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Unterirdischer Nahostkonflikt: Eine Szene aus „Tunnel“.

© Carlsen

Comic-Satire „Tunnel“: Schichten der Geschichte

Die israelische Comicautorin Rutu Modan erzählt in ihrer Satire „Tunnel“ von einer politisch und religiös aufgeladenen Schatzsuche.

Im Hollywood-Blockbuster „Jäger des verlorenen Schatzes ist sie der Auslöser eines mörderischen Wettlaufes zwischen Indiana Jones und Hitlers Schergen. Bei dem Ufologen Erich von Däniken fungiert sie als eine Art Wechselsprechanlage zwischen Moses und den Astronautengöttern.

Und auch in „Tunnel“ (aus dem Hebräischen von Markus Lemke, Carlsen-Verlag. 270 S., 28€), dem neuen Buch der israelischen Comicautorin Rutu Modan, nimmt die sagenumwobene Bundeslade, die die Steintafeln mit den Zehn Geboten von Moses enthalten soll, eine zentrale Rolle ein.

Der biblische Kultgegenstand, dessen Existenz wissenschaftlich nie bewiesen wurde, ist in Modans satirischer Comicerzählung das Objekt der Begierde von Archäologen, Schatzsuchern, orthodoxen Juden, palästinensischen Schmugglern und am Ende auch der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS).

Sie alle versprechen sich von der Truhe, die als Symbol für den Bund Gottes mit dem Volk Israel gilt, Großes: Macht, Ruhm, persönliche Genugtuung, Erlösung oder Reichtum.

Hauptfigur der wie eine turbulente Screwball-Komödie inszenierten Geschichte, deren deutsche Ausgabe jetzt in die zweite Auflage geht, ist Nili, die Tochter eines bekannten israelischen Archäologen. Der inzwischen altersdemente Mann wurde, so sieht es die Tochter, einst von einem Mitstreiter um den ihm zustehenden Ruhm betrogen, das will sie mit einem auf des Vaters Arbeit basierenden sensationellen Fund wiedergutmachen.

Die Lage eskaliert: Eine weitere Szene aus „Tunnel“.
Die Lage eskaliert: Eine weitere Szene aus „Tunnel“.

© Carlsen

Dafür gräbt Nili, die sich als alleinerziehende Mutter nebenbei auch noch um ihren smartphonesüchtigen Sohn und andere familiäre Probleme kümmern muss, zusammen mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe einen illegalen Tunnel, der zur Bundeslade führen soll. Der Bau verläuft jedoch anders als geplant und provoziert dramatische Folgen.

Sie inszeniert ihre Comics wie Theaterstücke

Das erzählt Rutu Modan in klassisch anmutenden Bildern, deren präzise Konturen inspiriert sind von der „Ligne Claire“ des Tim-und-Struppi-Schöpfers Hergé, wozu auch die flächige pastellfarbene Kolorierung beiträgt.

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Allerdings ist die Körpersprache von Modans Figuren dynamischer. In ihrer gelegentlich slapstickhaften, manchmal übertrieben wirkenden Dramatik erinnern die Figuren in „Tunnel“ an Stummfilme oder deklamatorische Theaterstücke.

Das liegt auch an Modans ungewöhnlicher Arbeitsweise: Mit Freunden und Verwandten inszeniert sie Szenen, fotografiert diese und fertigt auf dieser Grundlage ihre Zeichnungen an.

Familiendrama: Eine Szene aus „Tunnel“.
Familiendrama: Eine Szene aus „Tunnel“.

© Carlsen

Die Handlung von „Tunnel“ ist geschickt angelegt, wenngleich manche Wendung etwas zu konstruiert wirkt – inklusive des schwarzhumorigen Endes.

Modans besondere Stärke, die sie bereits in vielgelobten Comic-Erzählungen wie „Blutspuren“ und „Das Erbe“ bewiesen hat, ist die kluge Verknüpfung von politisch-historischen Themen mit persönlichen Erfahrungen ihrer fiktiven, aber vom echten leben inspirierten Figuren.

Spott für alle Beteiligten

Dass das nicht allzu lehrbuchhaft daherkommt, ist Modans pointierten Dialogen und ihrem Hang zu komplexen, teils widersprüchlichen Charakteren zu verdanken, deren wahres Gesicht sich erst im Laufe der Handlung offenbart. Fast jeder trägt hier ein Geheimnis mit sich herum oder spielt ein doppeltes Spiel.

Das Titelbild des besprochenen Buches.
Das Titelbild des besprochenen Buches.

© Carlsen

Das Tunnelprojekt bringt all diese Figuren unter der Erde zusammen – eine gute Metapher für die Region, in der die Schichten historischer und religiöser Auseinandersetzungen die Gegenwart dominieren.

Da das Bauvorhaben ausgerechnet unter jener Mauer hindurchführt, die israelisches Territorium von palästinensischen Siedlungsgebieten im Westjordanland trennt, prallen schon bald die Ansprüche und Weltanschauungen aufeinander, die auch den israelisch-palästinensischen Konflikt befeuern.

Modan hütet sich, eindeutig Partei zu ergreifen und hat für alle Beteiligten vor allem Spott übrig – auch wenn ihr robuster Humor, der sogar einer versuchten Enthauptung eines Tunnelgräbers durch IS-Anhänger noch Pointen abringt, nicht allen Menschen zusagen dürfte.

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