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Nur die Gefährlichsten unter den Weltklassefrauen: Inspektor Canardo im Einsatz.

© Illustration: Sokal

Comic-Krimi: Depressiver Enten-Detektiv

Sein „Inspektor Canardo“ ist wohl eine der trefflichsten europäischen Comic-Hommagen an den Krimi Noir. Nun erscheinen Benoit Sokals frühe Episoden mit dem Enterich im Trenchcoat in neuer Übersetzung und Aufmachung im Hardcover.

Jeder hart gekochte Schnüffler und moderne Glücksritter, der etwas auf sich hält, tummelt sich im Noir-Genre. Egal ob Paris oder Los Angeles – noir sind sie alle, so schwarz und finster wie die urbanen Sphären, in denen sie als komplexe Romantiker oder abgehalfterte Nihilisten ermitteln. Die Definition des Genres stammt aus der kritischen Beschäftigung mit der „Schwarzen Serie“ des amerikanischen Kinos der Vierziger und Fünfziger und wurde durch den in Italien geborenen, jedoch in Frankreich lebenden Filmkritiker Nino Frank geprägt. Insofern ergibt es trefflich Sinn, dass eine der skrupellosesten Parodien auf das schwarze Krimi-Subgenre mit den kettenrauchenden, lakonischen Ermittlern und den fabelhaften femme fatales während der französischen Comic-Revolution Mitte der Siebziger gefeiert wurde.

Finster: Überbelichtete Noir-Experimente

Benoit Sokal und sein Canardo, der anthropomorphisierte Erpel mit dem Trenchcoat, den großen Füßen und der noch viel größeren Depression, sind ein zeitloses Exportgut des frankobelgischen Comics. Vor den inzwischen 20 Alben erschienen von 1978 bis 1980 jedoch die für "Eine schöne Flasche" neu übersetzten und kolorierten Kurzgeschichten im Avantgarde-Magazin „A Suivre“. In einem kurzen Interview im hübsch mit freizügigem Skizzenmaterial aufgemachten Anhang des Bandes betont Sokal die Wichtigkeit der Phase, in der Canardo sich so sprunghaft entwickelte. So wie der junge Sokal sich zwischen dem Stil und der Bildsprache von „Franquin, Pratt, Gabin und Fassbinder“ ausprobierte und am laufenden Band ein wenig neuer als am Tag davor erfand.

Heute vermisst der 1954 geborene Sokal, der neben neuen „Canardo“-Alben und zuletzt Titeln wie „Kraa“ inzwischen vornehmlich Videospiele („Paradise“) realisiert, die Aufbruchstimmung und den kreativen Wagemut früherer Tage. Damals speisten er seine Kollegen den europäischen Erwachsenencomic mit vielerlei Input, machten dabei auch vor Erotik und Gewalt nicht Halt - und politisierten gehörig. Wie bei den französischen Fabel-Altmeistern waren der spitze Humor und die vermenschlichten Tiere nur ein Mittel zum Zweck für ihre Comic-Kritik.

Experimentierfreude ist die große Konstante der frühen Canardo-Happen, in denen all die guten (und wenigen schlechten) Klischees im Dunstkreis von Hammett und Bogart auf die Schippe genommen werden. Denn Sokal überbelichtet gnadenlos, hinter dem Hühnerstall wie vor der typischen städtischen Kulisse. Nicht selten verdammt er den Krimi Noir, für den die Art und der Ton der Ermittlungen charakteristisch wichtiger sind als die Auflösung am Ende, zur bewussten, stilisierten Sinnlosigkeit. Dabei begegnet der ungestüme junge Sokal dem Leser ab und an fast im Raum hinter der vierten Wand, mit viel Selbstironie und auf Augenhöhe.

Das ist zwar alles etwas überdreht und nicht so ausgereift und konsequent-atmosphärisch wie in späteren Alben, lässt neben den großen Füßen des Protagonisten im zerknitterten Columbo-Mantel aber bereits großes Potenzial erkennen – und hat neben einem faszinierend schrägen losen roten Faden auch einen ruchlosen, finsteren und oft sogar bitterbösen Humor.

Ein Anfang, aber kein Einstieg

Endlich gibt es sie wieder, die Anfänge des schwermütigen Enten-Detektivs, der mit einer Kippe im Mundwinkel und einem Glas Hochprozentigem auf dem Tisch stets die gefährlichsten unter den Weltklassefrauen im leicht getrübten Blick. Viel zu oft watschelt er durch den Dreck des Lebens, um vielleicht doch noch den Diamanten der Ehrlichkeit zu finden. Dennoch ist „Eine schöne Flasche“ kein waschechter Einstieg in die „Inspektor Canardo“-Reihe und mehr ein Geschenk an Langzeit-Fans und alle Liebhaber des Noir-Genres, die für einen extrem bissigen Spaß zu haben sind.

Weshalb die „Canardo“-Gesamtausgabe jetzt auch wirklich Pflicht ist. Folgerichtig erscheint ab Herbst im Verlag Schreiber & Leser ein Sammelband mit den ersten drei Alben der Serie.

Sokal: „Canardo – Eine schöne Flasche“. Schreiber & Leser, Mai 2011. Hardcover, 80 Seiten, 18,80 Euro.

Mehr von unserem Autor Christian Endres findet sich auf seinem Blog: www.christianendres.de.

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