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CITY Lights: Palast der Sünde

Das Melodram hat eine Aufwertung erfahren, ist es doch kein Synonym mehr für Schnulze und Kitsch. Die versteckte Gesellschaftskritik, das differenzierte Frauenbild, all das wird längst auch von Medienwissenschaftlern gewürdigt.

Das Melodram hat eine Aufwertung erfahren, ist es doch kein Synonym mehr für Schnulze und Kitsch. Die versteckte Gesellschaftskritik, das differenzierte Frauenbild, all das wird längst auch von Medienwissenschaftlern gewürdigt. Dennoch gibt es Filme, die man gegen solche Etikettierung verteidigen möchte. Die Reihe Mexikanische Melodramen (bis 28.7. im Arsenal) bietet Entdeckungen, die sich auf kein Genre reduzieren lassen, zum Beispiel Julio Brachos Distinto amanecer (1943, Dienstag 6.7., 17.7.) Es geht um eine Frau zwischen zwei Männern, einem braven Ehemann und einem Jugendfreund. Sie hat die Mutterrolle für ihren kleinen Bruder übernommen und jobbt nebenbei in einem Nachtclub. Der Jugendfreund, ein linker Aktivist, trägt Beweismaterial gegen einen korrupten Politiker bei sich und wird von Auftragskillern gejagt. Das bedeutet Melodram plus Gangsterfilm plus Politthriller.

Bracho inszeniert ohne Pathos, mit leisem Humor. Hauptdarstellerin Andrea Palma absolviert die stressigsten Situationen mit verblüffender Nonchalance. Wenn etwa ein Fremder mit der Axt auf sie zugeht, rennt sie nicht schreiend weg, sondern greift zur Pistole und schießt. Wer sich an Marlene Dietrich erinnert fühlt, liegt richtig. Bevor sie Schauspielerin wurde, war Palma Modeberaterin in Hollywood und kümmerte sich um den pummeligen Neuzugang aus Berlin. Sie bleibt eine Diva zum Anfassen. Darüber hinaus beeindruckt die unaufdringliche technische Könnerschaft: Gabriel Figueroas Kamera bewegt sich ständig, riskiert ungewöhnliche Perspektiven, aber immer mit Eleganz und sicherem Rhythmusgefühl.

Eigentlich liebte Figueroa, Mexikos berühmtester Kameramann, vor allem Außenaufnahmen: Frauen in wahlweise schneeweißen oder pechschwarzen Gewändern, die sich vom Hintergrund abheben. Figueroa liebte den Sand, das Meer, gleißende Sonne, fette Wolken. Ein Jahr, nachdem er in Cannes ausgezeichnet worden war, erhielt er für Die Perle (1947) weitere Preise. (10.7., 27.10.) Emilio Fernandez schildert darin nach einer Vorlage von John Steinbeck die Tragödie eines Fischers und seiner Frau, die der Fund einer Perle ins Elend stürzt. Pedro Armendáriz, in „Distinto amanecer“ ein Gentleman im Nadelstreifenanzug, zeigt sich hier überwiegend im Lendenschurz.

In einer Reihe mit mexikanischen Klassikern – die die große Mexiko-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau flankiert (siehe S. 37) dürfen María Félix und Dolores del Río nicht fehlen. Ein Gegensatzpaar, feurig und männermordend die eine, aristokratisch und edelmütig die andere, aber beide waren sie überlebensgroß – eben keine Diven zum Anfassen. Emilio Fernández' Enamorada (1946) ist eine Adaption von „Der Widerspenstigen Zähmung“, mit Félix als Widerspenstiger (Sonntag 4.7., 17. 7.), während del Río sich in Roberto Gavaldons La Otra (1946) an eine Doppelrolle wagte (Sonnabend 3.7., 20.7.). Eine arme, anständige Frau bringt ihre reiche, verdorbene Zwillingsschwester um und nimmt deren Identität an. Zu spät erkennt sie, dass sie für die Verbrechen ihrer Schwester büßen muss. Ein Star, der im Luxus leidet: In Deutschland lief der Film unter dem Titel „Palast der Sünde“.

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