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Kultur: Citylights

Wenn ein deutscher Film 400 000 Zuschauer anlockt, kann man das mit einer 3 oder 4 in der Schule vergleichen - ein ordentlicher Mittelwert. Das war nicht immer so.

Wenn ein deutscher Film 400 000 Zuschauer anlockt, kann man das mit einer 3 oder 4 in der Schule vergleichen - ein ordentlicher Mittelwert. Das war nicht immer so. 1948 wurde anders gezählt. Da erwies sich Morituri, die zweite Produktion des 28-jährigen Artur Brauner, als Megaflop - und das mit genau 424 476 Zuschauern! Für solche Flops wäre die deutsche Filmindustrie heute dankbar. Was hat Brauner falsch gemacht, dass ihm das Publikum scharenweise davonlief? Er hat seine eigenen Erlebnisse während des Zweiten Weltkriegs verfilmt, seine verzweifelten Versuche, sich in den polnischen Wäldern vor Wehrmacht und SS zu verstecken. Der unter schwersten Bedingungen im Winter 1947/48 gedrehte Film bemühte sich um eine versöhnliche Tendenz, er versuchte nicht, Opfergruppen gegeneinander auszuspielen und argumentierte allgemein menschlich. Dennoch reagierte das Publikum empört. Ausgebrochene KZ-Häftlinge als Helden wollte niemand sehen. Viele Zuschauer verlangten ihr Geld zurück, es kam zu antisemitischen Ausschreitungen, und die meisten Kinobesitzer nahmen aufgrund der negativen Mundpropaganda den Film erst gar nicht ins Programm. In Venedig wiederum wurde "Morituri" kühl aufgenommen, weil er mit seinen etwas plakativen Dialogen nicht neben den Meisterwerken des Neorealismus bestehen konnte. Als Zeitdokument ist er dennoch sehenswert. Eugen York führte Regie, in einer Hauptrolle ist die kürzlich verstorbene Winnie Markus zu sehen, und an ihrer Seite der ganz junge Klaus Kinski (heute und morgen im Filmmuseum Potsdam).

Weil er in der Branche überleben wollte, setzte Brauner seine Karriere erst einmal mit Komödien fort. Dabei waren die Deutschen, wie sich zeigte, durchaus empfänglich für düstere, im Detail grausame Filme, sie mussten nur in einer anderen Welt spielen, zum Beispiel im zaristischen Russland. Georges Lampins Der Idiot (1946) gehört zu jenen außergewöhnlichen Literaturverfilmungen, die man als rundum geglückt bezeichnen kann, obwohl sie das Material der Vorlage drastisch reduzieren mussten. Dostojewskis Werke sind im Detail, in der Personenzeichnung und den atmosphärischen Schilderungen so faszinierend, dass selbst oberflächliche Adaptionen noch eine starke Wirkung hinterlassen. Lampin konnte sich keine betörendere Nastasja Filippowna wünschen als Edwige Feuillère, keinen beseelteren Fürst Myschkin als Gérard Philipe (Sonntag in der Urania).

Einen interessanten Vorläufer von Todd Fields heute anlaufendem Schuld-und-Sühne-Drama "In the Bedroom" zeigt das Babylon Mitte am Dienstag: Auch Claude Chabrols Das Biest muss sterben spielt in einer Kleinstadt und handelt vom gewaltsamen Tod eines Sohnes, dessen Vater auf Rache sinnt. Wie Todd Field erzählt Chabrol seine Geschichte in einem ruhigen, fast behäbigen Ton, durch den der Verlust erst recht unter die Haut geht.

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