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CITY Lights: Unterwegs im Engel-Express

Der erste große Spielfilm über den Holocaust wurde im Sommer 1947 in Deutschland gedreht. Er wäre längst ein Klassiker, hätte ihn die DEFA produziert.

Der erste große Spielfilm über den Holocaust wurde im Sommer 1947 in Deutschland gedreht. Er wäre längst ein Klassiker, hätte ihn die DEFA produziert. Aber Lang ist der Weg entstand in der amerikanischen Besatzungszone, auf dem Boden der späteren Bundesrepublik, und es gibt analog zur DEFA-Stiftung keine Institution, die sich für den westdeutschen Nachkriegsfilm engagiert. „Lang ist der Weg“, ein Achtungserfolg in Venedig und sogar in New York, geriet in seinem Herstellungsland in Vergessenheit, verwaist und entwurzelt wie seine Protagonisten (Montag in den Eva-Lichtspielen). Herbert B. Fredersdorf, der während der NS- Zeit zu seiner jüdischen Ehefrau gehalten hatte, und sein Co-Regisseur Marek Goldstein erzählen die Geschichte einer polnischen Familie vom September 1939 bis zur damaligen Gegenwart. Der Sohn geht in den bewaffneten Untergrund, der Vater wird vergast, die Mutter überlebt das KZ. Der Titel „Lang ist der Weg“ war als Mahnung gedacht, als Aufforderung, das Wiedersehen von Mutter und Sohn nicht als Happy-End zu deuten. Den langen Weg haben sie erst noch vor sich.

Erstaunlich schnell ist auch Markus Imhoofs Die Reise (1986) in Vergessenheit geraten. Das RAF-Beziehungsdrama war 1986 der bundesdeutsche Wettbewerbsbeitrag in Venedig und erzählt fast dieselbe Geschichte wie Andres Veiels „Wer wenn nicht wir“. Doch bei der Rezeption von Veiels Film spielte Imhoofs Vorgänger keine Rolle; er war kein Bezugspunkt. Ob diese Nichtachtung verdient war, lässt sich jetzt überprüfen (Sonntag im Kino Brotfabrik). „Die Reise“ basiert ausschließlich auf dem Buch von Bernward Vesper und nicht auf zusätzlichen Recherchen. Die Personen tragen andere Namen: Corinna Kirchhoff verkörpert ganz offensichtlich Gudrun Ensslin, aber ihr Rollenname lautet Dagmar. Auf äußere Ähnlichkeit mit den historischen Figuren wurde kein Wert gelegt: Claude-Oliver Rudolph macht aus Andreas Baader eine überlebensgroße Figur, einen furchterregenden Hünen. Das hätte dem echten Baader gefallen.

Trotz seiner 13 Jahre genießt RP Kahls Angel Express schon Kultstatus. Diese Sinfonie einer Club-Stadt ist der Szenefilm schlechthin – nervig und unwiderstehlich, mit einer Handlung, die sich darauf beschränkt, dass eine Pistole weitergereicht wird. Kahl hat einen Director’s Cut zusammengestellt, den man jetzt in der siebten Ausgabe von Achtung Berlin – New Berlin Film Award bestaunen kann. (Sonnabend FT am Friedrichshain; Montag in der Passage, Mittwoch im Babylon Mitte) Berlin als Clubstadt und Musikmetropole ist das Thema der Retrospektive unter dem Titel „Musik – Stadt – Berlin“, die ein halbes Jahrhundert abdeckt, so dass für Caterina Valente („... und abends in die Scala“) und Manfred Krug („Revue um Mitternacht“) ebenso Platz ist wie für Rock, Punk und Techno. Auf 17 Programmplätzen, belegt von Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilmen, geht täglich die Post ab (mehr unter www.achtungberlin.de).

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