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© Illustration: Atak

Comic-Kunst: Kampf den Konventionen

Gegen den Strich gebürstet: Ataks Bilderbücher demonstrieren die subversive Kraft der Illustration. Jetzt hat der Berliner Zeichner sich den „Struwwelpeter“ vorgenommen

Der französische Philosoph Henri Bergson schreibt 1900 über die Bedeutung des Komischen: "Wir lachen eigentlich über alles, was in die Rubrik >Verkehrte Welt< gehört." Das Kippen der Realität in ihr Gegenteil ist bis heute ein elementarer Bestandteil der abendländischen Kultur Europas und hat zahlreiche Beispiele in der Kunst. Nirgendwo scheinen Ernst und Scherz so dicht beieinander zu liegen wie in diesem Motiv, worauf der romantische Dichter Ludwig Tieck bereits 1798 in seinem Drama "Die verkehrte Welt" hinweist. Tiecks Drama gilt dabei als Beispiel zweier sich widerstreitender Kulturkonzepte, in der sich öffentliche Ordnung und anarchistische Revolte komödiantisch duellieren.

Von einem ähnlichen Kampfgeist zeugen zwei Bilderbücher des Berliner Comic-Künstlers und Illustrators Atak, die jüngst erschienen sind. Abseits braver Konventionen des Grafischen setzen sie durch die überbordende Fülle an Motiven und Querverweisen dem glatten, oftmals wohlgefälligen Aussehen von Kinder-Bilderbüchern eine alternative Gestaltung entgegen.

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Antiautoritär. Szene aus "Verrückte Welt".

© Illustration: Atak

Die reiche Ornamentik von Ataks Illustrationen in "Verrückte Welt" (Verlag Jacoby Stuart) und "Der Struwwelpeter" (Verlag Kein & Aber) lesen sich wie ein antiautoritäres Programm gegen eine allzu strenge, beflissene Pädagogik und sind zugleich voller Wissen und Neugier über die Welt, in der Kinder und Erwachsene gemeinsam leben. Die Gefahr einer eindimensionalen Sichtweise durch zu starre moralische Regeln und Vorschriften wird so durch das Malerische gebannt.

Die Komplexität von Ataks Bildern ist ein Plädoyer für eine vielschichtige und tiefgründige Realität, in der Schulweisheiten auf den Kopf gestellt werden und Kinder lernen, sich am Gegenteil des Tatsächlichen zu ergötzen.

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Morbid. Szene aus "Der Struwwelpeter".

© Illustration: Atak

Der komödiantische und komische Effekt dieser subversiven Technik ist von hohem Unterhaltungswert und findet sich an zahlreichen Stellen beider Bilderbücher wieder.

Der Bildwitz von "Verrückte Welt" ist bereits auf der Vorderseite des Einbandes vollends sichtbar. Ein Clown springt durch einen brennenden Reif, der von einem Löwen gehalten wird, dessen Fuß auf einem Ball ruht. Hier lacht die Welt, denn der Ball trägt nicht nur die Linien von Längen- und Breitengraden auf seiner Haut, sondern zeigt selbst ein lachendes Gesicht.

Auf der übernächsten Seite des Buches folgt ein Lügen-Rap, der als einziger Text die parodistische Ernsthaftigkeit dieses Bildwitzes in klingende Reime gießt: "Ich lachte / als ich dachte / ich sehe hinter 7 Meeren im Dschungel einen Bären / weiß und kalt wie Eis / in der Tropensonne heiß…." Sprechgesang und märchenhafte Metaphorik durchkreuzen sich in diesen Zeilen, um jenseits jeglicher Modernität auf einen idealen, paradiesischen Urzustand hinzuweisen.

Die visuellen Umkehrungen von "Verrückte Welt" beginnen mit der Darstellung einer Dschungel-Landschaft, in der Tiere aus verschiedenen Erdteilen und Klimazonen friedlich nebeneinander existieren. Hier wird nicht nur eine Welt auf den Kopf gestellt, vielmehr werden bestehende Vorstellungen von der Welt durch eine utopische Komponente bereichert. Das hat durchaus eine politische und philosophische Dimension, die in dem Bild eines Punkers, der einem bettelnden Beamten einen großen Geldschein gibt, besonders klar zum Ausdruck kommt.

Und in einem solchen Bild ist der widerstreitende Dualismus zwischen bürgerlicher Ordnung und alternativen Lebensweisen deutlich spürbar, der schon den aufmüpfigen Geist der Romantik zur Zeit Tiecks prägte.

Doch weit über solche traditionellen mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Verweise hinaus, sind Ataks Illustrationen ein Reservoir kindlicher Gegenstands- und Erfahrungswelten, die als Figuren der Erinnerung die persönliche Identität beeinflussen. Neben klassischen Helden wie Cowboy oder Indianer sind es zahlreiche Comic-, Zeichentrick- und Filmfiguren, die diesen Kosmos bevölkern. Die Lust am medialen Zitat und dessen Verfremdung, die Darstellung von bemaltem Blechspielzeug oder die Maskierung Donald Ducks als Batman haben bei aller Farbenpracht auch eine melancholische, romantisierende Note.

Dem kann sich auch nicht "Der Struwwelpeter" entziehen, der anlässlich von Heinrich Hoffmann 200. Geburtstag durch Atak und Fil eine hinreißende Neuinterpretation erhalten hat. Nun gibt es auf der Welt einen großen Reichtum an sogenannten "Struwwelpetriaden", aber diese schafft es, die aus heutiger Sicht fragwürdige Pädagogik des Originals textlich und bildlich aufzubrechen, ohne den künstlerischen Wert der Vorlage zu negieren. Denn wer die Zeichnungen Hoffmanns kennt, weiß, dass diese wie feine Nähfäden das Papier durchstechen. Die filigrane Optik der ersten Versionen des Struwwelpeters aus den Jahren 1844/45 sind verknüpft mit einem Bild- und Textaufbau, dessen Layout an die Drolerien mittelalterlicher Buchmalereien denken lässt.

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© Coverillustration: Atak

Wie mit der Schere geschnittene Umrisse und dünngliedriges Rankenwerk dienen hier als präzises Gerüst für die kurzen Bildgeschichten und Figuren.

Ataks Bilder begegnen dieser Schärfe mit einer geradezu liebenswürdigen und malerisch opulenten Morbidität, die sich in Fils Reimen widerspiegelt: "Pfui nochmal, hier steht er, dieser Struwwelpeter. Durch sein Haar die Maden tollen; irgendwas scheint er zu wollen."

Erst mit der fünften Auflage erreichte Hoffmanns Buch mit dem Schicksal von "Hans Guck-in-die-Luft" und dem "fliegenden Robert" seinen klassischen Umfang von insgesamt zehn Geschichten. Atak und Fil legen noch eine drauf und die ist nicht nur für Comicliebhaber von Interesse. Im Stil der Comics von Chris Ware wird unter Verwendung der kommunikativen Möglichkeiten des Mediums die Geschichte von Justin erzählt, der sich nichts sehnlicher als eine Spielkonsole zu Weihnachten wünscht. Das Augenmerk dieser realistischen Schilderung liegt auf einer Welt, in der Krieg und Spielzeug medial miteinander interagieren. Nichts wird in sein Gegenteil verkehrt oder subversiv unterwandert. Es obliegt dem Leser, diese Realität gegen ihren Strich zu bürsten.

Atak/Fil: Der Struwwelpeter,
Verlag Kein & Aber, 96 Seiten, 29,90 Euro.
Atak: Verrückte Welt,
Verlag Jacoby Stuart, 32 Seiten, 14,95 Euro.

Jens Meinrenken

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