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Mal skizzenhaft, mal realistisch: Eine Szene aus dem Buch.

© Cross Cult

Comic-Thriller: Leuchtender Abgrund

Auf dem Weg in die vierte Dimension: Alan Moores und Eddie Campbells Jack-the-Ripper-Erzählung „From Hell“ ist ein moderner Comic-Klassiker. Jetzt gibt es eine Neuauflage.

Schon der Philosoph Thomas Hobbes wusste: Symbole können subtil auf den Geist des Menschen einwirken. „From Hell“ ist randvoll von Symbolen. So wird der Leser nach der Lektüre des Buches eventuell ein anderer sein als zuvor. Das opulente Meisterwerk von Alan Moore und Eddie Campbell zeichnet sich durch eine unvergleichbar monströse Reise in die trüben Gefilde des Menschen aus. Nun liegt die gefeierte Graphic Novel, deren einzelne Folgen erstmals von 1991 an veröffentlicht wurden, in einer zweiten deutschen Auflage bei Cross Cult vor.

Die Geschichte dreht sich um Dr. William Gull, den Hofarzt der englischen Königin. Er erhält den Auftrag, eine Erpresserbande von Prostituierten mundtot zu machen. Denn der königliche Erbe hat eine der Prostituierte geschwängert und geheiratet. Um die Schande aus der Welt zu schaffen und keinen Aufruhr zu entfachen, soll Gull die Erpresser töten.

Die vierte Dimension

Doch der Freimaurer verfolgt dabei auch ein persönliches Ziel: Er will durch seine rituellen Morde in die vierte Dimension eindringen. Inspektor Abberline war nach langer Zeit dem verhassten Whitechapel-Viertel entkommen. Die grausamen Morde führen ihn jedoch wieder zurück an die alte Wirkungsstätte.

Durch die rituellen Morde wird Gull von Visionen der Zukunft heimgesucht. In der vierten Dimension offenbart sich ihm die moderne Menschheit als emotionsarm und abgestumpft. Moore greift hierbei auf das Haruspizium zurück. Die Haruspices waren Seher, die aus den Eingeweiden von Tieren die Zukunft vorhersagten.

Zwischen Fakten und Fiktion

Gull entfernt die Eingeweide seiner Opfer mit chirurgischer Abgeklärtheit und erlangt dadurch divinatorische Fähigkeiten. Die vierte Dimension ist für Moore die Umschreibung für eine parallele Koexistenz allen Lebens. In diesem Weltbild existiert keine lineare Zeitvorstellung. Gleichzeitig besteht in „From Hell“ eine Architektur der Geschichte: manche Ereignisse sind durch Bögen miteinander verbunden.

Monströse Reise: Eine Szene aus dem Buch.
Monströse Reise: Eine Szene aus dem Buch.

© Cross Cult

In 14 Kapiteln – Prolog und Epilog nicht mitgerechnet – erzählt Moore seine auf Fakten beruhende Fiktion um den Whitechapel-Mörder, der als „Jack the Ripper“ Geschichte machen sollte. Moore verwendet zu Beginn viele Zeitsprünge, um die Biographie Gulls aufzuarbeiten: nach jeder Seite kommt ein Sprung. Später schildert er in einem einzigen Kapitel eine Fahrt durch London, wobei er die kulturgeschichtlichen Hintergründe der Bauten des Architekten Nicholas Hawksmoor eingeht. Auf diese Weise entpuppt sich London als heimlicher Protagonist von „From Hell“.

Spiegelbild der Moderne

Immer wieder baut Moore Erzähltechniken wie Wiederholung oder Parallelmontagen ein, was die Gleichzeitigkeit innerhalb der vierten Dimension unterstreicht. Der Rhythmus und die Größe der Panels werden akribisch konstruiert. Manchmal gibt es eine Seite lang nur eine Einstellung, oft verwendet Moore neun gleichförmige Panels. Weitere ungewöhnliche Einstellungen und komponierte Abwechslungen mit seitenbreiten Panels geben nur einen groben Überblick über Moores Können.

Campbells individueller Strich variiert von einer skizzenhaften, manchmal sogar schemenhaften, Reduktion bis zu einen markanten Realismus. Das historische London wirkt sehr authentisch genauso wie dessen Bewohner. Die überwiegend düster gehaltenen Schwarzweißbilder scheinen sich durch komplexe Schraffuren in das Gedächtnis des Lesers einzuätzen. Der Hintergrund besticht meist durch detaillierte historische Bauten, aber darauf ist kein Verlass: oft gibt es auch nur schraffierte oder angedeutete Hintergründe.

Neu aufgelegt: Das Cover des Bandes.
Neu aufgelegt: Das Cover des Bandes.

© Cross Cult

Moore und Campbell präsentieren mit „From Hell“ einen leuchtenden Abgrund, der als Spiegelbild der Moderne interpretiert werden kann. Der Autor vereint auf virtuose Weise seine magiologischen Kenntnisse mit den Fakten des mysteriösen Whitechapel-Falles. Campbells unnachahmliche Zeichnungen fügen sich perfekt in die Erzählung ein. Als Bonus enthält das Buch einen interessanten Autorenkommentar, der Einblick in die Arbeitsweise und die Fakten beziehungsweise die Fiktion gibt. Darüber hinaus ist auch der Kurzcomic „Tanz der Möwen“ enthalten, in dem die beiden die aufschlussreiche Rezeptionsgeschichte des Ripper-Falles nacherzählen.

Alan Moore (Text) und Eddie Campbell (Zeichnungen): From Hell, Cross Cult, 604 Seiten, 49,80 Euro. Eine Leseprobe gibt es auf der Verlags-Website unter diesem Link.

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