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Kultur: Comics und Karneval

Nach dem Saisonstart: zwei Rundgänge mit Tops und Flops in Berliner Galerien

Eine Mutation aus Micky-Maus und Pinochio erzählt der schimmernden Schnecke etwas, während ein Flugzeug über ihnen abstürzt. Gegenüber schwingen zwei scherenschnittartige Figuren... ja, was? Lassos? Peitschen? Die direkt auf die Wand gemalten schwarzen Linien setzen sich quer durch den Raum fort. Bis zur schwingenden Schaukel, auf der ein Junge sitzt. Der 1968 geborene Schweizer shooting star Nic Hess gibt mit seinen ins Dreidimensionale greifenden Zeichnungen Rätsel auf. Mit ihren eingefügten Markensymbolen wirken sie wie explodierte Comics, die nie ganz zu durchdringen sind – deren enormer Suggestivkraft sich der Betrachter aber kaum entziehen kann. Mit so einfachen Mitteln wie Klebestreifen und Leuchtfarbe bringt Hess den in Schwarzlicht getauchten Galerieraum von griedervonputtkamer ins Schwanken (Sophienstraße 25, bis 2. November).

Der Trend geht zur Zweitgalerie: Nach Max Hetzler eröffnete gestern auch Clemens Fahnemann einen Projektraum in Berlin-Mitte parallel zu seinen Charlottenburger Geschäftsräumen. Die 3,90 Meter hohen Ausstellungsräume in der Gipsstraße 14 sollen Künstlerstatements provozieren, für die es in den Räumen in der Fasanenstraße zu eng ist. Den Anfang macht der 1964 geborene Kölner Thomas Zitzwitz, dessen poppige Malerei mit irisierenden Oberflächen an seine so unterschiedlichen Lehrer Günther Förg und David Reed gleichermaßen erinnert. Einen zweiten Ausstellungsraum eröffnete auch die Galerie Koch und Kesslau in der Brunnenstraße 172 mit einer Installation von Elke Marhöfer (bis 19. Oktober).

In der Holzmarktstraße an der Jannowitzbrücke überzeugen die arrivierten Künstler, wie die Amerikanerin Kara Walker, die eine Projektion bei Hetzler II zeigt (bis 26. Oktober), und der Fotosammler und -archivar Hans-Peter Feldmann bei Chouakri Brahms – auch wenn hier weniger mehr gewesen wäre (bis 5. Oktober). Zu den Neuentdeckungen zählt an dieser Adresse der 1969 geborene Amerikaner Jason Dodge in der Galerie c/o Atle Gerhardsen. Seine vielschichtigen Skulpturen, Poster und Mobiles in der Ausstellung „Milton Keynes New City“ greifen an der Schnittstelle von Kunst und Design die Utopie von in den siebziger Jahren entworfenen Planstädten auf – bis zum inszenierten Sprung in der Fensterscheibe (bis 12. Oktober). wit

Auf Geheiß der Künstlerinnen Andrea Geyer und Sharaon Hayes ließen die Galerie Paula Böttcher und der Kunstraum plattform den Flyer zur Ausstellung wieder einstampfen. Weil bei dem Hinweis, die Video-Schau zeige 25 „Gespräche mit Personen, die sich als Frau definieren“, die fünf Wörter „oder als Frau definiert werden“ fehlten. Nun heißt es: „Andrea Geyer und Sharon Hayes benutzen für die Gespräche das Interviewformat, um Themen wie kulturelle Feminismen, die Vergeschichtlichung der Frauenbewegung, Geschlechterkategorien, die Rolle von Ausbildung und Erziehung in der Produktion von Geschlechteridentität, das Verhältnis von homosexuellen Theorien zu feministischen Theorien und der Kampf um Selbstbestimmung im momentanen politischen Umfeld zu diskutieren.“ Genauso korrekt und langatmig sind auch die Ausstellungen (Kleine Hamburger Straße 15 + Chausseestraße 110/1, bis 5. Oktober).

Der Schotte Keith Farquhar gehört nicht zu den Young British Artists und spielt nicht bei „Blast to Freeze“ in Wolfsburg mit. Zwei Gründe, die Schau mit Materialbildern und Skulpturen in der Galerie Neu nicht zu verpassen. Sein Witz kommt von der Straße und sein Wissen aus der Akademie. Daraus resultiert ein sprudelndes Gemisch, das Kenner mit Wiedererkennungseffekten und surrealen Verfremdungen erfreut, zumal die lässige Strenge in der Präsentation Obertöne der Künstlerin Sarah Lucas und Untertöne des russischen Konstruktivismus einspielen: Im Kunstledersessel sitzt eine bleiche Jeans. Auf ihren angewinkelten Oberschenkeln steht mit Filzstift „Wilde Egon“ geschrieben. Der wilde Egon schielt kopflos auf ein Bild an der Wand. Im Rahmen blitzt ein weißes Hemd heraus. Am Boden stapeln sich V-Ausschnitte von Polundern. Wer nach Bedeutungen sucht, verirrt sich. Farquhar schafft einen erotischen Karneval aus Anspielungen und Verkleidungen: eine Hommage an die Zeitschrift „VVV“ der Surrealisten (Philippstraße 13, bis 12. Oktober).

Dieter Balzer scheint in der Architektur Galerie den Preis für die minimalste Ausstellung des Monats zu beanspruchen. Sechs farbstarke Objekte gruppieren sich im Zweierrhythmus scharfkantig an drei weißen Wänden. Alle sind Varianten eines Entwurfs und können als Architekturmodell gelesen werden oder als Schauplatz der Konkurrenz zwischen strikten Proportionen und kontraststarken Farben. Der Widerstreit geht zugunsten der Buntheit aus. Farben erreichen das Auge eben schneller als der Schnitt einer Konstruktion begriffen wird (Ackerstraße 19, bis 19. Oktober). PH

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