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Alte Bekannte: Eine Szene aus dem besprochenen Buch.

© Carlsen

Comic-Klassiker: Nicht ohne meine Schmusedecke

Die Graphic Novel macht vor nichts und niemandem Halt. Kürzlich erlebten sogar die „Peanuts“ ihr erstes Abenteuer in Comic-Roman-Form, nun ist das Buch auf Deutsch veröffentlicht worden.

Die „Peanuts“ von Charles M. Schulz (1922-2000) gelten als erfolgreichster und beliebtester Comicstrip aller Zeiten. Keine Generation, die den ewigen Verlierer Charlie Brown, Wunder-Beagle Snoopy, Deckenkind Linus, die resolute Lucy, Musikus Schroeder und den Rest der Kinderbande nicht kennt und liebt, seit sie 1950 ein erstes Mal abgedruckt wurden und rasch ihren gewaltigen Siegeszug durch die Zeitungen dieser Welt antraten (mehr dazu auch unter diesem Link). Und wer die originalen Comicstrips selbst wirklich nicht kennt – obwohl die „Peanuts“ zu ihren besten Zeiten weltweit in 2600 Zeitungen erschienen und 355 Millionen Leser in 21 Sprachen und 75 Ländern erreichten –, hat mit Sicherheit einen der vielen Trickfilme im Fernsehen gesehen.

Charles M. Schulz, der ab Mitte der 1960er die ersten „Peanuts“-Trickfilme mit seinen Freunden, dem Produzenten Lee Mendelson und dem Animationszeichner Bill Melendez, realisierte, war sich dabei sehr wohl der Schwierigkeit bewusst, aus einem Comicstrip einen Trickfilm zu machen. Es waren weniger die Inhalte, die Schulz Sorgen bereiteten, sondern das Aussehen der Figuren, das übertragen und animiert werden musste, darunter viele Posen, die es in den täglichen Streifen nicht gab und niemals geben würde. Doch man machte alles richtig: Die Trickfilm-Specials mit den Peanuts wurden ein Erfolg und schnell Tradition, wie u. a. diverse Emmy-Nominierungen und -Auszeichnungen bewiesen.

Im April 2011 erschien „Happiness is a Warm Blanket, Charlie Brown!“ auf DVD, der 45. „Peanuts“-Animationsfilm, erstmals ganz ohne Schirmherrschaft von Mendelson und Melendez. Im neuen Film versucht alle Welt einmal mehr, Linus von seiner Schmusedecke zu trennen – notfalls mit Gewalt. Das schmeckt dem nachdenklichen Daumenlutscher natürlich gar nicht. Zumal die Hilfestellungen seiner Schwester Lucy und seines Freundes Charlie Brown zwar gut gemeint sein mögen, in der Ausführung aber stets ihre Mängel offenbaren. Und hat am Ende nicht jeder eine kleine Schwäche und ferner ein Objekt, an dem er mehr hängt als andere und als es gesund wäre?

Die tägliche Portion Unzulänglichkeit

Der Film und der daraus entstandene Comic, der jetzt unter dem Titel „Das Glück ist eine Schmusedecke“ auf Deutsch veröffentlicht wurde, basieren auf zahlreichen Strips von Charles M. Schulz. Besonders markante Elemente, in denen Linus’ obsessive Liebe zu seiner hellblauen Decke im Mittelpunkt stehen (der Drache, den Lucy aus Linus’ Decke bastelt; Lucy, die Linus’ Decke vergräbt) wurden konkret aus Original-Strips aus den Jahren 1957, 1961 und 1962 entnommen.

Modernisierter Klassiker: Eine weitere Szene aus dem Buch.
Modernisierter Klassiker: Eine weitere Szene aus dem Buch.

© Carlsen

Natürlich behält Linus auch im neuen Abenteuer am Ende seine heiß geliebte Decke, und Snoopy ist daran nicht unschuldig, obwohl es schuldig eigentlich besser träfe, wie so oft, wenn Charlie Browns schräger Hund im Spiel ist. Aber an diesem Ende gab es von Anfang an auch keinen Zweifel. Comicstrip-Protagonisten bewegen und entwickeln sich für gewöhnlich noch widerwilliger als Superhelden. Nicht einmal dann, wenn sie wie in diesem Fall höchst modern animiert werden. Denn würden sie ihre Marotten allzu oft überwinden, Charlie Brown plötzlich ein Siegertyp werden, Garfield ein durchtrainierter Modellathlet von einem mäusejagenden Kater oder Calvin ein braver Musterschüler, gingen die Fans auf die Barrikaden oder gar verloren.

Die Bindung zwischen Lesern und Strip läuft über das Bewährte, über ein leicht und klar wiederzuerkennendes Muster in Verhaltensweisen, Themen und sogar in Gags und Pointen. Bewegung ist in den Comicstreifen also eindeutig unerwünscht. Das Happy End ist dann auch im 45. Trickfilm-Abenteuer und seiner Comic-Adaption lediglich die Rückkehr zur Normalität – ein neuerlicher Beweis für die tägliche Portion Unzulänglichkeit also, die Schulz’ „Peanuts“ schon immer durchzogen hat.

Graphic-Novel-Boom

Im Hardcover, das jetzt auf Deutsch bei Carlsen erschienen ist, präsentiert sich das auf gut 60 Seiten als relativ charmante Geschichte mit den über Jahrzehnte lieb gewonnenen Charakteren und einer Vielzahl eingestreuter Peanuts-Mini-Episoden – alles in allem genug vertraut wirkende Szenen und Momente, die alten wie neuen Fans ein Lächeln auf die Lippen zaubern. So nimmt Lucy wie gewohnt hinter ihrem Psychotherapiestand Platz, den Schulz 1959 erstmals als Parodie auf die von Kindern betriebenen Limostände in seinem Strip einführte. Baseball muss nach wie vor nicht erfolgreich gespielt werden, um populär zu sein. Und Snoopy ist ganz er selbst, und das ist ja bekanntermaßen mehr als genug. Nur Woodstock hat es nicht in den ungewohnt langen neuen „Peanuts“-Comic geschafft, obwohl er im Animationsfilm vorkommt, wo er im Original von Regisseur Andy Beall gesprochen wird, der diesen Part vom verstorbenen Bill Melendez übernommen hat, wann immer frühere Soundclips nicht genügten.

Der erfreulich hohe Wiedererkennungsfaktor des Films und seiner Comic-Adaption kommt nicht von ungefähr. Schulz’ kreatives Erbe wird schließlich wirklich von seinen Erben überwacht: Schon zu Lebzeiten des „Peanuts“-Erfinders gab es genügend Merchandise, da der Künstler sich in dieser Hinsicht eher mit Garfield-Schöpfer Jim Davis denn mit Calvin-&-Hobbes-Vater Bill Watterson auf einer Wellenlänge sah, obwohl Schulz’ seine täglichen Strips nicht Assistenten zum Zeichnen überließ, sondern bis zu seinem Tod selbst schrieb und zeichnete, was zu seinem Legendenstatus beigetragen hat.

Nichtsdestotrotz, die „Peanuts“ sind schon immer vermarktet worden. Heute werden die Rechte an den Figuren von Peanuts Worldwide LLC verwaltet, deren Anteile zu 80 Prozent bei den Vermarktungsgenies der Iconix Brand Group und zu 20 Prozent bei den Mitgliedern der Schulz-Familie liegen. Hier ist Schulz’ ältester Sohn Craig seit Jahren immer an vorderster Front dabei und passt auf, dass die Schöpfung seines Vaters mit genügend Respekt behandelt wird. So arbeitete Craig Schulz jetzt auch mit Stephan Pastis („Perlen vor die Säue“) am Drehbuch, das dem neuen Animationsfilm und dessen Panel-Verquickung zu Grunde liegt. Und dass der Sohn die Arbeit des Vaters in Ehren hält und dafür Sorge trägt, dass jedes neue Produkt nicht mehr und nicht weniger als eine weitere Honorierung des Werks von Charles M. Schulz ist, versteht sich letztlich von selbst.

Sie waren nie fort

Die „Peanuts“ sind so zeitlos, dass sie eigentlich keinen Graphic-Novel-Hype gebraucht hätten, um außerhalb der chronologischen Gesamtausgabe und zahlreichen Best-ofs mit den wundervollen Strips von Charles M. Schulz auf die Comiclandschaft zurückzukehren – sie waren schließlich nie fort.

Wenigstens ist „Das Glück ist eine Schmusedecke“ ein recht gelungener Band geworden, selbst wenn er die Tiefenschärfe der besten Strip-Jahrgänge und TV-Specials nicht erreicht. Doch vielleicht ist es davon abgesehen tatsächlich kein Nachteil, mit einem solchen Format neue Leser für die Peanuts zu begeistern, die mit klassischen Comicstrips zunächst nicht viel anfangen können und Charlie Brown, Snoopy & Co. dennoch gern in gezeichneter und gedruckter Form kennenlernen möchten. Früher oder später werden sie eh alle beim Original landen.

Zeitlos: Das Covermotiv des Buches.
Zeitlos: Das Covermotiv des Buches.

© Carlsen

Stephan Pastis, Craig Schulz u. a.: Die Peanuts - Das Glück ist eine Schmusedecke, Hardcover, 90 Seiten, Carlsen, 9,95 Euro.

Weitere Tagesspiegel-Beiträge zum Thema - unter anderem einen Artikel von Ralf König und eine Reportage aus der Heimatstadt der Peanuts - finden Sie hier.

Die chronologische „Peanuts“-Gesamtausgabe erscheint auf Deutsch im Carlsen Verlag.

Mehr von unserem Autor Christian Endres findet sich auf seinem Blog: www.christianendres.de. 

Hinweis: Dieser Artikel ist die überarbeitete Fassung eines Textes, der vor einem Jahr anlässlich der Originalausgabe des besprochenen Buches auf den Tagesspiegel-Comicseiten veröffentlicht wurde.

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