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CITY Lights: Göttinnen der Unterwelt

Es gibt Phänomene, die man erst nach Jahrzehnten halbwegs begreift. Dazu gehören Filme, deren Horror darin besteht, dass eine Frau gegen das Altern ankämpft.

Es gibt Phänomene, die man erst nach Jahrzehnten halbwegs begreift. Dazu gehören Filme, deren Horror darin besteht, dass eine Frau gegen das Altern ankämpft. Sie kleistert ihr Gesicht mit Schminke zu, verfällt dem Wahnsinn, greift zum Revolver oder schwingt die Axt. Gloria Swanson in „Boulevard der Dämmerung“ ist der Prototyp dieser Heldin, auf die sich in den sechziger Jahren Bette Davis und Joan Crawford spezialisierten. Damals bildete der „Alte Frauen“-Horrorfilm ein eigenes Subgenre. Im Rückblick bedauert man nicht die Schauspielerinnen, die ihre Figuren so grandios verteidigten, sondern die Drehbuchautoren und Regisseure, die die erotisch reife Frau offenbar monströs fanden.

Die einzige deutsche Schauspielerin, die sich mit den Hollywood-Megären messen kann, ist Elisabeth Flickenschildt. Ihre Auftritte in Edgar-Wallace-Thrillern galten damals als billiger Broterwerb einer seriösen Bühnentragödin. Aber war sie, die so gerne die Augen und die Rs rollte, wirklich seriös? Warum nahm die Tochter eines Hamburger Kapitäns die Diktion einer russischen Gräfin an, oder besser, der Karikatur einer russischen Gräfin? Wer sie als singende Nachtklubbesitzerin Nelly Oaks in Das Gasthaus an der Themse (1962) oder als besitzergreifende Mutter eines Serienmörders in Das indische Tuch (1963) sieht, der empfindet mehr Bewunderung als Bedauern (Sonntag im Babylon Mitte). Die Unterwelt war Flickenschildts Zuhause, auch künstlerisch. Das Triviale war ihr Element, heute könnte sie gewiss problemlos dazu stehen.

Lange bevor sich Ehepaare SadomasoUtensilien bei Beate Uhse besorgten, führten der spanische Regisseur Jess Franco – dem das Babylon Mitte ab Freitag eine Retrospektive widmet – und seine Muse Lina Romay eine harmonische, wenngleich vor dem Gesetz „wilde“ Ehe. Nebenbei drehten sie brutale Horrorfilme. Sie heirateten 2008; im Februar 2012 starb Lina Romay 57-jährig an Krebs. In Das Bildnis der Doriana Gray (1976) spielt sie eine Doppelrolle als ihr eigener Zwilling, eine frigide Frau und eine in die Psychiatrie weggesperrte, mordende Nymphomanin (Montag). Franco ist vorgeworfen worden, seine Horrorsexfilme seien hässlich und unerotisch. Aber macht sie das nicht interessant, wegen der Kritik an herkömmlicher Sexfilmästhetik? Oder ist das Wunschdenken? Das letzte Wort über Jess Franco ist noch nicht gesprochen.

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