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Eine Popeye-Zeichnung aus späteren Jahren.

© picture alliance/dpa/-

95 Jahre Popeye: Hau mich um!

E. C. Segar schuf mit „Popeye“ einen Comic-Klassiker. Vor 95 Jahren hatte der Matrose mit dem Knautschgesicht seinen ersten Auftritt.

Es geschah im „Thimble Theatre“, einem in zahlreichen US-Zeitungen erscheinenden Comicstrip des Zeichners Elzie Crisler Segar. Dort tauchte am 17. Januar 1929 erstmals der „Spinatmatrose“ Popeye in einem amerikanischen Zeitungscomic auf. Dank seines durchschlagenden Humors stieg er schnell zu einem der beliebtesten Comic- und Trickfilmhelden auf.

Die bereits seit 1919 existierende Serie um den Nichtsnutz und unermüdlichen Schatzsucher Castor Oyl und dessen Schwester Olive war ein lustiger Familien-Strip, der bereits vor Popeyes Erscheinen mit bissigem Humor die Reichtums-Gelüste amerikanischer Kleinbürger auf die Schippe nahm.

In einer Episode will Castor Oyl mithilfe der Glückshenne Bernice zu einer Glücksspiel-Insel (!) fahren und kauft ein Schiff ohne Besatzung. Ein zufällig am Hafen herumlungernder Matrose - Popeye – wird kurzerhand als Helfer für alles anstelle einer ganzen Mannschaft angeheuert.

Popeyes erster Auftritt am 17. Januar 1929. Die Figur steht im Matrosenanzug am Kai, der Reeder fragt ihn: „Sind Sie Seemann?“ Popeye blafft zurück: „Denken Sie, ich bin ein Cowboy?“
Popeyes erster Auftritt am 17. Januar 1929. Die Figur steht im Matrosenanzug am Kai, der Reeder fragt ihn: „Sind Sie Seemann?“ Popeye blafft zurück: „Denken Sie, ich bin ein Cowboy?“

© King Features

Dessen schrulliges Aussehen – Knautschgesicht, ein stets zugekniffenes Auge und eine Pfeife in der Backe, Anker-Tattoo auf dem dicken Unterarm – ging einher mit einer eigenwilligen Sprechweise, denn der ungebildete Matrose sprach breitesten Slang, zog manche Laute zusammen oder verdrehte die Silben schwieriger Wörter zu eigenen Wortkreationen.

„Well, blow me down“ („Hau mich um!“) und „ I yam what I yam and that´s what I yam“ („Ich bins was ich bins und das ist alles was ich bins“) wurden seine bekanntesten Sprüche.

In 600 Zeitungen abgedruckt

Die zutiefst aufrichtige wie Raufereien nicht abgeneigte Nebenfigur (den Namen „Pop-Eye“ hat Segar einmal damit visualisiert, indem ein Auge des Matrosen durch Zukneifen herausfliegt) traf den Zeitgeist auf den K. O.-Punkt.

Die damals eifrig Leserbriefe schreibenden Konsumenten des „New York Journal“ wie anderer Zeitungen verlangten, dass der Matrose fester Bestandteil des „Thimble Theatre“ werden sollte und beförderten sicherlich Segars Entscheidung, Popeye zum Mittelpunkt des Strips zu machen.

Castor Oyl verschwand als Charakter fast über Nacht aus dem Strip, ebenso wie dessen Sidekick Ham Gravy, der mit Olive verlobt war. Aber Olive – zu deutsch Olivia Öl – blieb und Popeye wurde zu ihrem Dauer-Verlobten.

Timble Theatre: Eine Szene aus einem frühen Popeye-Strip.
Timble Theatre: Eine Szene aus einem frühen Popeye-Strip.

© King Features

Der schwarzweiße Thimble Theatre-Tagesstrip (erst 1934 wurde die Serie nach ihrem Helden umbenannt) und der farbige Sonntagsstrip wurden bald in rund 600 Zeitungen abgedruckt und gehörten damit zu den beliebtesten Comics überhaupt.

Elzie Crisler Segar schuf mit „Popeye“ eine einzigartige Serie, die heute unterschätzt wird. Denn Popeye war nicht nur – wie in den populären Slapstick-Trickfilmen - ein lustiger Charakter mit allerlei Seemannsmarotten und Haudraufargumenten.

Vielseitige, widersprüchliche Charaktere

Segars Tagesstrips boten lange, über Monate laufende Fortsetzungs-Abenteuergeschichten, die Popeye unter anderem über die Weltmeere schippern, Goldschätze auf Inseln suchen oder im Wilden Westen zum Cowboy mutieren ließen. Daneben erlebte der „Underdog“ auch alltäglich-urbane Geschichten im kleinstädtischen Umfeld, wo er sich unter anderem als Boxer versuchte oder ein Kind („Swee´pea“) adoptierte.

Bis zu seinem frühen Tod 1938 schuf Segar ein buntes Figurenensemble um Popeye, das derart reich an interessanten, widersprüchlichen Charakteren ist, dass sie bis heute nichts an Lebendigkeit eingebüßt haben.

Markante Visage. Ein Popeye-Strip von 1937.
Markante Visage. Ein Popeye-Strip von 1937.

© King Features

Die dürre Olivia Öl (der Name war ursprünglich eine Anspielung an Segars Großvater, der Olivenöl verkaufte) ist nicht, wie in den Trickfilmen, die ewig hilfsbedürftige, vor Popeyes Widersacher „Bluto“ zu rettende Frau, sondern eine facettenreiche Figur mit menschlichen Schwächen, die mal bodenständig, dann wieder hochkapriziös sein kann.

Popeyes plötzlich auftauchender Vater (Poopdeck Pappy) wiederum ist einer der kaltherzigsten, egoistischsten Charaktere der Comicgeschichte – und gerade deshalb schreiend komisch. Eine ebenfalls spannende Figur ist die des fettleibigen, gerne Gedichte rezitierenden Schnorrers J. Wellington Wimpy, der für einen Hamburger seinen besten Freund (Popeye) verraten würde und sich, um sein Ziel zu erreichen, auch immer wieder als Flirt-Spezialist erweist.

Neben diesen wie aus dem amerikanischen Kleinbürgermilieu gegriffenen authentischen Charakteren gibt es auch eine ganze Reihe von Fantasy-Figuren, darunter: Bernice die Glückshenne, die todsicher zu Gewinnen beim Glücksspiel verhilft; Eugen der „Jeep“, ein hochintelligentes, hundeähnliches Wesen, das in andere Dimensionen reisen kann und über magische Kräfte verfügt (Eugen könnte das „Marsipulami“ von André Franquin inspiriert haben; sein Spezies-Name hat vermutlich den bekannten Autotyp inspiriert); die schreckliche „Seehexe“, die sich in andere Lebewesen verwandeln kann; „Alice the Goon“, ein weibliches, haariges Ungeheuer womöglich außerirdischer Herkunft mit gutem Herzen verschreckte einst die Leser des Strips - Segar hatte mit ihr den heute geläufigen Begriff „Goon“ erfunden.

In Verbindung mit dem einzigartig pointierten, oft abgründig schwarzen Humor der Serie machten diese Abenteuer- und Fantasyelemente „Popeye“ zu einem der besten Comicstrips der Ära, der den Vergleich mit der zeitgenössischen europäischen Konkurrenz in Form des Abenteurers Tim aus der Feder des Belgiers Hergé nicht zu scheuen braucht.

Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise

Die Popeye-Strips sind dabei nicht eskapistisch, sie spiegeln die gesellschaftlichen Realitäten in den USA der Zwischenkriegszeit wider, insbesondere die Verwerfungen der Weltwirtschaftskrise: neben den Hauptfiguren tauchen oft Halunken in Form mittelloser Gestalten auf, die verzweifelt nach Ruhm und Reichtum gieren und nicht selten bereit sind, dafür über Leichen zu gehen.

Ganz anders dagegen der bescheidene Popeye, der zwar durchaus auch mal die „Versuchung“ spürt, wenn sich etwa eine reiche Lady an ihn ranmacht, ihr aber nie ganz erliegt. Sein Charakter ist bodenständig und treu, für seine Olive würde er alles tun. Allerdings gibt es auch Episoden, in denen Olive wie auch Popeye jeweils Seitensprünge ins Auge fassen, was zu heftigen Eifersuchtsattacken führt.

Übrigens waren Popeyes immense Unterarm-Kräfte zunächst gar nicht auf Spinat angewiesen: Erst 1933 wurde die Idee von den Kreativen der Max Fleischer-Animationsstudios geboren, um zusätzliche visuelle Anreize für die ersten Animationsfilme zu bieten – Spinatverzehr bewirkt anschwellenden Bizeps und etliche Variationen – und wurde kurz darauf von Segar übernommen. Der Verkauf von Spinat stieg dadurch in den USA um ein Drittel an.

Nachdem Segar an Leukämie erkrankte und bereits 1938 starb, wurde Popeye bis heute von zahlreichen Zeichnern wie Doc Winner und Bud Sagendorf weitergeführt. Kein Nachfolger hat jedoch die Qualität und die Vielschichtigkeit des zeitlosen Originals erreicht.

(Redaktioneller Hinweis: Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal am 17. Januar 2019 im Tagesspiegel und wurde jetzt aus aktuellem Anlass leicht überarbeitet.)

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