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Kultur: Clips ohne Klammer

Special Event: „Poem“ – eine Verfilmung von 19 Gedichten

Hmm, ein Gedichtfilm? Mit Goethe, Rilke und sogar Schillers „Ode an die Freude“? Von einem Werbe- und Videoclip-Regisseur, der vorher nur Dichterheroen wie „Die Toten Hosen“ bebildert hat und mit Bildungsbürgergut höchstens bei Werbeaufnahmen für die antike Turnschuhgöttin „Nike“ in Berührung kam? Klingt nach schwierigem Fall.

Das weiß auch Ralf Schmerberg. Immer wieder spricht er von seinem Film als einem „Sonderfall“. Ein Film ohne Hauptdarsteller, ohne roten Faden, ohne Handlung. Statt dessen 19 deutsche Gedichte, bebildert. „Ein Film, der verunsichert", sagt Schmerberg. Den Berlinale-Verantwortlichen ging es offenbar ähnlich. Einen Platz im Wettbewerb oder im Panorama wollten sie nicht frei räumen. Jetzt läuft er, auf Idee von Dieter Kosslick, als „Special Event" in der Volksbühne.

Ein Sonderfall, in der Tat. Warum wird ein Mann, der zugibt, früher nie Gedichte gelesen zu haben, plötzlich von den Musen geküsst? „Ich hatte die Schnauze voll von dem Stefan-Raab-Geschwätz, dem MTV-Gelaber, dem Hysterischen der Medienwelt", sagt Schmerberg. Da entdeckte er die Lyrik. Und alles war gut. War es? Von wegen. Keiner wollte das Projekt. Die Produktionsfirmen lächelten bloß milde. Die Förderanstalten wünschten immerhin viel Glück. Schmerberg nahm die Sache selbst in die Hand. Fünf Jahre Arbeit steckte er in das Projekt. 1,5 Millionen Euro. Und ziemlich viel Idealismus. Er hat Jürgen Vogel, David Bennent und Klaus Maria Brandauer vor die Kamera bewegt. Der Film ist in Nevada und Vietnam, auf Island und dem Himalaja entstanden und zu Hause in Berlin, bei Bolle unterm Sofa.

Schmerberg, der Videoclip-Regisseur, ist über die kurze Form nicht hinausgekommen. Sein Film besteht aus 19 Poesieclips, die durch keine Klammer zusammengehalten werden. Immerhin lassen sich vier Strategien erkennen, wie Schmerberg mit der Poesie verfährt. Mal versucht er das Gedicht zu interpretieren. Mal verwickelt er den Text in eine Handlung. Ein andermal sucht er nach bildlichen Analogien zur Stimmung der Strophen. Oder er lässt das Gedicht und die Bebilderung als Kontrast aufeinander prallen.

Der Regisseur weiß selbst, dass nicht alle Teile gleich gut sind. Für manche Episoden möchte man ihm eine runterhauen: für den Ethnokitsch, den Schwulst, die Vergewaltigung der Sprache durch die Penetration der Bilder. Andere sind so packend, dass man beinahe zu atmen vergisst: wenn Brandauers Gesicht bei der Rezitation von Heines „Schiffbrüchigem“ zu einer schwarzweißen Faltenlandschaft wird; wenn zu Versen von Heiner Müller ein Raum voller Brautkleider in Flammen aufgeht; wenn er im Stil von Ulrich Seidl Blicke in deutsche Spießerschlafzimmer wirft und dazu Kästners Refrain erklingt: „Und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit“. Schmerbergs Produktionsfirma heißt übrigens Trigger Happy. Übersetzt bedeutet das soviel wie: schießwütig. Wer schnell zieht, bei dem geht schon mal was nach hinten los. Andererseits: Unter vielen Schüssen trifft manchmal auch einer ins Schwarze.

Heute 16 Uhr (Volksbühne)

Julian Hanich

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