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Fressen und gefressen werden: Eine Szene aus dem Buch.

© Reprodukt

Comic-Fabel: Die Wüste bebt

Schlagfertige Mischung aus Wortwitz und Wasserfarbe: In „Fennek“ passen Lewis Trondheim und Yoann Aesops Fabeln unserem harschen Alltag an.

Wie oft haben wir über die betrunkenen Tiere in „Die lustige Welt der Tiere“ gelacht? Dabei haben wir uns heimlich gewünscht, dass die gärenden Marula-Früchte auch die Zungen unserer tierischen Freunde lockern würden. Aber sprechende Tiere gab es doch schon 600 vor Christus: In den kurzen Episoden des griechischen Dichters Aesop wurden regelrecht Dialog-Duelle zelebriert. Als Fabeln bekannt geworden, haben sie die Jahrhunderte überdauert, weil die Tiere unsere menschlichen Schwächen aufdecken, ohne dabei indoktrinierend zu wirken. So zum Beispiel die Fabel von der Schildkröte, die den Adler bittet, ihr das Fliegen beizubringen.

Auch wenn Fabeln heutzutage als lehrreich gelten, so darf nicht vergessen werden, dass diese kurzen Geschichten ihre Moral oftmals mit der Härte einer Brechstange in den Kopf des Lesers einprügeln. So endet der Flugversuch der kleinen Schildkröte ziemlich abrupt. Sie zerschmettert am Boden und muss so für ihre Torheit büßen. Mit eben jener Härte geht auch Autor Lewis Trondheim in „Fennek“ zu Werke, um von der Odyssee des kleinen Wüstenfuchses zu berichten.

Während die letzten Ausgaben von „Donjon“ und Trondheims kleine Kreuzfahrt mit Spirou und Fantasio nicht so witzgewaltig daherkamen, so ist das humorige Zwischenhoch leicht zu erklären: „Fennek“ erschien im französischen Original bereits 2007 - nur ein Jahr, nachdem Trondheim den „Grand Prix de la Ville d’Angoulême“ erhalten hatte. In „Fennek“ erzählt Trondheim episodenhaft von der Reise des frech-dreisten Wüstenfuchs Fennek, der die Savanne durchquert, um ein magisches Amulett zu ergaunern. Selbige Reise unternimmt er nicht aus altruistischen Gründen, sondern nur um ein Rudel Schlangen mit der Magie des Amuletts zu ertränken und so seine Wüste zurückzuerobern.

Alltäglicher Überlebenskampf

Die lehrreiche Moral der alten Fabeln wird in „Fennek“ unserem harschen Überlebenskampf namens Alltag angepasst. Obwohl die Tiere immer noch ihre Wortgefechte austragen, bleibt nur derjenige Sieger, der seinen Gegenüber im richtigen Moment in die Wüste schickt, einen Hügel hinunterstößt oder ihn ganz einfach verspeist. „Fennek“ wirkt aber nie wirklich grausam, da es Trondheim stets durch die Situationskomik gelingt, ein Schmunzeln zu Tage zu fördern.

Niedlich und böse: Eine weitere Seite aus dem Buch.
Niedlich und böse: Eine weitere Seite aus dem Buch.

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Im Gegensatz zu vielen Comics mit ausuferndem Seitenlayout, reizt „Fennek“ gerade durch seine reduzierte Form. Jede querformatige Seite braucht nur sechs Panels, um von der unschuldigen Exposition zur scharfzüngigen Pointe zu gelangen. Obwohl der Comic mit seinen 64 Seiten eine durchgehende Geschichte aufweist, wird jede einzelne Seite zu einem humoristischen Feuerwerk, ohne dabei die gesamte Struktur zu vernachlässigen.

Trotz ihres bösen Charakters sehen die Tiere durch Yoanns Aquarelltechnik einfach nur niedlich aus. Der kleine Wüstenfuchs mit seinen aufstehenden Ohren, der stets gut gelaunte Gibbon, Hinkebein das Warzenschwein und der nicht ganz so sanftmütige Löwe, der Hinkebein frisst. Das Zusammenspiel von Trondheims gewitzten Dialogen und Yoanns simpler aber nicht einfacher Darstellung wirkt nahezu perfekt: Die Texte in den Sprechblasen sind knapp gehalten und die Aktionen im Panel werden auf ein Minimum reduziert. Das resultierende Timing ist so gut konzipiert, dass jede einzelne Seite sofort vom Leser vervollständigt werden kann.

Im Fluss der Bilder

Die Bilder schmiegen sich so gut ans Auge, dass auch nicht Dargestelltes wahrgenommen wird. Man sieht gar nicht, wie der sanftmütige Löwe Hinkebein das Warzenschwein frisst – weil es nach dem sechsten Panel geschieht. Doch es geschieht ganz sicher, weil sich unsere Vorstellung bereits dem Fluss der Bilder unbewusst angepasst hat.

Was Aesop vor 2600 Jahren nicht bieten konnte, schafft der Comic. Denn Yoanns Fauna ist nicht nur niedlich, sie lebt auch in der dazugehörigen Flora. In seinem Aquarellstil malt der Franzose Wüsten, Savannen und Steppen. Ein leichter Schimmer von Weiß am Ende eines blaugrünen Pinselstriches macht aus einem stehenden Fluss einen tosenden Wasserfall. Auch die Tiere nehmen ihre Umgebung wahr: Sie platzieren sich mutig davor, verstecken sich heimlich dahinter und flüchten schützend hinauf.

„Fennek“ eignet sich wegen seiner kompakten Form, seinem bitterbösen Humor und seiner liebevollen Darstellung der Tiere perfekt als Zeitungsstrip. Wenn sich nur mehr Zeitungen dazu bewegen ließen, den bunten Strips mehr Platz einzuräumen, dann würden die Nachfahren Aesops mit ihrem Humor ein größeres Publikum in ihren Bann ziehen. Doch solange es immer noch Menschen gibt, die sich damit begnügen „Dilbert“ an ihre Bürotür zu heften, bleibt für alle anderen eben nur der gebundene Comic.

Lewis Trondheim und Yoann: Fennek, Reprodukt, 64 Seiten, aus dem Französischen von Kai Wilksen, Handlettering von Dirk Rehm, 12 Euro. Leseprobe unter diesem Link.

Den Blog unseres Autors Daniel Wüllner findet man hier

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