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Gegen Europa, für "Heimat und Familie": Teilnehmer eines Aufmarsches des fremdenfeindlichen Bündnisses Pegida versammeln sich am 03.10.2016 in Dresden.

© dpa

Claus Leggewie über Anti-Europäer: Glasklare Gegnerforschung

Eine reale Bedrohung Europas: Claus Leggewie über antieuropäische Kräfte, von den identitären Nationalisten, über Putins Russland bis zum IS.

Von Caroline Fetscher

Auf einen großen Erfolg können sie schon verweisen, die Anti-Europäer: auf den Brexit. Das überstürzte Herausstolpern der Briten aus der Europäischen Union verdankt sich einer toxischen Mixtur. Mitgemischt an dem Cocktail haben sozialpsychologische, kulturelle und politische Elemente. Jetzt ist Claus Leggewie, Direktor des kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, so aktuell und schnell wie überaus kühn darangegangen, die Zutaten des Cocktails ins analytische Labor zu schaffen, um sie zu untersuchen. Schon mit bloßem Auge wird ihr gemeinsames Kernelement erkennbar: antieuropäisches Ressentiment.

Anti-Europäer, Anti-Westler haben Zulauf. In Putins Russland, in der Europäischen Union sowie in muslimisch geprägten Staaten erleben Populisten, dass ihre Propaganda auf öffentlichen Bühnen oder in den Höhlengängen des Internets Anhänger generieren kann, wie sonst nur Phänomene des Pop. Fast verwegen wirkt Leggewies Griff zu einer Textsorte, die weit jenseits der Wissenschaft siedelt, sich jedoch gerade darum als enorm ertragreich herausstellt: die Manifeste einschlägiger Extremisten. Gelesen werden sie als krudeste und damit unverblümteste Repräsentanten der jeweiligen Ideologie.

Ähnlichkeiten zwischen IS und Identitären

Für die Gruppe der identitären Neonationalisten steht das Pamphlet des Norwegers Anders Breivik, der im Juli 2011 auf der Insel Utøya ein Massaker an den ihm verhassten jungen, multikulturellen Sozialdemokraten verübte, und mit seiner „Al-Qaida-Strategie“ prahlte. Mit einem gemäßigten „Breivik ohne Utøya“, so Leggewie, stimmt das Ideengebäude der Identitären im „christlichen Abendland“ bestens überein, von den Niederlanden über Ungarn bis zu Frankreich oder Deutschlands Pegida. Den russischen Trend zur eurasischen Suprematie vertritt Putins Berater Alexander Dugin, der von einem expandierenden, christlich-orthodoxen Europa träumt, dem die westliche Dekadenz ausgetrieben wurde. Protagonist der islamistisch motivierten Attacke auf die liberale Gesellschaft ist hier der einflussreiche IS-Ideologe Abu Musab al-Suri, einst Medienagent von Osama bin Laden.

Ohne es auch nur im Ansatz auf Komplizenschaft abzusehen, weisen die europafeindlichen Denkgebäude, das belegt Leggewies glasklare „Gegnerforschung“, wie er sie nennt, verblüffende Ähnlichkeiten auf, enorme Schnittmengen. Männerbündisch aufgestellt geht es ihnen allen um eine „Sakralisierung des Politischen“, um antiliberale, antiwestliche und autoritäre Programme der Exklusion. Basierend auf dichotomischen Prinzipien – „wir“ und „die Anderen“, „rein“ und „unrein“, „gut“ und „böse“ – soll jeweils ausgegrenzt oder eliminiert werden, was das Weltbild stört: Andersgläubige, Ungläubige, Homosexuelle, Antiautoritäre, Feministinnen und, ganz generell, Leute fremder Herkunft.

Terrorangst befeuert Islamophobie

Gewiss macht sich Leggewies essayistischer Weckruf durch seine Materialwahl angreifbar. Doch, warnt er einleuchtend, auch „Mein Kampf“ sei zunächst nichts als das krause Gerede eines Außenseiters gewesen. „Die Konvergenz der Attacken auf Europa ergibt sich ex negativo“, hält Leggewie fest. Die antagonistischen Kräfte marschieren zwar getrennt, schaukeln sich aber wechselseitig auf: „Terrorangst befeuert Islamophobie, Krieg im Nahen Osten intensiviert die Flüchtlingsbewegung, und die Diversionstaktik Putins destabilisiert europäische Regierungen, die mit der Ausgrenzung von Muslimen und der Schließung ihrer Grenzen reagieren.“ Weiteres Resultat der Dynamik: „Wer Diskriminierung erfährt, kann eine Beute für militante Islamisten werden, und wenn Islamisten und Islamfeinde sich bekämpfen, wettet Putin (und auf seine Weise Donald Trump) als lachender Dritter auf beide den gleichen Betrag.“

Treffend folgert Claus Leggewie, die regressive „Flucht zurück ins Nationale“ wäre „exakt das, was sich die Anti-Europäer erhoffen.“ Dringend gelte es vielmehr, schließt er, ohne sich Vorschläge anzumaßen, originellere, innovative Narrative der Hoffnung und der Zivilcourage zu erfinden, um der sehr realen Bedrohung Europas effektiv zu begegnen.

Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri und Co. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 176 Seiten, 15 €

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