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Bestseller: Eine Seite aus "Last Man" von Bastian Vivès, Balak und Michaël Sanlaville.

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Comicfestival Angoulême: Die Comics von morgen

Vom 30. Januar bis 2. Februar findet in Angoulême wieder Europas größtes Comicfestival statt. Die Liste der für einen Preis nominierten Autoren gibt einen Ausblick, auf was für Neuentdeckungen sich auch deutsche Leser freuen können.

Ab diesem Donnerstag findet zum 41. Mal das Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême statt. Während man hierzulande den deutschen Comic feiert ob seines Variantenreichtums und der enormen Fortschritte in Ansehen und Verkauf, ist mit Blick durch die frankophone Brille Deutschland im vergangenen Jahr nicht so erfolgreich gewesen. Unter den für den wichtigsten europäischen Comicpreis nominierten Bänden ist kein einziger von einem deutschen Autor oder einer deutschen Autorin. Konnte man in den vergangenen Jahren Namen wie Ulli Lust, Reinhard Kleist oder Jens Harder unter den im französischen Angoulême berufenen besten Comicautoren entdecken, sucht man in diesem Jahr vergeblich nach deutschen Comiczeichnern, die eine der Fauves abräumen könnten. Anlass zur Sorge gibt das nicht. Die Erfolge von Ulli Lust in den USA und Kanada oder von Reinhard Kleist in Frankreich sprechen dafür, dass der deutsche Comic keineswegs in einer Krise ist. Die kürzlich bekannt gegebene Bestenliste von Angoulême ist daher weder skandalös noch sensationell, schließlich ist die frankophone Brille nur eine von vielen, durch die man schauen kann.

Eine Science-Fiction-Oper als Favorit

Sensationell wäre zum jetzigen Zeitpunkt nur eine einzige Entscheidung in Angoulême gewesen: Eine Nichtberücksichtigung des gemeinsam von Bastian Vivès, Balak und Michaël Sanlaville entworfenen Gaunerstücks "Last Man" auf der Liste der besten Comics des vergangenen Jahres. Die Sensation ist ausgeblieben. Natürlich ist die Serie, deren dritter Band innerhalb eines Jahres im November erschienen ist, in Angoulême für die Preise nominiert. Und sie darf, soviel kann man sagen, als Favorit gelten, denn um kein Comicprojekt ist im comicverrückten Frankreich bislang soviel Aufregung zu verspüren gewesen, wie um diese Science-Fiction-Oper.

Ein gigantischer Werbefeldzug begleitete das Erscheinen der Bände, die jeweils mehr als 200 Seiten umfassen. Jeweils drei Monate hatte das Autorenteam pro Band. Im Netz kursieren Videos von fast handfesten Debatten der drei Autoren, die zu den aufregendsten ihrer Generation gehören. Zwischenzeitlich drohte das ganze Projekt zu scheitern, doch inzwischen feiert die Serie bahnbrechende Erfolge. Die Arbeiten von Bastien Vivès erscheinen in Deutschland bei Reprodukt – zuletzt "Die große Odaliske", "Polina", "Der Geschmack von Chlor". Es ist zu erwarten, dass der renommierte Berliner Verlag im kommenden Jahr auch die "Last Man"-Reihe in sein Programm aufnehmen wird. Für Januar 2014 ist jedoch zunächst der neue Band "Die Liebe" angekündigt.

Nimmt man die Nominierten-Liste in Angoulême als Richtwert für gute Comics, dann hat auch der Carlsen-Verlag einen Scoup gelandet. Denn "Attack on Titan" von Hajime Isayama ist nicht nur DER Manga-Titel des Verlags in der nächsten Saison, sondern zugleich auch in Angoulême als einer der besten Comics vorausgewählt. In Japan ist inzwischen bereits der elfte. Band der Serie erschienen. Einige Aussagen von Hajime Isayama lassen mutmaßen, dass die abgrundtiefe Zukunftsgeschichte des Japaners am Ende 20 Bände umfassen wird. Hier wartet ein großes Comicprojekt darauf, entdeckt zu werden. Und die bislang veröffentlichten Zeichnungen lassen auf Spektakuläres in Form und Grafik schließen.

Fiona Staples und Brian K. Vaughan sind für den Auftakt ihrer Comicserie "Saga" in der Auswahl des Comicfestivals. Seit August ist der erste Teil der Serie auch in Deutschland auf dem Markt (Cross Cult). Für "Saga" sammelten die beiden Autoren bei den diesjährigen Eisner-Awards gleich drei Auszeichnungen ein. In Angoulême könnte ein weiterer Comicpreis hinzukommen.

Rutu Modan ist mit ihrem in Deutschland gefeierten Comic "Das Erbe" (Carlsen) nominiert, in dem sie eine persönliche Geschichte um eine jüdische Hinterlassenschaft in Warschau entwirft. Ihr im realistischen Strich gehaltenen Arbeiten erscheinen außerdem in den Verlagen Edition Moderne, Avant und Antje Kunstmann.

Neues von Cosey, Winshluss und Fabien Vehlmann

Cosey ist unter deutschen Comicleser alles andere als ein Unbekannter. Ursprünglich bei Carlsen untergebracht werden seine Werke ("Der Buddha des Himmels", "Jonathan") inzwischen hauptsächlich bei Salleck Publications verlegt. 2009 erschien seine Arbeit "Auf der Suche nach Peter Pan" bei Cross Cult. In Angoulême ist er für den letzten Teil seiner "Jonathan"-Reihe nominiert, die vor wenigen Wochen bei Salleck Publications herausgekommen ist.

Winshluss, hierzulande für seinen eigenwillig-anarchistischen Transfer der Pinocchio-Geschichte in die kapitalistische Moderne gelobt (Avant Verlag), ist bei Europas größtem Comicfestival nun mit seiner Kritik am Christentum "In God We Trust" im Rennen um die Comicpreise. Darin entlarvt er in gewohnt radikalen Strichen die inhärente Gewalttätigkeit der wichtigsten Heiligen und größten Mythen der Kirchengeschichte.

Die Arbeiten von Pascal Rabaté erscheinen in deutscher Übersetzung bei Carlsen ("Plastikmadonna") und Reprodukt ("Bäche und Flüsse"). Seine Hommage an Alfred Hitchcocks Klassiker "Das Fenster zum Hof" wurde nun von der Jury in die Vorauswahl der nominierten Titel aufgenommen.

Gute Wahl: Die eine Hälfte der Angoulême-Nominierungen.
Gute Wahl: Die eine Hälfte der Angoulême-Nominierungen.

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Über Étienne Davodeaus Wein-Comic "Die Ignoranten", der beim neuen Egmont-Graphic Novel-Imprint erschienen ist, wurde in den vergangenen Wochen viel diskutiert. In Angoulême ist er nun zum wiederholten Mal nominiert, diesmal mit seiner amüsanten Kunstgeschichte "Le chien qui Louche", die von einem Wachmann im Pariser Louvre erzählt. Davodeaus Comic "Lulu, die nackte Frau" erschien im vergangenen Jahr im Splitter-Verlag.

Das Autorenteam Richard Guérineau und Jean Teulé ist mit der Adaption des 2009 bei Piper erschienenen historischen Romans "Der gehörnte Marquis" von Jean Teulé nominiert, die unter dem Titel "Charly 9" erschienen ist. Richard Guérineau ist hierzulande für seine SciFi-Serie "Der Gesang der Strygen" (mit Eric Corbeyran) bekannt.

Den Comiczeichner Christian Rossi kennen die deutschen Comic-Leser vor allem von der "West"-Saga und der Serie "Der Planwagen des Thepsis", aber auch von seinen Einzelwerken wie "Tiresias". Seine Comics erscheinen in den Verlagen Ehapa, Piredda, Schreiber & Leser und Carlsen. Nominiert ist er in Angoulême gemeinsam mit Laurent-Frédéric Bollée für ihren Comic "Deadline", in dem er eine Geschichte aus dem amerikanischen Bürgerkrieg erzählt.

Der japanische Autor Fuyumi Soryo ist mit dem ersten Band seiner Renaissance-Serie über die italienische Borgia-Familie "Cesare" nominiert. Soryos "Mars"-Alben werden im Panini-Verlag herausgegeben.

Die letzte deutschsprachige Erscheinung eines Comics von Jacques Ferrandez bei Carlsen ist schon viele Jahre her. In Frankreich ist er nun für seine Adaption von Albert Camus "Der Fremde" mit im Rennen um Europas wichtigste Comicpreise, die Ende Feruar 2014 im Verlag Jacoby & Stuart erscheinen soll.

David Aya, Matt Fraction und Javier Pulido gehören zu den Action-Autoren, deren Arbeiten auf Deutsch im Panini-Verlag erscheinen. Ihre "Hawkeye"-Adaption wird mit dem "Daredevil"-Run von Frank Miller und David Mazzucchelli (ebenfalls Panini) verglichen und ist deshalb in Angoulême nominiert.

Alison Bechdels neues Buch ist für Frühling 2014 angekündigt

Von Hervé Tanquerelle sind einige Comics im Avant-Verlag erschienen, zuletzt die gemeinsam mit David B. verfasste Hommage an die Kriminalliteratur "Die falschen Gesichter". In Angoulême ist er für den Eröffnungsband der gemeinsam mit Appollo geschriebenen Karthago-Geschichte "Les voleurs de Carthage" nominiert.

Der Autor Fabien Vehlmann, dessen Arbeiten u.a. bei Reprodukt ("Jenseits", "Die Insel der 100.000 Toten"), Carlsen ("Spirou") und dem Piredda-Verlag ("Allein") erscheinen, hat mit Éric Sagot ein neues Projekt ins Leben gerufen. Der erste Band von "Paco les mains rouges" hat es sofort unter Europas beste Comics geschafft.

Alte Bekannte, neue Entdeckungen: Der zweiten Teil der Nominiertenübersicht.
Alte Bekannte, neue Entdeckungen: Der zweiten Teil der Nominiertenübersicht.

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Der Verlag Schreiber & Leser verlegt die Serie "Kililana Song" von Benjamin Flao, dessen vor wenigen Wochen erschienener zweiter Band der Erzählung "Lilongos Lied" auf der Liste der potenziellen Preisträger ist.

Derf Backderfs Geschichte des amerikanischen Massenmörders Jack Dahmer, die im Sommer unter dem Titel "Mein Freund Dahmer" im Verlag Metrolit erschienen ist und nicht wenig Lob in der Comicszene erhalten hat, ist auch in Angoulême im Preisrennen.

Das Gemeinschaftswerk "Der König der Fliegen" von Mezzo und Pirus erscheint im Avant-Verlag. Bislang sind zwei Bände von der Serie erschienen, der dritte Band soll im kommenden Frühjahr in der deutschen Übersetzung herauskommen. Das französische Original ist nun in Angoulême nominiert.

Und "Are You My Mother?", das aktuelle Buch von Alison Bechdel ("Fun Home") findet sich ebenfalls auf der Nominiertenliste. Im April 2014 soll es bei Kiepenheuer & Witsch auf Deutsch unter dem Titel "Wer ist hier die Mutter?" erscheinen.

Last but not least: auch der Brite Tom Gauld ist mit seinem minimalistischen Comic "Goliath", der im Sommer 2012 bei Reprodukt erschienen ist, unter die Nominierten gewählt worden. Ins Deutsche übersetzt hat das übrigens kein geringerer als Nicolas Mahler, der mit seinen Werken gerade den deutschen Comicmarkt dominiert.

Weitere Tagesspiegel-Artikel unseres Autos Thomas Hummitzsch finden Sie hier. Zu seiner Website "Intellectures", auf der dieser Artikel erstmals erschien, geht es hier.

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