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Kultur: Clownerie mit dem Klon

Der raelianische Rummel verwirrt die Köpfe. Ein Plädoyer für Liberalität und Realismus in der Bio-Ethik

Die Deutschen therapieren ihren verfemten Stolz aufs eigene Land derzeit mit öffentlichen Selbstanklagen in den Feuilletons. Anlass gibt es genug: die PISA-Studie, Frau Däubler-Gmelin, Gerhard Schröders selbstgestellte Abseitsfalle im Irak-Konflikt, die Schuldenkrise, der Reformstau, Rentenlawine und schließlich das Dosenpfand. Das alles ist schlimm und wirft nicht geringe Probleme auf. Manchmal aber können selbst deutsche Feuilletonisten die eigene Krise nicht dadurch verbergen, dass sie die Krise der anderen diskutieren. Sollten die Seiten für die Kultur nicht der Ort des freien Gedankens, der kritischen Prüfung und der intellektuellen Perspektive sein? Doch was passiert? Man geht der Publicity eines geschäftstüchtigen Gurus auf den Leim und berichtet über die religiösen Hintergründe einer Sekte, die aus nichts als Vordergrund besteht.

Dabei lässt sich die längst nicht mehr allgemeine Frankfurter Zeitung im mehrspaltigen Interview sogar die transzendenten Bedingungen des Sektenführers diktieren: Man hört im FAZ-Feuilleton die Stimme des Ufo-Meisters jenseits von Raum und Zeit; nähere Angaben zu Ort und Termin der Begegnung fehlen. Dafür erfährt man, dass der religiöse Autorennfahrer geistig tief im 19. Jahrhundert steckt. Nur bei den Computerspielen hat er den Anschluss nicht verpasst, so wenig wie beim schlechten Filmgeschmack.

Die „Frankfurter Allgemeine“ steht jedoch nicht allein. Selbst die liberale „Süddeutsche Zeitung“ hat nichts Besseres zu tun, als die Raelianer zur politischen Größe zu stilisieren. So lassen sich Ängste schüren, die zwar niemand wirklich hat, die aber gut genug sind, um andere ins Unrecht zu setzen. Da lässt sich dann trefflich der Bogen von den kanadischen Sektierern zu den deutschen Medizinern schlagen. Natürlich kann ein Kulturredakteur nicht selbst von einer „Achse des Bösen“ sprechen; solche Begriffe überlässt man dem Typ aus Texas. In der Sache aber wird ein direkter Zusammenhang zwischen den Menschenversuchen der Nazis und der Stammzellforschung konstruiert. Durch beiläufig eingestreute Hinweise auf angesehene deutsche Forscher wird überdies der Eindruck erweckt, hier habe auch Recherche stattgefunden.

Tatsächlich aber wird nur ein übler Verdacht ausgestreut, hinter dem am Ende der Faschismusvorwurf erscheint. Der ist, weiß Gott, immer ernst zu nehmen. Aber er kann die Sache auch verfehlen, vor allem wenn das Böse erst in die USA, wo bisher kein gesetzliches Klon-Verbot besteht, exportiert wird, um dann als faschistoides „System“ oder als naturwissenschaftlich-industrieller „Komplex“ zurückzukehren.

Die abstrusen Raelianer liefern auch den Vorwand für neue Angriffe auf pränatale Medizin: Wer für die Präimplantations-Diagnostik (PID) ist, so liest man in der „Süddeutschen“, leiste der Abschaffung des Menschen durch Klone Vorschub. Kein Wort von den Nöten der Frauen, denen die PID helfen könnte, eine Abtreibung zu vermeiden. Wer sich als gelehriger Anhänger Foucaults die Rede von der Humanität schon abgewöhnt hatte, kann doch jetzt nicht einfach an das Nächstliegende denken. Der raelianische Ufo-Club führt ja vor, dass ein Kinderwunsch mit Liebe und Verantwortung für ein Individuum nichts zu tun hat.

Also braucht man sich um die Sorgen einer Schwangeren ebenso wenig zu kümmern wie um den Wunsch nach einem gesunden Kind. Der Hinweis auf die „Selektion“ beschwört auch hier den Geist der Nazis herauf und ächtet schon die Prüfung der Argumente. Hinzu kommt das unselige Missverständnis, mit einer Entscheidung für das Mögliche, sei bereits das Wirkliche entwertet. Tatsächlich aber wird kein behinderter Mensch dadurch diskreditiert, dass man anderen wünscht, sie mögen ohne Behinderung leben.

Alles dies bedürfte der ruhigen, unaufgeregten Erörterung. Dazu hat es Ansätze, gerade auch in den Feuilletons, gegeben. Doch mit den Raelianern Claude Vorilhon und Brigitte Boisellier ist das alles wieder vergessen. Selbst in der „Zeit“ darf der Feuilletonchef das Böse gleich auf der Titelseite beschwören und wiederholen, das Leben sei „heilig“. Lassen wir dahingestellt, ob dies animistisch, pantheistisch, blasphemisch oder einfach lebensfeindlich ist: Wenn das Hamburger Organ der Frankfurter Schule so sicher ist, dass es Klone gibt; sollte es wenigstens an die logische Folge seiner eigenen These denken. Man mag nämlich über Klone sagen, was man will. Wenn es sie erst gibt, leben sie. Müssen sie deshalb aber als „heilig“ gelten?

Um intellektuelle Konsequenz und Wahrhaftigkeit ist es in den anstehenden biopolitischen Fragen schlecht bestellt. Das 1975 ergangene Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat die politisch essenzielle Verbindung zwischen öffentlichen und privaten Urteilen paralysiert. Welches Rechtsbewusstsein soll der Bürger entwickeln, wenn er sich einer „Rechtswidrigkeit“ schuldig fühlen soll, die aber „straffrei“ bleibt? Die Antwort eines jüngst im Feuilleton der FAZ zu Wort gekommenen Kirchenvertreters lautet: Die Bürger dürfen kein gutes Gewissen haben. Also schlägt das schlechte Gewissen zurück: Die rechtswidrige, aber straffreie Libertinage erzeugt ein Unbehagen, für das wenigstens die Forschung büßen soll. Schließlich ist doch die Wissenschaft daran schuld, dass ständig die Grenzen des Machbaren überschritten werden.

Es ist schon etwas länger her, dass Jürgen Habermas das Urteil des Verfassungsgerichts als „undemokratisch“ bezeichnet hat. Soweit würde ich nicht gehen. Aber richtig ist, dass die Richter kein Vertrauen in die Mündigkeit der Bürger hatten. Dieses Vertrauen fehlt auch jenem autoritären Feuilletonismus, der Paaren bis in die rein privaten Fragen der individuellen Lebensplanung vorschreiben will, was sie zu tun und zu lassen haben. Liberalität scheint zum Fremdwort zu werden, sobald es nicht einfach nur um Sex, sondern um eine seiner Folgen geht. Selten hat man so massiv vorgetragene Forderungen nach einem starken Staat vernommen, wie in einigen Feuilletons der letzten Wochen.

Es sollte freilich nicht verschwiegen werden, dass es auch Ausnahmen gibt - bei Zeitungen und Magazinen wie auch bei einzelnen Journalisten. Außerdem hat es in allen großen Blättern bis ins letzte Jahr hinein kontroverse Debatten auf hohem Niveau gegeben. Vielleicht sind sie eines Tages wieder möglich, wenn der Spuk der Raelianer auch für ihre derzeitigen Multiplikatoren nur noch ein Lachen wert ist. In der Hoffnung darauf formuliere ich die folgenden acht Punkte:

Erstens: Sollten sich Wissenschaftler aus Ruhmsucht, Geldgier oder religiösem Schwachsinn dazu verleiten lassen, einen Menschen zu klonen und sollte es ihnen wirklich gelingen, wäre der Klon nicht nur wie ein Mensch, sondern als Mensch zu behandeln. Denn jeder, der vom Menschen geboren ist, ist ein Mensch mit allen personalen Rechten. Schon das müsste die Absicht schwächen, den Klon als Menschen minderen Rechts, sei es als Organspender oder als billige Arbeitskraft, zum Einsatz zu bringen.

Zweitens: Wenn es unter der rechtlich ohnehin gültigen Prämisse der vollen menschlichen Würde auch des klonierten Menschen noch nötig sein sollte, moralische Bedenken gegen das reproduktive Klonen vorzutragen, kann man die Motive der Klonierer ächten. Sie wollen einen Menschen nach ihrem eigenen Zweck. Damit stehen sie zur Selbstzwecksetzung eines jeden Menschen in Widerspruch.

Drittens: Menschen haben immer wieder die Neigung gezeigt, anderen ihren Willen aufzuzwingen. Kinder sind dafür die beliebtesten Kandidaten. Auch bei natürlicher Zeugung soll es vorkommen, dass jemand einen Sohn will, der den Bestand der Familie sichert oder das Geschäft fortführt. Das hindert aber die Gesellschaft nicht, den unter diesen Vorzeichen Geborenen einen eigenen Willen zuzugestehen. Sie haben ihn in der Regel auch. Bei klonierten Menschen, sollte es sie jemals geben, wird das nicht anders sein. Nur ist der Aufwand, sie bereits vor ihrer Geburt fremden Zwecken zu unterwerfen, derart groß, dass man darin einen flagranten Verstoß gegen die Selbstbestimmung des Menschen sehen kann.

Viertens: Eine weltweite Ächtung des reproduktiven Klonens schließt einzelne, wohlerwogene Maßnahmen zur Organspende nicht grundsätzlich aus. Die Engländer erproben derzeit, wie man in solchen Einzelfällen verfahren könnte. Sie führen vor, wie man im Zeichen der Liberalität mit neuen Problemen umgeht: Für das Neue ebenso offen wie für ein humanitäres Anliegen wird im kontrollierten Einzelfall ermittelt, was machbar ist. Bei uns hingegen dreht sich alles – mit höchster moralischer Tourenzahl – ausschließlich um staatliche Verbote. Dabei will man gar nicht wirklich moralisch sein: Wenn sich dennoch (im Ausland) irgendwo nützliche Erkenntnisse einstellen, will man sie natürlich nutzen, ganz gleich, wer die Lizenzen bezahlt.

Fünftens: Die Moralität findet ihren höchsten Ausdruck im Selbstanspruch des Einzelnen. Für den Umgang mit den neuen Humantechnologien wäre daher viel gewonnen, wenn die selbstbewussten Einzelnen sich sicher sind, was für sie in Frage kommt und was nicht. Es ist ein vorsintflutliches Missverständnis der Moral, sie immer gleich mit rechtlichen Sanktionen in Verbindung zu bringen. Selbstbewusste Individuen, die von sich aus wissen, wie abwegig es ist, vom eigenen Klon auch nur das Geringste zu erwarten, können mehr gegen das reproduktive Klonen ausrichten, als ein juridisches Verbot in nur einem Land. Gleichwohl schließt das eine gesetzliche Abwehr menschenrechtswidrigen Missbrauchs nicht aus. Auch den mit Sicherheit zu erwartenden „Fehlversuche“ beim Klonieren kann man rechtlich Einhalt gebieten.

Sechstens: Das therapeutische Klonen menschlichen Gewebes hat mit dem reproduktiven Klonen von Personen nichts zu tun. Wenn die Ziele und die Zwecke bekannt sind und die ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Spender vorliegt, müssen die therapeutischen Verfahren keine moralischen Bedenken auf sich ziehen. Das Wichtigste ist hier die Beratung und die Zustimmung der Eltern in Verbindung mit der juridischen Nachvollziehbarkeit aller medizinischen Schritte.

Siebtens: Die maßlosen Kritiker unterstellen, die Klonierung könne das Verfahren sein, nach dem sich künftig alle Menschen vermehren. Ich empfehle da, einfach abzuwarten. Die erste erfolgreiche Herztransplantation hat auch nicht dazu geführt, dass alle ein Herz von Christian Barnard haben wollten. Vermutlich werden wir schon bald sowohl auf die Klonierung wie auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen mit dem mitleidigen Verständnis zurückblicken, das wir heute für die ersten elektronischen Rechner aufbringen.

Achtens: Wer den Einsatz der neuen Techniken zur Reproduktion des Menschen glaubwürdig regulieren möchte, muss schon den Mut haben, sich zu den bisher bekannten Lebensformen des Menschen zu bekennen. Man kann nicht dem künstlichen Uterus das Wort reden, kann nicht den Schutz der Ehe aufkündigen oder den Begriff der Mutter für „romantisch“ erklären, und zugleich für die Würde des Menschen streiten. Der Mensch hat sich so zu schätzen, wie er ist und – wie er aus eigenen Kräften, nach seinem eigenen Willen sein kann. Dabei hat er die Tugenden zu achten, in deren Gebrauch er seine Menschlichkeit allererst zu wahren weiß. Um es biblisch zu sagen: Wer Vater und Mutter ehrt, braucht den Klon nicht zu fürchten.

Volker Gerhardt lehrt Philosophie an der Humboldt-Universität. Er ist Mitglied des Nationalen Ethikrats und Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Volker Gerhardt

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