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Ja, wie lesen sie denn? Eine Comic-Konsumentin bei der Manga-Lektüre.

© picture alliance

Bund fördert Comicforschung mit Millionen: Die Vermessung der Comic-Welt

Knapp zwei Millionen Euro gibt der Bund für die Comicforschung aus. Das dient allerdings weniger der Würdigung der Kunstform als Ganzes, sondern befördert eine umstrittene PR-Idee. Ein Kommentar

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 1,9 Millionen Euro in die Hand genommen, um von Wissenschaftlern der Universitäten in Paderborn und Potsdam „die kulturelle Spezifik und das Leseverständnis“ von „Comic-Büchern in Romanform für Erwachsene“ untersuchen zu lassen. Dies teilte die Universität Paderborn wie berichtet am vergangenen Donnerstag mit. Seit April beschäftigt sich eine Gruppe von sieben Nachwuchsforschern der Literaturwissenschaften, Psychologie und Informatik mit dem Thema graphische Literatur, „umgangssprachlich bekannt als Comics“, wie es in der Mitteilung heißt.

Diese Nachwuchsgruppe erhält nun für ihr auf vier Jahre angesetztes Projekt fast zwei Millionen Euro, um im Dienste der Wissenschaft „durch die Kombination von quantitativen und experimentellen Methoden eine empirisch fundierte Beschreibung und ein Verständnis der Wirkweise graphischer Literatur und insbesondere des Genres des graphischen Romans zu erlangen.“ Was das genau heißt, kann man auch den wenigen Informationen, die von dem Projekt öffentlich bekannt sind, nur ansatzweise entnehmen. So wolle man mit computergestützten Methoden Text- und Bildsprache analysieren und eine „Annotationssprache“, also eine Programmiersprache, für die graphische Literatur erstellen. Ferner würden in anderen Testreihen die Blickbewegungen beim Comiclesen vermessen sowie psychologische Befragungen durchgeführt, um die Wirkung des Text-Bild-Zusammenspiels zu untersuchen.

Die Geister wird die Comic-Szene nicht mehr los

In ersten Reaktionen in Online-Foren und Sozialen Medien freute sich schon so mancher Comicfan darüber, dass mit diesem Ansinnen die Neunte Kunst nun endlich auch in den staatlich geförderten Programmen der Universitäten angekommen sei. Das mag schon richtig sein, ob das allerdings der Neunten Kunst und ihrer Anerkennung dient, ist fraglich. Allein schon die Ignoranz der Comicvielfalt in der Beschränkung des Forschungsgegenstands auf „so genannte ‚Graphic Novels’“ – womit die erwachsenenkompatiblen Comicromane gemeint sind – lässt erahnen, dass es den Wissenschaftlern offenbar nicht um ein tatsächliches, sondern nur um ein angenommenes Genre geht.

Der Begriff der „Graphic Novel“ benennt nichts anderes als ein erfolgreiches Marketingkonzept. Entwickelt wurde es von Verlagswesen und Buchhandel, um eine Teilmenge der Neunten Kunst als komplexer, anspruchsvoller und intellektueller als den Rest zu verkaufen. Dieses PR-Konzept hat sich durchgesetzt, sogar so weit, dass der ein oder andere Comicverlag inzwischen Imprints gegründet hat, in denen ausschließlich „Graphic Novels“ veröffentlicht werden. Doch es verhält sich mit diesem Begriff ein wenig wie mit den wassertragenden Besen in Goethes „Zauberlehrling“. Die Geister, die mit hoffnungsvoller Absicht gerufen wurden, wird die Szene nun nicht mehr los. Denn auf dem großen Rest der graphischen Literatur abseits der „Graphic Novel“ lastet mehr denn je das Vorurteil, dass es sich um „Kinderkram“, „Splatterliteratur“ oder einfach nur um „Schund“ handelt.

Liest man ein „Lustigen Taschenbuch“ anders als „Jimmy Corrigan“?

Mit dem Kooperationsprojekt der Universitäten Paderborn und Potsdam erhält dieser Mythos (zum Wohle der einschlägigen Verlage) nun pseudowissenschaftliche Bestätigung. Denn offenbar macht es einen Unterschied, ob man „Graphic Novels“ oder „Nicht-Graphic-Novels“ zur Grundlage von Blickbewegungsanalysen macht. Worin der aber genau liegen soll, erschließt sich dem Autor jedoch nicht, denn die sequentielle Erzählweise ist ein Hauptmerkmal der Kunstform. Man findet sie im „Lustigen Taschenbuch“ ebenso wie in Milo Manaras Achtziger-Jahre-Sexcomics oder in Chris Wares „Jimmy Corrigan“.

Manch einer hofft auf Aussagen darüber, warum manche Menschen mit Comics nichts anfangen können. Zu dieser Frage gibt es aber bereits hinreichende Erklärungsansätze. Die Verknüpfung der Zeichensysteme Text und Bild ist ein hochanspruchsvoller kognitiver Vorgang, der sich aufgrund der Deutungsoffenheit der möglichen Bedeutungsüber- und Unterordnung nicht jedem intuitiv erschließt. Um hier voranzukommen, wäre es vor allem hilfreich, die Aktivitäten in den unterschiedlichen Hirnarealen zu vermessen, um zu verstehen, welche Hirnleistungen beim Comiclesen abgerufen werden.

Das Geld wäre anderswo sinnvoller angelegt

Stattdessen sieht das Projekt aber das Vermessen und Interpretieren von Blickbewegungen vor, um die Aufmerksamkeitsverteilung des Lesers zu studieren. Man weiß aber, dass sich das Auge des Comiclesers sich vor allem von der Grafik und der kulturellen Leserichtung des jeweiligen Werkes leiten lässt. Das ist kein Geheimnis, nicht in akademischen Kreisen und erst recht nicht unter Comicschaffenden. Linguisten sowie Kunst- und Kulturwissenschaftler wie Pierre Fresnault-Deruelle, Thierry Groensteen oder Jan Baetens bestätigen dies seit den 1980er Jahren immer wieder. Unterstützung erhalten sie von Comiczeichnern und -theoretikern wie Will Eisner, Benoît Peeters oder Scott McCloud.

Erste Vorstudien haben deren Annahmen bislang auch weitgehend bestätigt, wie Alexander Dunst, Jochen Laubrock, Rita Hartel und Sven Hohenstein von der Forschergruppe bereits im vergangenen Herbst zugaben. Auf der Tagung „Empirical Approaches to Comics“ betonten sie aber, dass es aber noch Klärungsbedarf zu Fragen wie „Welche Elemente werden bei der Lektüre graphischer Narration mit wie viel Aufmerksamkeit betrachtet, und welchen Effekt hat die Sequentialisierung der Informationen in Einzelbildern bspw. auf die Wahrnehmung von Zeitabläufen?“ gebe. Derlei Fragen sollen nun im Rahmen des Projekts mittels computergestützter Blickbewegungsanalysen geklärt werden.

Aber mal ganz ehrlich: wozu? Damit sich Comicschaffende künftig einen Masterplan zurechtlegen und sich auf die Elemente konzentrieren, die aus psycholinguistischer Perspektive sinnvoll sein sollen? Oder um Verlage dazu zu bringen, künftig vor Publikation die goldene Messlatte an Comics anlegen, um dann einen psycholinguistischen Einheitsbrei an Neunter Kunst herauszugeben? Beides ist schwer vorstellbar.

Es verhält sich also nicht nur so, dass das Forschungsziel unklar scheint, auch über die eigentliche Forschungsfrage scheint man sich noch nicht im Klaren zu sein. Nichts desto trotz gibt es 1,9 Millionen Euro vom Bundesbildungsministerium. Diese wären zweifelsohne besser angelegt gewesen, wenn man das Geld dafür verwendet hätte, bei Lehrkräften und Pädagogen an Schulen und Bildungseinrichtungen die Vorbehalte gegenüber der Neunten Kunst als Lerngrundlage abzubauen. Da hätten dann auch alle etwas davon.

Unser Autor Thomas Hummitzsch hat seine Magisterarbeit an der HU Berlin zum Thema Sprechblasen im Comic geschrieben. Weitere Tagesspiegel-Artikel von ihm lesen Sie hier, seinen Blog intellectures finden Sie hier.

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