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Bedrohlicher Farbfluss: Eine Sequenz aus dem besprochenen Buch.

© Avant

Comic-Essay: Wo die Orgelpfeifen drohen

Magdalena Kaszuba verarbeitet in „Das leere Gefäß“ einen radikalen Bruch mit ihrer polnisch-katholischen Identität und setzt dabei auf die Kraft der Bilder.

In eine gebrochen gelbe Amphore läuft von oben eine schwarzbraune Flüssigkeit, immer weiter, auch als der Rand erreicht ist. Dann rinnen dunkle Bäche außen herab, sie werden breiter, bis das Gelb des Gefäßes nicht mehr zu sehen ist. Dunkle, fleckig-verwaschene Aquarellfarbe, in der das Gelb noch zu erahnen ist, bedeckt die komplette nächste Seite. Es folgen Panels, in denen sich Strukturen herausbilden: helle Schwaden, die sich bald als Lichtreflexe im Wasser entpuppen, mit Bleistift gezeichnet ein Teil einer Brücke, Fassaden von Häusern und an einem Geländer eine junge Frau mit Kapuze und Rucksack, die Hände in den Parkataschen vergraben.

Gedankenketten aus Bildern

Magdalena Kaszuba, die an der HAW Hamburg bei Anke Feuchtenberger Illustration studiert, zeichnet sich selbst, wie sie an einem nassen, kalten Novembertag durch Hamburg streift und ihre Gedanken schweifen lässt. Sie tut das mit malerischen Bildern in Aquarell, Bleistift, Tusche und Deckweiß, die umso eindrucksvoller wirken können, als Kaszuba mit Text sehr sparsam umgeht. Sie schmiedet aus diesen Bildern Gedankenketten, etwa von dem Muschelgebimsel an den Souvenirständen des Hamburger Hafens zum Strand der polnischen Ostseeküste.

Streifzug durch Hamburg: Eine Doppelseite aus dem besprochenen Buch.
Streifzug durch Hamburg: Eine Doppelseite aus dem besprochenen Buch.

© Avant

Magdalena Kaszuba ist 1988 in Polen geboren, aber schon 1990 kamen die Eltern mit ihr nach Deutschland – blieben ihrer Heimat aber eng verbunden. Die polnische Ostsee war jahrelang das Ziel in den Sommerferien, und wegen der regelmäßigen Besuche blieb auch der Einfluss der streng religiösen Großmutter auf das Kind stark, das eigentlich in Deutschland aufwuchs.

Sünden beichten, die sie gar nicht begangen hat

Während die Ich-Erzählerin also durch das kalte Hamburg geht – Straßenzüge, Gebäude, der Hafen, später der Elbstrand sind in den Bildern zu sehen –, schildert sie in knappen und nüchternen Worten, wie es war, wenn sie in Polen mit ihrer Oma die Messe besuchen oder ihrer Mutter beim Vorlesen aus einer Kinderbibel zuhören musste. Das Beklemmende, gar Furcht Erregende dieser Situationen aber vermitteln nicht die Worte, sondern die Bilder: die wuchtigen Orgelpfeifen in fahlem Gelb scheinen einen erschlagen zu wollen, das in dicken Tuschestrichen gezeichnete Kirchengebäude mit dunklen Schatten wirkt bedrohlich, die kniend kauernden Menschen in den Kirchenbänken, als würden sie von einer Last niedergedrückt.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Avant

Am entsetzlichsten aber ist die Szene, in der Magdalena vor der Kommunion ihre erste Beichte ablegen soll. Ich Ermangelung eines Beichtstuhls nimmt der Priester ihr diese von Angesicht zu Angesicht ab – ein neunjähriges Mädchen wird von einem Mann bedrängt, von Sünden zu berichten, die es gar nicht begangen hat, solange, bis sie sich welche ausdenkt. Der schwarz gekleidete Priester verwandelt sich in Kaszubas Zeichnungen in eine finster schraffierte oder aquarellierte, kolossartige Gestalt, aus deren Gesicht leere weiße Augen starren, dann in eine Meute schwarzer Raubkatzen, die um den Stuhl des Mädchens lauern.

In der Folge bricht Kaszuba mit ihrem katholischen Glauben, und zwar ohne Kompromisse. Ihr Bild dafür ist das zum Überlaufen mit dunklem Hass gefüllte Gefäß – das sie komplett ausschüttet. Heute, im Alter von knapp 30 Jahren, setzt sie sich mit diesem Bruch, dem Verlust einer Identität und dem radikalen Neubeginn auseinander. „Das leere Gefäß“ ist ein beeindruckender Comic-Essay, der auf die Kraft der Bilder setzt.

Magdalena Kaszuba: Das leere Gefäß, Avant-Verlag, 152 Seiten, 20 Euro.

Barbara Buchholz

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