zum Hauptinhalt
Lesen und gelesen werden. So lebendig wie 2012 dürfte es auch dieses Jahr wieder auf dem Salon zugehen.

© Comicsalon

Comic-Salon Erlangen: Comics von Welt in der Welt der Comics

Es ist mal wieder so weit: Von Donnerstag bis Sonntag spürt der Comic-Salon in Erlangen in einer Mischung aus Retrospektive und Leistungsschau dem Zustand der Kunstform Comic nach – regional und international.

Meistens ist es die verzweifelte Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit, die alle zwei Jahre zum Frühlingsanfang sämtliche Kommunikationskanäle in Erlangen zum Glühen bringt. Die sonst eher beschauliche fränkische Stadt wird nämlich beginnend mit Fronleichnam Schauplatz des Internationalen Comic-Salons – und aus diesem Anlass von zahlreichen Fans und Künstlern aus aller Welt besucht.

Dieses Jahr fällt der kirchliche Feiertag auf den 19. Juni, und wer bis dahin immer noch kein Hotelzimmer oder eine Jugendherberge mit freien Kapazitäten ergattert hat, sollte vielleicht über die Vorzüge des Campings nachdenken. Oder anstatt zu schlafen die Nächte lieber gleich mit dem Anschauen der Fußball-Weltmeisterschaft verbringen, auf Grund der Zeitdifferenz zum Austragungsort Brasilien finden die Ausstrahlungen eh zu vorgerückter Stunde statt.

Fußball ist Krieg, Sex ist Krieg

Aber egal ob zur Europa- oder Weltmeisterschaft, der Comic-Salon konkurriert stets mit dem Fußball. So machte man dieses Mal aus der Not eine Tugend und verlieh bereits letztes Jahr in Zusammenarbeit mit der dem benachbarten Nürnberg entstammenden Teambank den Easy Credit-Fanpreis für den Fußball-Comic des Jahres. Nicht jedoch allein unter inzwischen den Sport dominierenden wirtschaftlichen Gesichtspunkten: Beteiligt war zum Beispiel der vom Fußballblatt „Kicker“ als „passionierter Comic-Fan“ bezeichnete Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Philip Lahm, der vermutlich vom ebenfalls in der Jury sitzenden Flix zusätzlich gecoacht wurde. Wie auch immer, es gibt eine Ausstellung dazu. Und da der Siegercomic ein Fußballspiel während des Ersten Weltkriegs zum Thema hat, fügt sich das ganz gut zu einem weiteren und gegenwärtig in allen Medien präsenten Themenschwerpunkt.

Denn auch in Erlangen gedenkt man des sich zum hundertsten Mal jährenden Beginns der ersten globalen kriegerischen Auseinandersetzung mit weitreichenden Folgen. Mit Jacques Tardi und Joe Sacco sind zwei prominente Künstler vor Ort, die sich beide mit dieser Thematik beschäftigen oder beschäftigt haben. Zusätzlich zeigt man mit Unterstützung des 'Festival International de la Bande Dessinée Angoulême' eine Tardi-Ausstellung über dessen künstlerische Aufarbeitung des Ersten Weltkriegs, sowie ergänzend dazu eine direktere Perspektive auf die Geschehnisse von zur damaligen Zeit aktiven Künstlern wie dem Kriegsfreiwilligen Otto Dix und dem französischen Illustrator Gus Bofa. Als besonders spektakulär erscheint auch das Vorhaben, Joe Saccos Leporello „Der Erste Weltkrieg: Die Schlacht an der Somme“, welches entfaltet sieben Meter lang ist, auf sechzig Meter vergrößert in der Innenstadt von Erlangen zu platzieren.

Weitere Aktualität nebst Sexualität verspricht die Ausstellung „Ach, so ist das?!“ über das Projekt der Künstlerin Martina Schradi. In ihren Comics befasst sie sich mit dem Alltag in nicht der vorherrschenden sexuellen Norm unterworfenen Lebensläufen. Flankiert von „Toleranz in Comics und Graphic Novels“ mit Beiträgen von Paula Bulling („Im Land der Frühaufsteher“) , Johanna Baumann („Danach“) oder Simon Schwartz („Packeis“) verspricht diese Kombination eine notwendige Bestandsaufnahme des Umgangs miteinander. Gerade im Hinblick auf ein sich gegenwärtig in Europa abzeichnendes Klima der Intoleranz ein wichtiger Programmpunkt, siehe auch den Stimmenzuwachs rechtspopulistischer Parteien bei der Europa-Wahl im Mai oder das vermehrte Auftreten von ausgrenzender Autokratie zwischen Balkan und Bosporus.

Den Versuch, sich mit dem Umgang beziehungsweise der Umsetzung von „Anders sein“ im Comic zu beschäftigen, haben Daniela Schreiter und Glyn Dillon ebenfalls unternommen. Schreiter berichtet in ihrem Werk „Schattenspringer“ über ihre Erfahrungen als Mensch mit Asperger-Autismus, Dillons „Das Nao in Brown“ erzählt aus dem Leben einer jungen Frau, die versucht, mit ihren etappenweise auftretenden Zwangsstörungen zurechtzukommen. Die oftmals von Unkenntnis und Sensationshunger geprägte mediale Beschäftigung damit und die daraus resultierende verzerrte öffentliche Wahrnehmung bieten einen weiteren guten Anlass für die Einladung der beiden Künstler.

Außerdem dürfte der Ausstellungsbesuch von „Der Comic-Garten des Émile Bravo“ die eine oder andere giftige Frucht in sich bergen, beschäftigt sich dieser doch nicht nur mit comicaffinen Themen wie der hohen Kunst der Gaston- oder Spirou-Persiflage, sondern auch mit „Rassismus, (…) Globalisierung und (…) Nahostkonflikt“ – so jedenfalls Bravos aktueller Verleger, der obendrein den Künstler selbst sowie sein neuestes Werk in deutscher Übersetzung präsentieren wird.

Feste, Bildschriften, Festschriften

Es gilt zudem diverser Jubiläen zu gedenken, und da der Comic-Salon sein dreißigjähriges Bestehen begeht, man aber keine Zeit für große Feierlichkeiten hat, schließt man sich mit Volker Hamanns ‚Fachblatt für graphische Literatur‘ „Reddition“ kurz, welche genauso alt wird und hat – voilá – eine Ausstellung nebst Festschrift inklusive. Max und Moritz werden hundertfünfzig Jahre alt, was man nicht nur als Beleg für die Überalterung der Gesellschaft werten, sondern auch zum Anlass einer Präsentation deutschen Comicschaffens nehmen kann. Und wenn wir schon bei Geburtstagen oder Ähnlichem sind: Tove Jansson wäre dieses Jahr hundert geworden, daher gibt es eine ihrer Person und den kullertrulligen Mumins gewidmete Schau. Aber keine Sorge, auch die jüngeren Vertreter finnländischen Comicschaffens hat man berücksichtigt; in „Ein Mittsommernachtstraum“ sind Werke von Tiitu Takalo, Mika Lietzén und Reeta Niemensivu vertreten.

Da die Berliner Mauer 2014 zum 25. Mal fällt, hat Mawils neuer Ostzonencomic „Kinderland“ eine kleine Würdigung verdient. Wer an der sinnfällig aufgestellten Tischtennisplatte – welche ein zentrales Element in Mawils Geschichte darstellt – nicht bereits sämtliche Leistungsgrenzen überschritten hat, kann diese bei der „Grenzenlos“ betitelten Bekanntgabe des Förderpreises durch Egmont mit dem hoffnungsvollen Nachwuchs durchbrechen.

Ein Geburtstagsgeschenk, das nicht als solches benannt ist, dürften die Originalzeichnungen von Walt Kellys „Pogo“ darstellen, denn vor genau vierzig Jahren erschien die einzige deutsche Ausgabe dieses legendären und als unübersetzbar geltenden Klassikers in Deutschland. Vielleicht traut sich ja nach dem Ausstellungsbesuch doch noch mal ein heimischer Verleger an die wortspielverliebte Politposse aus dem Okefenokeesumpf ran.

Ansonsten gibt es deutsche Comickunst von arriviert bis anglisiert, mit Anke Feuchtenberger („Die Hure H“, „Die holländische Schachtel“), Volker Reiche („Donald Duck“, „Strizz“, „Kiesgrubennacht“) sowie Thomas Wellmann („Pimo & Rex“) oder Sebastian Stamm („Lescheks Flug“) wird hier ein weitreichendes Spektrum abgedeckt. Dem Webcomic räumt man ebenfalls prominent Platz sowie akademische Weihen ein – mittels einer Veranstaltungsreihe durch die Gesellschaft für Comic-Forschung.

Ein positiver Aspekt, der sich hoffentlich auch im bereits erwähnten Nachwuchsförderpreis sowie bei den ICOM- und Max und Moritz-Preisverleihungen niederschlägt. Zumindest im Rahmen der ICOM-Preise wird jedenfalls der dem Netzcomic-ohne-Spider-Man gewidmete Kurt-Schalker-Preis verliehen, aber insgesamt ist da sicherlich noch Luft nach oben. Wie auch bei Bildgeschichten asiatischer Provenienz. Immerhin ist Naoki Urasawas „Billy Bat“ für einen Max und Moritz-Preis nominiert.

Das Gesamtprogramm birgt jedenfalls viele Überraschungen, und neben einem der stilprägendsten (Tusche-)Zeichner für Marvel und DC in den 1980er und -90er Jahren, Klaus Janson (Punisher, Daredevil, Batman), wird der Comic-Salon überdies von Ed Piskor beehrt. Dessen Aufarbeitungen von Hip, Hop und Hackaktivismus dürften sicherlich viele Interessenten außerhalb des Comicbereiches anlocken. Also, es ist gedeckt, kommt reichlich. Und: „Abgerechnet wird zum Schluss“ (Sam Peckinpah).

Alle Service- und Programminformationen zum Comicsalon finden Sie hier, das komplette Programm der Podiumsdiskussionen, Präsentationen und anderen Veranstaltungen finden Sie hier. Und hier kann man über den Max-und-Moritz-Publikumspreis abstimmen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false