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CITY Lights: Hey, Baby!

Die Großstadt ist ein Lieblingsort des Kinos, der Berlin-Film fast ein Genre für sich. Gezeigt werden aber immer die gleichen zehn Titel, klagt „film buff“ Jan Gympel.

Die Großstadt ist ein Lieblingsort des Kinos, der Berlin-Film fast ein Genre für sich. Gezeigt werden aber immer die gleichen zehn Titel, klagt „film buff“ Jan Gympel. Deshalb will er eine fachlich überprüfte Datenbank ins Netz stellen – und legt unter www.berlin-film-katalog.de nun eine provisorische Liste vor, Ergänzungen sind erwünscht. Parallel existiert seit Juni in der Brotfabrik der „Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films“ (schöner Titel!), der am Montag mit Uwe Frießners Baby (1984) in eine neue Runde geht, eine melancholische Loser-Geschichte zwischen Märkischem Viertel und Kreuzberg, mit Disco, Kleingaunertum und schnodderschnäuzigenMännerfreundschaften. Der Soundtrack war die letzte Arbeit von Spliff, deren Bassist Manne Praeker dieser Tage gestorben ist. Uwe Frießner – er wird am 13. Oktober 70 – und Produzentin Clara Burckner werden anwesend sein.

Ungewohnt war damals auch der lässige Ton, mit dem in Frießners „Baby“ Zärtlichkeiten zwischen Männern nebenbei miterzählt wurden. Das ist naturgemäß anders bei der Filmreihe, die die Ausstellung „Trans*_Homo: von lesbischen Trans*schwulen und anderen Normalitäten" (noch schönerer Titel!) im Schwulen Museum begleitet: Sie will Identitäten und Lebensweisen zeigen, die sich am konventionellen Geschlechter-Dualismus ebenso reiben wie an traditionell schwulem Selbstverständnis. Durchaus umstritten bei bisherigen Festivalauftritten war dabei Marcus Lindeens Dokumentation Regretters (Sonnabend im Moviemento), die aus subjektiver Perspektive eine geschlechtspolitische Errungenschaft kritisch befragt: die operative Geschlechtsumwandlung von Transsexuellen. Der Film erzählt von zweien, die erst zur Frau geworden sind und dann den Weg zurück wählen. Auch hier spielen die Figuren sich selbst und interviewen sich gegenseitig über ihr Leben und stereotype Rollenerwartungen.

An den bürgerlichen Normalitäten hat sich fast manisch auch der 1939 geborene Marco Bellocchio abgearbeitet, dessen reichhaltiges, widerständiges und experimentierfreudiges Werk jetzt im Arsenal mit einer Retrospektive geehrt wird. Nach der Eröffnung am Freitag mit dem soeben in Venedig präsentierten und im katholischen Italien heftig umstrittenen Sterbehilfedrama Bella Addormentata geht es einen Tag später (in Anwesenheit des Regisseurs, Wiederholung am Dienstag) zurück zum Debüt, mit dem der junge Rebell 1965 nicht nur die Filmwelt Italiens verstörte. I pugni in tasca (Mit der Faust in der Tasche) griff – von der Familie bis zur Kirche – alles an, was der italienischen Nachkriegsgesellschaft heilig war. Der Film fasziniert auch heute noch als dicht inszeniertes Kammerspiel großbürgerlicher Destruktion.

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