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© bpk

Claude Lanzmann: Warum die Erinnerung des „Shoah“-Regisseurs ungenau ist.

Edwin Redslob, ein deutscher Lebenslauf: Claude Lanzmann ist ein begnadeter Dokumentarist, doch er schildert bisweilen auch in dichterischer Freiheit.

Claude Lanzmann ist ein begnadeter Dokumentarist. Sein insgesamt neunstündiger Film „Shoah“, an dem er bis zur Fertigstellung 1985 elf Jahre lang gearbeitet hatte, ist bis heute die eindringlichste Dokumentation der Aussagen von Tätern und Opfern des NS-Völkermords. Lanzmann ist auch ein Erzähler; seine Autobiografie „Der Hase von Patagonien“, im französischen Original des vergangenen Jahres 546 Seiten lang, schildert minutiös auch entlegenste Ereignisse.

Jedoch bisweilen in dichterischer Freiheit. Eine Episode spielt an der neu gegründeten Freien Universität Berlin. Der 23-jährige Lanzmann war von der französischen Militärregierung als Lektor für Literatur angestellt worden, die FU indessen lag im amerikanischen Sektor. Lanzmann musste als französischer Bediensteter in Frohnau wohnen; die Entfernungsangaben in seinen Erinnerungen indes lassen ahnen, dass nicht jedes Detail nachrecherchiert wurde. So steht es auch mit der Behauptung, ein in der stramm kommunistischen Ost-„Berliner Zeitung“ am 7. Januar 1950 abgedruckter Beitrag, in dem er sich kritisch mit der jungen FU auseinandersetzt, habe zur Entlassung von Rektor Edwin Redslob, dem „Reichskunstwart“ der Weimarer Republik und Nachfolger des Historikers Friedrich Meinecke an der Spitze der Universität, geführt. „Der Rektor wurde unverzüglich entlassen, und nicht wenige andere teilten sein Schicksal“, heißt es in den „Mémoires“.

Liest man Lanzmanns zuvor in den Westsektoren abgelehnten Zeitungstext nach knapp 60 Jahren, fällt vor allem die pathetische Sprache auf, als ob es dem 24-jährigen Universitätsneuling in die Wiege gelegt worden sei, die Qualität einer Uni unter den katastrophalen Bedingungen des geteilten Berlins zu beurteilen. Entscheidend war aber eine Zutat der „Berliner Zeitung“, von der Lanzmann nicht in Kenntnis gesetzt worden war. Die Zeitung publizierte ein Gedicht Redslobs, das dieser zu NS-Zeiten für Werbezwecke einer Porzellanmanufaktur verfasst hatte, unter dem erfundenen Titel „An Emmy Göring“. Dass Redslob Görings zweite Ehefrau Emmy Sonnemann noch vor der NS-Machtergreifung bewundert hatte, ist kein Geheimnis – nur ein Gedicht speziell zu Ehren der Göring-Gattin hat er nie verfasst. Das war SED-Propaganda im Kalten Krieg.

Eine Episode wäre es, wenn Lanzmann nur nicht so hartnäckig daran festgehalten hätte. In seinen Erinnerungen, deren deutsche Ausgabe bei Rowohlt vorbereitet wird, erwähnt er begeistert die „Weltjugendfestspiele“ in der neu gegründeten DDR: „In diesen großen roten Gemeinschaftsfesten gab es, ob man wollte oder nicht, etwas Mächtiges und Brüderliches.“ Das konnte die FU nicht bieten, der er 1950 einen „Minderwertigkeitskomplex“ als Grund für eine vorgeschobene Bescheidenheit in Sachen Universitätsrituale attestierte.

Lanzmann ist berühmt, Edwin Redslob heute nahezu vergessen. Der Berliner Publizist Christian Welzbacher hat ihn nun mit seiner umfangreichen Biografie ins Bewusstsein zurückgeholt (Tagesspiegel v. 5. Januar). Und darin mitnichten verschwiegen, welches Lavieren Redslob zeit seines Lebens zu eigen war. Im Gegenteil: Dass sich Redslob an der FU ein gutes Gehalt und eine üppige Pension genehmigte, verschweigt sein Biograf ebenso wenig wie etwa die Tatsache, dass Redslob 1941 ein Buch unter dem Titel „Des Reiches Straße“ über den „Weg der deutschen Kultur vom Rhein nach Osten, dargestellt auf der Strecke Frankfurt - Berlin“ veröffentlicht hatte.

In der „Zeit“ hat Welzbacher nochmals deutlich gegen Lanzmanns Geschichtsversion Stellung bezogen. Denn Lanzmanns Erinnerung trügt. Redslob blieb noch knapp ein Jahr lang, bis zum November 1950, Rektor und bis zur Emeritierung 1954 Professor am Kunsthistorischen Institut. Welzbacher schildert in seiner „Biografie eines unverbesserlichen Idealisten“ eindrucksvoll den Druck, dem Redslob als einer der „prominenten Intellektuellen des Berliner Westteils“ seitens der DDR-Propaganda ausgesetzt war. Ihm lastete sie nichts weniger als die „Fortsetzung der faschistischen Politik und Kriegshetze“ an.

Immerhin war Redslob aufgrund seiner hervorragenden politischen Kontakte maßgeblich daran beteiligt, den Protest gegen die Gängelung der Studenten an der Ostberliner Humboldt-Universität zur Gründung der Freien Universität im amerikanischen Sektor zu kanalisieren. Dabei beleuchtet Welzbacher durchaus, wie Redslob an der FU alsbald durch seine, gelinde gesagt, familienfreundliche Personalpolitik, mehr aber noch durch seine Großzügigkeit gegenüber NS-belasteten Mitarbeitern in heftige Turbulenzen geriet und oft taktierte. Von „Nazibürokratie“ – so Lanzmann – kann keine Rede sein.

Mit Verwaltungsfragen hatte Lanzmann an der FU auch nichts zu tun. Vielmehr bekam er Ärger mit dem französischen Stadtkommandanten General Ganeval, dem Lanzmanns Seminar über Antisemitismus missfiel: „Junger Mann, ich habe erfahren, dass Sie Politik machen?“ Lanzmann fiel aus allen Wolken. Er wurde gemaßregelt und musste sein Seminar beenden, lebte fortan ein halb legales Abenteuerleben, wie es für die Viersektorenstadt Berlin durchaus bezeichnend war. Eine Zeit lang schrieb er Reportagen über den Alltag im Ostsektor.

Derzeit aber droht Redslob zum NS- Schreibtischtäter abgestempelt zu werden. Denn die Kritik an Lanzmann hat „taz“, „FAZ“ und „SZ“ auf den Plan gerufen, die Welzbacher jetzt unisono „Rufmord an Lanzmann“ vorhalten. Dabei werden die Schatten auf Redslobs Biografie suggestiv mit der Erkenntnis Welzbachers vermengt, dass Lanzmanns Erinnerung trügt. Als ob sie sakrosankt wäre. Der Rowohlt Verlag hat mittlerweile angekündigt, mit Lanzmann über die fragliche Stelle sprechen zu wollen.

Edwin Redslobs Lebensleistung, vom Museumsdirektor über den Reichskunstwart, von NS-Verfemung über „innere Emigration“ mit Goethe-Studien bis zum Mitbegründer von Tagesspiegel und FU, bleibt ungeachtet aller Brüche von der Lanzmann-Episode unberührt. Umso wichtiger, dass sein Biograf das Leben dieser deutschen Epochenfigur sine ira et studio aufgezeichnet hat. Sein Buch war, wie sich zeigt, längst überfällig.

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