrelang zum Schweigen verurteilt waren, ein Meisterwerk nach dem anderen aus dem Ärmel schütteln. In Sachen Film sollen der italienische Neorealismus und das spanische Kino nach Franco diese These belegen. Nur gibt es eben auch Länder, in denen sich nach der Befreiung von einer Diktatur nichts von internationaler Bedeutung getan hat. Künstlerische Freiheit garantiert noch lange keine künstlerischen Höchstleistungen.

Das rumänische Filmwunder dieser Jahre mag seine politischen Wurzeln haben, ragt aber weit darüber hinaus. Eine Woche lang zeigt das Zeughauskino 14 Beiträge in einer „Rekonstruktion“ genannten Reihe. Der Titel ist mehrdeutig. Mal steht er für Vergangenheitsbewältigung, mal zeigt man einen verbotenen, verstümmelten Film in seiner vom Regisseur gewollten Fassung, und in Lucian Pintilies Die Rekonstruktion (1968) gibt der Titel den Inhalt wieder: Zwei Jugendliche werden gezwungen, eine im Rausch begangene Straftat für eine Pseudo-Doku zu wiederholen (Sonnabend). Der Regisseur musste bald darauf ins Exil gehen, durfte jedoch nach 1990 die staatliche Filmabteilung leiten. Noch schlimmeren Repressalien war Mircea Saucan ausgesetzt: Der Regisseur von 100 de lei (1974), in der zwei um eine Frau rivalisierende Brüder für Anpassung und Rebellion stehen, überlebte nur knapp einen Mordversuch und die Psychiatrie (Freitag). Eröffnet wird die Werkschau heute, 19 Uhr, mit einem frischen Festivalerfolg: Radu Munteans Dienstag nach Weihnachten lief im Mai in Cannes. In ruhigen, statischen Bildern wird der Versuch eines Mannes aus der oberen Mittelschicht erzählt, seine Ehefrau und seine Geliebte in den Tagesablauf zu integrieren.

Ein Mann im Schatten zweier Frauen war Vincente Minnelli, Ehemann von Judy Garland und Vater von Liza Minnelli. Das Arsenal feiert ihn als Meister des Melodrams: In Zwei Wochen in einer anderen Stadt (1962) verkörpert Kirk Douglas einen Star in der Midlife-Krise, gequält von seiner vergnügungssüchtigen Ex-Gattin Cyd Charisse und getröstet von der unschuldigen Daliah Lavi. Minnelli orientierte sich an Festivalhits wie „La dolce vita“ und „Letztes Jahr in Marienbad“, nur dass bei ihm alles üppiger ausfiel (Freitag). In Madame Bovary (1949) ist Jennifer Jones fast zu schön und begehrenswert, um als frustrierte Gattin eines Landarztes durchzugehen (Montag). Aber Minnelli gelingt eine hinreißende Ballsequenz, und in der Rahmenhandlung verteidigt James Mason als Gustave Flaubert seinen Roman vor Gericht – ein lobenswerter Versuch, dem US-Publikum die Rezeptionsgeschichte eines Literaturklassikers zu erklären.

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