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Wiederbelebt: Bruno Brazil in einer Seite aus „Black Program“.

© All-Verlag

Comic-Klassiker „Bruno Brazil“: Am Opferstock gehen

Die Wiederbelebung des Comic-Klassikers „Bruno Brazil“ trifft trotz ihres Titels und retrospektiver Farbgebung programmatisch nicht ins Schwarze.

Der letzte Einsatz des Kommando Kaiman, eine Truppe dubioser bis halbseidener Spezialist*innen, geschart um Superagent Bruno Brazil, endete entgegen der Erwartungen der Leserschaft desaströs und für einige der Mitglieder sogar tödlich. Das war unkonventionell für eine aus den Siebziger Jahren stammende Serie und erhob diese später in den Stand eines Klassikers. Hier kam es zum Bruch mit Konventionen, indem Unversehrtheit und Nichtsterblichkeit von Hauptfiguren zur Disposition gestellt wurden.

Im Album „Black Program“ (Teil 1, All-Verlag, 58 Seiten, Hardcover, 15,80 €) gerät das 1976 arg dezimierte, und nun grafisch stocksteif wiederbelebte Kommando unter der Leitung seines weißhaarigen Anführers nicht nur in die gleiche Gewaltspirale, die schon andere Reboots klassischer Serien wie beispielsweise den Harry-und-Platte-Spin-Off „Schock“ oder den Suske-und-Wiske-Neustart ungenießbar machte.

Eine Legende wird demontiert, aber wenigstens die Schrifttype bietet Charakter.
Eine Legende wird demontiert, aber wenigstens die Schrifttype bietet Charakter.

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Ebenso lassen gleich zu Beginn der Reihe sadistische Attacken auf eine zentrale weibliche Figur, die frühere Brazil-Nemesis Rebelle, jegliches Gespür für Timing und vor allem den Verzicht auf exploitatives Erzählen zu Ungunsten von Frauen vermissen.

Das ist besonders bedauerlich im Hinblick auf Figuren wie die im Rollstuhl sitzende Whip Rafale, der als Kaiman-Mitglied früher durchaus Handlungshoheit und somit Autonomie zugedacht wurde. Jetzt muss sie als bessere Sekretärin ihr Auskommen fristen, während der seines Beines verlustig gegangene Kaimann-Kollege Tony Nomade trotz Beinprothese noch im aktiven Dienst ist.

Mehr Instant als Instanz

Die Agentenserie lehrte in ihrer Blütezeit junge Leser*innen mit der Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren Protagonisten gleichermaßen das Fürchten und empörte sie. Dank ihr zog ein gewisser Nihilismus in den franko-belgischen Comic ein, der sich bis dahin mit good, clean fun vorwiegend an Jugendliche gerichtet hatte.

Nun soll die recycelte Reihe die älter gewordene ehemalige Leserschaft dazu animieren, den ebenso durch Verluste und Tragödien traumatisierten Bruno Brazil bei der Wiederaufnahme seiner Tätigkeiten zu begleiten. Das klingt nach einer erfolgversprechenden Gruppentherapie.

Wenn Dir jede Perspektive abhanden gekommen ist, hilft nur der Todessprung.
Wenn Dir jede Perspektive abhanden gekommen ist, hilft nur der Todessprung.

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Da sich aber das Kunststück, die Zielgruppe mit der Schockstrategie der alten Episoden anzulocken, kaum erneut bewerkstelligen lässt, muss die Schraube strammer angezogen werden. Aber weil die Reihe schon früher bewusst mit etablierten Standards brach, und eben dadurch verstörend wirkte, erweist sich das als schwierig.

Jedoch: Was Laurent-Frédéric Bollée und Philippe Aymond hier in der Nachfolge von Michel Louis Albert Regnier, besser bekannt als Greg, und William Vance aufbieten, spottet jeglicher Bildbeschreibung.

Nun war Zeichner Vance ein As, in dessen Schuhe schlüpfen zu wollen schon einen besonderen Schuhlöffel erfordert. Seine ausgefallene Handschrift mit Hang zum Experiment beim Seitendesign stellt eine Herausforderung an Sehgewohnheiten dar – immerhin nutzte er einst Peitschenhiebe als Panels oder Fahrbahnmarkierungen für den Bildfluss – und sollte daher in einer wie auch immer gearteten Rechtsnachfolge substanzieller Bestandteil einer Fortführung sein; eben gerade so, wie es das Wort Fortführung nun einmal impliziert.

Philippe Aymonds Zeichnungen sind von einer lähmenden Steifheit, wie sie meist Amateurwerken zu eigen ist. Posen wirken in dieser in ihren besseren Momenten an Gebrauchsgrafik erinnernden Zeichnungen unfreiwillig komisch oder perspektivisch falsch, während zu allem Elend Dialoge gleich der lauwarmen Instantbrühe maroder Getränkeautomaten aus den Mündern des Handlungspersonals schwappen; eine Erinnerung an Geschmack – oder etwas, das eventuell einmal ein Satz hätte werden können: „All diese armen Menschen, die sich in einer wahren Feuersglut befanden … “

In die Röhre gucken

Nun, evoziert werden hier Erinnerungen an den Brazil-Klassiker „Die Myxin-Formel“ – jedenfalls in dem Panel, auf das sich Brazils Lebensgefährtin kommentierenderweise vor einem Röhrenfernseher stehend bezieht, weil, wir haben immer noch die Siebziger Jahre, und es wird an den seinerzeit nachgeschobenen letzten Band mit Kurzgeschichten, umrahmt von einer notdürftigen Rahmenhandlung mit einem angeschlagenen Brazil, angeschlossen – nur, dass hier an Stelle von Mitgliedern des Kommandos Kaiman Passanten im nostalgisch eingefärbten Feuer enden.

Dulce et Deco, wer braucht da noch den Dienst am Vaterland.
Dulce et Deco, wer braucht da noch den Dienst am Vaterland.

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Didier Rays zuweilen durchaus kräftige, aber ansehnliche Farbgebung bemüht also zumindest Reminiszenzen an glorreichere Tage, wobei seine im schönsten Retro-Stil durchgeführte Kolorierung der innenarchitektonischen Gegebenheiten hier denn auch mal positiv an die bereits erwähnte Serie „Harry und Platte“ und den Stil jener Zeit erinnert.

Aus der Zeit gefallen wirken jedoch leider auch einige der hier vertretenen Ansichten, die den Protagonist*innen in den Mund gelegt werden. So äußert Whip Rafale, dass der Tod einiger ehemaliger Teammitglieder den Qualen eines Lebens als Behinderte vorzuziehen sei. Vielleicht dient diese Aussage lediglich der charakterlichen Gestaltung einer verbitterten Frau, aber der Kommentar zur grausig verstümmelten Rebelle, deren Hand abgehackt und der überdies die Augen entfernt wurden, wirkt wie eine Täter-Opfer-Umkehr: „Die gute Rebelle ... diesmal ist sie an den Falschen geraten … “

Es erwischt die Frauen in dieser Neuauflage also unbotmäßig hart, was um so betrüblicher ist, da Rebelle, wie eben auch Whip Rafale, dereinst für einen emanzipierten und vor allem sehr selbstbestimmten Typ Frau in einem bis dahin von Männern dominiertem Genre standen.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

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Das alles in einem Plot, der obendrein auf kulturelle Aneignung verweist, da Tony Nomade neuerdings mit Maori-Gesichtstätowierungen herumläuft. Offen bleibt aber die Frage, wieso er den Respekt ebenjener Maori gewinnen konnte, wenn diese doch, wie vom Geheimdienstchef angemerkt, mit der Inanspruchnahme von Stammeszeichen durch nichtindigene Einwohner Neuseelands überhaupt nicht konform gehen.

Letztlich ist dieses Detail aber nur weiteres Indiz für die Inkonsequenz der Geschichte und ihren traurigerweise geradezu kongenialen Look, dessen brüllende Ideenlosigkeit einen comic-historischen Wendepunkt negiert, welcher ohne sein unumkehrbares damaliges Ende nie einen derartigen Legendenstatus erreicht hätte.

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